Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006

"Das ist eine kurzsichtige Politik"

Interview mit Wolfgang Kreissl-Dörfler (PSE)
In der ersten Junihälfte informierten sich Mitglieder des Justiz- und Innenausschusses des Europaparlaments auf den Kanarischen Inseln über die Situation in den Flüchtlingslagern. Darunter auch der sozialdemokratische Abgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler, der dem EP seit 1994 angehört.

Das Parlament: Ihre Reise auf die Kanarischen Inseln liegt schon ein paar Wochen zurück. Was ist denn dabei herausgekommen - außer, dass die Flüchtlinge dank einer Spende der EU-Delegation nun die WM-Spiele im Fernsehen verfolgen können?

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Da ist schon wesentlich mehr rausgekommen als ein Fernseher. Wir konn-ten drei Lager besuchen. Es wurde klar, dass die spanische Verwaltung an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stößt, dass aber die Lager sehr gut geführt werden. Es gibt rechtsstaatliche Verfahren, die Flüchtlinge wer-den über ihre Möglichkeiten aufgeklärt, Asyl zu beantragen. Sie sind maximal 40 Tage in einem Lager. Diejenigen, deren Länder keine Rückübernahmeabkommen geschlossen haben, werden dann aufs Festland gebracht und sind damit - ja, in Spanien ...

Das Parlament: Der deutsche Innenminister hat genau dafür die Spanier scharf kritisiert. Solche vorbildlichen Prozeduren würden weitere Flüchtlinge anlocken, sagt Wolfgang Schäuble.

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Was sollen wir denn machen mit den Leuten? Sie jahrelang in Lagern festhalten? Bundesinnenminister Schäuble kritisiert ja vor allem, dass die Regierung Zapatero den Status von Flüchtlingen legalisiert hat. Das hat die konservative Vorgänger-Regierung auch in regelmäßigen Abständen getan. Aber während die neue Administration diese Maßnahme humanitär begleitet, mit Sozialarbeitern, mit Sprachunterricht, ging es den Konservativen nur um billige Arbeitskräfte für die Landwirtschaft. Integration ist kein zusätzlicher Anreiz für Flüchtlinge, sondern dringend notwenig, um die soziale Situation im Gastland selbst zu entlasten.

Das Parlament: Die EU-Parlamentarier scheinen sich von der Kommission einen neuen Anstoß zu erhoffen. Sie soll dafür sorgen, dass Hilfen in den Herkunftsländern, gesteuerte Einwanderungspolitik, Abschottung und Abschiebung von unerwünschten Flüchtlingen EU-weit aufeinander abgestimmt werden. Doch wenn die Mitgliedstaaten nicht an einem Strang ziehen, sind der Kommission die Hände gebunden ....

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Die Regierungen sind in dieser Frage weit auseinander. Es wäre eine Aufgabe in den nationalen Parlamenten, auf ihre jeweiligen Regierungen mehr Druck auszuüben. In Deutschland zum Beispiel werden wir bis zum Jahr 2030 ganze Regionen stilllegen, aber als Einwanderungsland sehen wir uns nicht. Das ist eine kurzsichtige Politik. Auch andere Länder wollen sich in Fragen von Einwanderung oder Abschiebung in ihre nationalen Hoheitsrechte nicht hineinreden lassen. In einem gemeinsamen Schengen-Raum ohne Grenzen wird diese Position auf die Dauer nicht durchzuhalten sein.

Das Parlament: Nächstes Jahr will die Kommission ein ganzes Maßnahmen-Bündel vorschlagen: Stärkung von FRONTEX, Zusammenarbeit mit Grenzkontrolleuren aus den Herkunfts- und Durchreiseländern, schnelle Eingreifteams von Experten in Länder, die sich einem plötzlichen Ansturm von Flüchtlingen ausgesetzt sehen. Wie bewerten Sie das?

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Das muss ein Teil des Gesamtpaketes ein. Aber es muss auch endlich in den Herkunftsländern etwas geschehen. Bei dem Besuch auf den Kanaren hat mir ein Senegalese erzählt, die Regierung dort fordere die Leute geradezu auf, das Land zu verlassen und dann aus Europa Geld zu schicken. Da es in diesen Ländern keine funktionierenden Sozialstrukturen gibt, mindern die Gaben aus Europa den politischen Druck auf die Regierung.

Das Parlament: Sie haben nicht nur Lager auf den Kanarischen Inseln besucht, sondern auch auf Lampedusa, auf Malta und in Libyen. Wie sind dort die Bedingungen für Flüchtlinge?

Wolfgang Kreissl-Dörfler: In dem Lager, das ich in Libyen gesehen habe, war es sicher besser als auf Malta und auf Lampedusa. Aber auch die Libyer schicken im Jahr bis zu 50.000 Menschen zurück. Sie sagen, sie würden gern die Grenzen zu Europa besser kontrollieren, bekommen aber die Boote nicht von der EU, weil es sogenannte "Dual use"-Produkte sind, die auch für militärische Zwecke eingesetzt werden könnten und deshalb unter das Lieferverbot fallen.

Das Parlamen: Der maltesische Außenminister hat kürzlich geklagt, sein Land werde bei dem Problem zu wenig von der EU unterstützt.

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Hilfreich wäre es, ein abgestimmtes Konzept zu entwickeln: Es müsste einerseits legale Arbeitsmigration mit befristeten Verträgen möglich sein. Außerdem sollte jedes Mitgliedsland ein bestimmtes Kontingent von Asylberechtigten aufnehmen. Viele, mit denen ich in den Lagern gesprochen habe, wollen eine Zeit lang Geld verdienen und dann wieder zurück zu ihren Familien. Diejenigen, die gar keine Chance bekommen, werden es immer wieder versuchen. So hohe Mauern kann man gar nicht ziehen.

Das Interview führte Daniela Weingärtner


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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