Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 04.09.2006
Eckhard Jesse

Das Denken besetzen

Gewalt als Mittel zum Zweck

Der Terrorismus stellt eine spezifische Form des politischen Extremismus dar, der grundsätzlich den freiheitlichen Verfassungsstaat ablehnt. Durch die systematische Anwendung von politisch motivierter Gewalt, zum Beispiel auf ausgewählte Repräsentanten des "Systems" oder auf völlig Unbeteiligte, soll die "herrschende Schicht" verunsichert und die "unterdrückte Klasse" beziehungsweise die "unterdrückte Ethnie" mobilisiert werden - etwa dadurch, dass der Staat demoralisiert wird oder mit seinen Abwehrmechanismen überreagiert und Schwäche zeigt. Der Terrorismus, der seine Gewalttaten als Mittel zum politischen Zweck betrachtet, ist ein Ausdruck der Isolation von Minderheiten, die nicht an der Macht sind. Im Gegensatz zur Guerilla wohnt der Gewalt wesentlich eine kommunikative Funktion inne, keine militärische. Nach Franz Wördemann versucht der Terrorismus das Denken zu besetzen, die Guerilla den Raum. Die Art der vom Terrorismus angewandten gewaltsamen Mittel reicht von Banküberfällen und Entführungen über Bombenattentate bis zum Einsatz von Giftgas. Die Täter scheuen dabei selbst vor der Vernichtung des eigenen Lebens nicht zurück. "Den" Terrorismus gibt es dabei nicht. Vier Erscheinungsformen lassen sich nach der jeweiligen Zielrichtung unterscheiden: der sozialrevolutionäre, der rechtsextreme, der ethnische und der religiös-fundamentalistisch orientierte Terrorismus.

Vier Erscheinungsformen

Der sozialrevolutionäre Terrorismus will dem "Klassenstaat" den Kampf ansagen. Von neo-marxistischen Denkmustern inspiriert, such(t)en Gruppierungen Zuflucht im bewaffneten Kampf. Die Hoffnung, die Masse der als unterdrückt geltenden "Proletarier" werde dadurch aufgerüttelt, ging nicht auf. Diese Form des Terrorismus spielte vor allem in den 70er- und 80er- Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Rolle - etwa in Frankreich ("Action Directe") und in Italien ("Brigate Rosse"). Nach dem nahezu weltweiten Zusammenbruch des Kommunismus findet sich Terrorismus dieser Art vereinzelt noch in Lateinamerika. Nach Deutschland kam dieser Terrorismus 1970 mit dem Aufbau der "Roten Armee Fraktion" (RAF), außerdem gründeten sich die "Bewegung 2. Juni" und zahlreiche "revolutionäre Zellen". Der Höhepunkt des Terrorismus lag im Jahre 1977 mit den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, an dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank Jürgen Ponto sowie dem Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und seinen Begleitern, durchgeführt von einer "zweiten RAF-Generation". Die Morde in den 80er-Jahren an politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten des "Systems" gingen auf eine dritte Terroristengeneration zurück, die sich durch ein höheres Maß an Professionalisierung auszeichnete. 1998 gab die RAF in einer Erklärung ihr Ende bekannt.

Der rechtsextremistische Terrorismus spielte, anders als nach dem Ersten Weltkrieg, nach 1945 keine große Rolle. Zuweilen machten Kleingruppen oder Einzeltäter, zum Beispiel durch Bombenlegungen in Zügen, von sich reden (etwa in Italien). In der Bundesrepublik war dies nicht anders. Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre gab es einige terroristische Anschläge von rechtsextremistischen Gruppierungen, die schnell aufgelöst wurden. Den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in der ersten Hälfte der 90er-Jahre fehlt(e) es an Planungsintensität und Systematik, als dass sie als Terrorismus im engeren Sinne bezeichnet werden können. Diese Form gilt auch als "vigilantistischer Terrorismus". Er will nicht den Staat stürzen, sondern ihn stützen - zum Beispiel durch Angriffe auf Minderheiten wie Einwanderer.

Der ethnische Terrorismus wird von Minderheiten innerhalb eines Landes propagiert, die ein eigenes staatliches Gebilde anstreben. Die bedeutendsten Strömungen in Europa sind die katholische "Irish Republican Army" (IRA), die die Zugehörigkeit Nordirlands zu Großbritannien bekämpft, und die baskische "Euskadi Ta Azkatasuna" (ETA), die die Abtrennung des Baskenlandes von Spanien anstrebt. Beide Strömungen scheinen ihre Dynamik früherer Jahre eingebüßt zu haben. Die IRA hat ihren Kampf sogar eingestellt. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus sind ethnisch-nationalistische Gruppierungen auch in Osteuropa entstanden.

Der religiös-fundamentalistische Terrorismus wird von Heilsversprechungen und Missionseifer getragen. Vor allem der Islamismus bringt Selbstmordattentäter hervor, die als "Gotteskrieger" im "heiligen Krieg" gegen Andersgläubige zu Felde ziehen. Das bekannteste und weltweit operierende Terrornetzwerk Al-Qaida mit Osama Bin Laden an der Spitze ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter auf das World Trade Center am 11. September 2001. Die vor allem gegen Israel gerichteten Organisationen wie Hamas (vornehmliches Operationsgebiet: Palästina) und Hisbollah (vornehmliches Operationsgebiet: Libanon) zeichnen sich ebenfalls durch islamistischen Fundamentalismus aus. Nach Guido Steinberg bedarf es beim islamistischen Terrorismus der Differenzierung: Der regionale Terrorismus bekämpft den "nahen Feind", der transnationale zudem den "fernen Feind". Diese sich nicht auf ein Gebiet beschränkende Variante ist wegen ihrer Schrankenlosigkeit die gefährlichste - auch deshalb, weil sie von bestimmten Staaten wie Syrien und Iran mehr oder weniger (ideelle, logistische und materielle) Unterstützung erfährt. Dem Westen ist generell der Kampf angesagt.

Die Bekämpfung des Terrorismus erweist sich im Zeichen der Globalisierung zunehmend als eine internationale Aufgabe. Dabei bedürfen repressive Maßnahmen der Ergänzung durch präventive, um der Gefahren Herr zu werden - Patentrezepte greifen nicht.

Der Autor ist Professor im Fach Politikwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.