Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006
Nicole Alexander

Getrennte Zwillinge

Damals ...vor 45 Jahren am 18. Juli 1961: Das Kindergeldkassengesetz tritt in Kraft

Begeisterung klingt anders. Ein "Wildwuchs-Kindergeld-Reförmchen" nennt der "Industrie-Kurier" aus Düsseldorf das Kindergeldkassengesetz, das am 18. Juli 1961 in Kraft tritt. Und dem West-Berliner "Telegraf" zufolge ist mit der neuen Regelung ein "seltsames Zwittergebilde entstanden, das ein Übermaß an Verwaltungsarbeit, Verwirrung und Ungerechtigkeit schaffen wird".

Das so heftig getadelte Gesetz sieht vor, dass rück-wirkend zum 1. April 1961 Eltern für ihr zweites Kind finanzielle Unterstützung in Höhe von monatlich 25 DM erhalten. Auf das so genannte Zweitkindergeld haben Familien Anspruch, deren Monatseinkommen 600 DM nicht übersteigt - Steuerfreibeträge nicht einberechnet. Die erste Auszahlung ist für Anfang September 1961 geplant.

Eigentlich eine prima Sache und ein Riesenfortschritt der Bundesrepublik in Sachen Familienförderung. Denn mit der bisherigen Regelung, nach der Eltern erst ab dem dritten Kind Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben, hinkt die Bundesrepublik den Leistungen anderer europäischer Staaten für ihren Nachwuchs weit hinterher.

Das mag auch daran liegen, dass Familienpolitik in der noch jungen Bundesrepublik auf massive Vorbehalte stößt und ungute Erinnerungen an das Dritte Reich wachruft, das Maßnahmen wie die Gewährung von Kinderfreibeträgen und -beihilfen für kinderreiche Familien als bevölkerungspolitisches Instrument missbrauchte. Erst 1953 wird ein "Ministerium für Familienfragen" geschaffen. Zum Zeitpunkt seiner Gründung verfügt es über einen äußerst bescheidenen Etat.

Sein erster Amtsinhaber Franz-Josef Wuermeling (CDU) lässt sich davon nicht beeindrucken. In den folgenden Jahren setzt er sich vehement für die finanzielle Unterstützung von Familien ein. Dabei gerät der überzeugte Katholik und Vater von fünf Kindern auch schon mal auf Konfrontationskurs zu Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der mit seinem Ausspruch "Kinder bekommen die Leute sowieso" noch heute für familienpolitischen Diskussionsstoff sorgt.

Für Sozialdemokraten und Liberale ist der streitbare Familienminister ohnehin ein rotes Tuch: Seinem konservativen Familienideal entsprechend hält Wuermeling etwa die Erwerbstätigkeit von Müttern für verantwortungslos. Sie sei nur durch "Konsumwut" zu erklären.

Dass 1954 erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik ein Kindergeldgesetz verabschiedet wird, ist aber unbestritten Wuermelings Verdienst. Das Gesetz sieht für dritte und weitere Kinder ein Kindergeld in Höhe von 25 DM monatlich vor. Finanziert wird es von den Arbeitgebern, die einen bestimmten Prozentsatz des Lohns an so genannte Familienausgleichskassen abführen, die von den Berufsgenossenschaften verwaltet werden.

Sechs Jahre später weigern sich die Arbeitgeber allerdings kategorisch, auch für das von Wuermeling geplante Zweitkindergeld aufzukommen. Der Gesetzentwurf der Regierung sieht daher vor, es aus Steuermitteln zu finanzieren. Für die Auszahlung soll eine den Arbeitsämtern angegliederte Kindergeldkasse zuständig sein. Das Kindergeld für die dritten und weiteren Kinder hingegen soll weiterhin von den Familienausgleichskassen bezahlt werden.

Es ist dieses Nebeneinander von Kindergeldkassen und Familienausgleichskassen, an dem nicht nur die Presse heftige Kritik übt. In der Schlussdebatte im Bundestag am 29. Juni 1961 fordern die Fraktionen von SPD und FDP die Auflösung der Familienausgleichskassen und die Übernahme aller Kindergeldzahlungen aus Bundesmitteln durch die Finanzämter.

Genüsslich malt der FDP-Abgeordnete Wolfgang Stammberger aus, welch absurde Folgen die von der Regierung geplante Regelung im Einzelfall hat - etwa für Eltern, die nach dem ersten Kind Zwillinge bekommen. "Welcher Zwilling", so spottet er unter dem Beifall der Opposition, "muss nun zum Arbeitsamt, und welcher zur Berufsgenossenschaft? Vielleicht können die Eltern würfeln. Mir jedenfalls tun die armen Eltern Leid!"

Die Regierung gibt zu, dass auch ihr die Zweiteilung bei der Verwaltung des Kindergeldes nicht gefalle. Sie hält aber daran fest, weil die von der Opposition gewünschte Auszahlung des Kindergeldes über das Finanzamt bisher am Widerstand der Länder gescheitert ist. Zwei Stunden wird hitzig debattiert, dann stimmen alle Fraktionen mit großer Mehrheit dem Gesetzentwurf zum Zweitkindergeld zu.

Die von allen Fraktionen als notwendig erkannte grundsätzliche Reform der Kindergeldgesetzgebung indes lässt noch drei Jahre auf sich warten. Erst mit dem Bundeskindergeldgesetz von 1964 werden die Familienausgleichskassen aufgelöst und ein steuerfinanziertes Kindergeld eingeführt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.