Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 04.09.2006
Lars-Broder Keil

Amateure und Glück

Erster Attentatsversuch in Deutschland
31. Juli, Köln: Zwischen 12.40 und 13.00 Uhr filmt eine Überwachungskamera an Gleis 3 des Hauptbahnhofs zwei Männer, die Trolley-Koffer hinter sich herziehen. Diese Koffer deponieren die Männer in zwei Zügen, wo sie später gefunden und auf den Hauptbahnhöfen von Dortmund und Koblenz abgegeben werden. Einen Tag später berichten Polizei und Staatsanwaltschaft, dass die Koffer selbst gebastelte Sprengsätze enthielten. Es stellt sich heraus, dass sie nur aufgrund eines Baufehlers nicht explodiert waren.

Am 18. August geht das Bundeskriminalamt in die Offensive und veröffentlicht Fahndungsfotos der beiden Bombenleger vom Kölner Hauptbahnhof. Anfang September befinden sich fünf Verdächtige in Haft: Einer der beiden mutmaßlichen Akteure, Youssef Mohammed E.H. (21), ein angehender Student, wird am 19. August auf dem Kieler Hauptbahnhof festgenommen; Dschihad Hamad (20), wohnhaft in Köln, stellt sich am 24. August auf Drängen seines Vaters im Norden Libanons selbst der Polizei. Beide waren noch am Tag des versuchten Anschlags in den Libanon geflüchtet, wobei Youssef Mohammed wieder zurückkehrte; beide hatten sich telefonisch bei ihren Eltern gemeldet, was ihnen zum Verhängnis wurde, weil der libanesische Geheimdienst die Telefone abhörte.

Ebenfalls verhaftet wurde Ende August der in Konstanz lebende Syrier Fadi A. S. (23). Ihm wird wie den anderen beiden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchter Mord und versuchtes Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion zur Last gelegt. Der Syrier soll mit Youssef Mohamad im Internet nach Anleitungen zum Bombenbau gesucht haben. Darüber hinaus sei Fadi A.S., der früher ebenfalls in Kiel lebte, seinen Mittätern bei deren Flucht über die Türkei und Syrien in den Libanon behilflich gewesen. Schließlich wurden im Norden Libanons ein Khaled Deep und ein Mann festgenommen, dessen Initialen mit A.H. angegeben wurden. Sie werden von libanesischen und deutschen Staatsanwälten verhört.

Außerdem prüfen die Sicherheitsbehörden mögliche Verbindungen zu Terrorgruppen und -netzwerken, beispielsweise zu Al-Qaida. Bislang handelt es sich bei den Festgenommenen offenbar um eine kleine Gruppe ohne feste Strukturen, die sich spontan zur Aktion entschlossen hatte.

Unklar sind noch die Hintergründe der Bekanntschaft mit dem Essener Autohändler Farouk el H. (45). Dieser hatte nach eigener Auskunft auf Bitten eines Bekannten für den mutmaßlichen Bombenleger Hamad gebürgt und ihn nach Deutschland eingeladen, damit er hier studieren konnte. Die Sicherheitsüberprüfung von Hamad hatte damals nichts Bedenkliches ergeben. Dem Verfassungsschutz war der "hilfsbereite" Autohändler Farouk el H. jedoch schon einmal aufgefallen, weil der Libanese mit deutschem Pass dem im Düsseldorfer El-Tawhid-Prozess verurteilten Hauptangeklagten Abu D. bei der Wohnungssuche geholfen hatte. Die islamistische El-Tawhid-Bewegung hatte laut Gericht antijüdische Anschläge in Düsseldorf und Berlin geplant. Nur ein Zufall?

Eine akute Anschlagsgefahr für Deutschland sieht das Bundeskriminalamt (BKA) nach den raschen Fahndungserfolgen zunächst nicht mehr. "Die Festnahmen haben dazu geführt, dass die Gefahrenspitze erst einmal gekappt ist", sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke. Trotzdem habe er Sorgen: Die Terrorgefahr sei in dem konkreten Fall erst spät erkannt worden. Tatsächlich haben vor allem Glück, das amateurhafte Verhalten der Verhafteten und die Mithilfe des libanesischen Geheimdienstes zum Erfolg beigetragen. Die Bomben explodierten nur nicht, weil sie fehlerhaft gebaut waren. Den deutschen Behörden fiel nicht auf, dass der festgenommene Youssef Mohamad ins Raster von Terrorverdächtigen passte. Sie verhinderten nicht, dass die Verdächtigen das Land nach der Tat verließen und Youssef unerkannt wieder einreisen konnte. Und es blieb ohne Konsequenzen, dass dieser im Februar bei einer Demonstration gegen die Mohammed-Karikaturen gefilmt wurde.

Damit hat der missglückte verlaufene Attentatsversuch die Debatte verschärft, wie die Gesellschaft reagieren soll. Gefordert werden zusätzliche polizeiliche Maßnahmen, verstärkte Videoüberwachung, Rail-Marshals, Gepäckkontrollen an Bahnhöfen, Kontrolle des Internets, Wiedereinführung der Rasterfahndung. Dabei werden in den kommenden Wochen ohnehin neue Gesetze verabschiedet. So will Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ein Ergänzungsgesetz zur Terrorismusbekämpfung im Parlament einbringen, das eine Ausweitung der Fahndung vorsieht. Vorgelegt werden soll außerdem ein Gesetz zu einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei. In Arbeit ist schließlich der Entwurf einer Kronzeugenregelung.

Terrorexperten und Sicherheitsbeamte warnen vor Schnellschüssen. Sie fordern statt dessen eine "nationale" Strategie der Kriminalitätsbekämpfung. Dazu gehöre eine zeitgemäße Sicherheitsstruktur, in der es keine Segmentierung im Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern und keine parallelen Ermittlungsstränge bei Zoll, Bundespolizei und BKA mehr geben dürfe. Zudem müssten die Ausbildung der Sicherheitskräfte endlich einen Schwerpunkt "islamischer Fundamentalismus" enthalten und die Experten enger als bisher in die Ideenfindung der Politik eingebunden werden. Einigkeit herrscht allerdings darin, dass der aktuelle Fall die Chance bietet, die Defizite zu beseitigen, sofern diese ohne Aktionismus betrachtet werden.

Der Autor ist Politikredakteur bei den Zeitungen "Die Welt" und "Berliner Morgenpost".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.