Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 04.09.2006
Udo Ulfkotte

Nachforschen verboten!

Islamistische Unterwanderung

Wer im Zusammenhang mit Aktivitäten ausländischer Mitbürger von "Unterwanderung" spricht, kommt schnell in den Ruch der Ausländerfeindlichkeit. Immerhin nutzen auch Rechtsextremisten den Begriff, um fremdenfeindliche Stimmung zu schüren. Doch wer die Augen vor heimlichen Unterwanderungsbemühungen verschließt, überlässt eben jenen tumben Rechtsextremisten das Feld und treibt ihnen - ungewollt - Wählerstimmen zu. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, die heimlichen Unterwanderungsbestrebungen westlicher Demokratien durch die Mutterorganisation aller islamistischen Terrorgruppen, der Muslimbruderschaft, aufzuzeigen. Auch in Deutschland verfolgt die Muslimbruderschaft das Ziel, den Rechtsstaat allmählich mit Hilfe rechtsstaatlicher Methoden zu zerstören.

Was aber verbirgt sich hinter der Muslimbruderschaft "Al-ichwan Al-muslimun"? Der 1928 in Ägypten von Hassan Al-Banna gegründete Geheimbund steht dem saudischen Wahhabismus nahe und wird heute vor allem aus Riad finanziert. Das Motto der Gruppe lautet: "Allah ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unser Gesetz. Der Dschihad ist unser Weg. Sterben auf dem Wege Allahs ist unsere größte Hoffnung." Nicht ohne Grund beobachtet der Verfassungsschutz die Unter- und Tarnorganisationen der Muslimbruderschaft in Deutschland. Viele der muslimischen Vereine und Verbände stehen nach Auffassung deutscher Sicherheitsbehörden der Muslimbruderschaft nahe. Doch nach den Medien machen derzeit selbst die Sicherheitsbehörden eine ungewohnte Erfahrung: Wer die vielen - eigentlich bekannten - Namen der Tarnorganisationen der Muslimbruderschaft öffentlich erwähnt, wird von diesen verklagt. Die Ziele, Förderung des Entstehens Islamischer Kalifate überall in der Welt, Unterstützung des Terrors und heimliche Unterwanderung von Demokratien, die nach Auffassung der Muslimbrüder gegen den Willen Allahs gerichtet sind, werden abgestritten.

Fast tausend Moscheen und Moscheevereine sollen in Deutschland nach Auffassung der Sicherheitsbehörden inzwischen an den Zielen der Muslimbruderschaft ausgerichtet sein. Die friedfertigen Mitglieder dieser Vereine haben meist keine Ahnung davon, welche langfristigen Ziele ihre Führer verfolgen. Doch die Hoffnung, der radikale Islamismus werde langfristig keinen Zuspruch unter den friedfertigen Muslimen westlicher Demokratien finden, hat sich als falsch erwiesen. Nach der Parole des früheren iranischen Revolutionsführers Ajatollah Khomeini "Weder Ost noch West, sondern Islam", kämpfen Islamisten der Muslimbruderschaft heute auch in Europa für ihre langfristigen Ziele.

Am 7. November 2001 fand die Schweizer Polizei in Campione bei einer Durchsuchung im Haus eines ranghohen europäischen Führers der Muslimbruderschaft einen am 1. Dezember 1982 verfassten 12-Punkte-Plan der Muslimbruderschaft zur langfristigen Unterwanderung Europas. Darin werden die Ziele der Muslimbruderschaft und die "kulturelle Invasion Europas" beschrieben: Immigration, Infiltration, Propaganda, Protest und heimliche Unterstützung des Terrors gelten demnach als legitim, um binnen eines Jahrhunderts mit Hilfe von saudischem Geld den wahhabitischen Islam überall zum einzig "wahren" Glauben zu machen. Die Strategie fordert dazu auf, Nichtregierungsorganisationen zu gründen und zu unterwandern, Interessenverbände zu gründen, eigene Sicherheitsstrukturen aufzubauen und jegliche Vertretung von Muslimen für die eigenen Interessen einzusetzen. Auch die Unterstützung von Dschihad-Gruppen durch Propaganda, finanzielle Zuwendungen und "operationelle Hilfe" wird in dem Dokument ausdrücklich als langfristige Strategie aufgeführt.

Deutsche Verfassungsschützer und europäische Sicherheitsbehörden haben diese Strategie gewaltbereiter Islamisten schon seit langem erkannt. Eine Handhabe, dagegen vorzugehen, gibt es jedoch nicht. Denn von politischen Parteien über Kirchen, Gewerkschaften, Verbände und Stiftungen sind inzwischen europaweit jene Muslime ihre Ansprechpartner, die den Idealen der Muslimbruderschaft nahestehen. Wie groß der Schock sein kann, wenn solche Ansprechpartner überraschend als mutmaßliche Unterstützer des Terrors entlarvt werden, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Frankreich. Als Ende Juni 2006 in Paris der Generalsekretär des Rats der Imame in Frankreich, Dhaou Meskine, wegen angeblicher Beihilfe zur Terrorfinanzierung angeklagt wurde, da waren nicht nur in Frankreich die Politiker aller Parteien sprachlos. Denn Dhaou Meskine wie auch sein ebenfalls angeklagter Sohn Malek galten über Frankreich hinaus in Europa als Vorbilder gelungener Integration, die um Annäherung der religiösen Gemeinschaften und um Mäßigung bemüht waren.

Wer sich mit den Hintermännern dieser langfristigen Unterwanderungsstrategie anlegt, Namen nennt und ihre Treffpunkte an die Öffentlichkeit bringt, braucht neben Recherchen und einem dicken Fell gegen vielfältige Drohungen vor allem gute Anwälte. Denn es ist nicht nur schwierig, die Hintermänner und ihre Organisationen ausfindig zu machen, sondern in vielen Fällen fast unmöglich, ihnen gesetzwidriges Verhalten nachzuweisen. Auch versuchen sie mit allen Mitteln, in den westlichen Demokratien die Berichterstattung zu verhindern. Wer es wagt, die wahre langfristige Strategie öffentlich zu nennen, wird als Anhänger der "Islamophobie" kritisiert. Eine der nächsten Bestrebungen der Islamisten wird es sein, "Islamophobie" zu einem Straftatbestand zu erheben, um jegliche Kritik an den Unterwanderungsstrategien auch strafrechtlich ahnden lassen zu können.

Vor mehr als einem Jahrzehnt schon warnte der israelische Militärtheoretiker Martin van Crefeld Politiker und Militärs eindringlich davor, die Globalisierung nichtstaatlicher Gefahren zu unterschätzen. Während westliche Politiker den Bevölkerungen in kurzfristiger Denkweise weismachen, die zivilisierte Welt stehe am Beginn einer neuen Ära mit einem friedlichen Wettbewerb zwischen Handelsblöcken, verdrängen sie eine sich seit Jahrzehnten abzeichnende, aber nicht in die Denkkategorien des Westens passende Entwicklung: An die Stelle früherer konventioneller Kriege, die zwischen sich befehdenden regulären Armeen ausgetragen wurden, treten seit fünf Jahrzehnten immer mehr Kriege zwischen ethnischen und religiösen Gruppen. Hinzu kommen bürgerkriegsähnliche Zustände in Regionen, in die die Probleme anderer Weltregionen importiert wurden.

Die Terroranschläge von Madrid und London sowie die Reaktionen der niederländischen Bevölkerung auf die Ermordung des Filmemachers van Theo van Gogh sind europaweit einheitlich: die Verschärfung der Sicherheitsgesetze. Mit immer neuen Überwachungspaketen werden zwar die bürgerlichen Freiheitsrechte aller Staatsbürger eingeschränkt, einen dauerhaften Schutz vor den langfristigen Zielen der Hintermänner gewaltbereiter Islamisten bieten sie jedoch nicht. Denn das übereinstimmende kurzfristige Interesse europäischer Politiker ist es, Terroranschläge zu verhindern. Nicht einer von ihnen jedoch verfolgt den einzig Erfolg versprechenden Weg: statt Taten zu verhindern Täter zu verhindern. Das kommt der Unterwanderungsstrategie der Muslimbruderschaft zugute. Diese wird kaum aufzuhalten sein. Immerhin haben die meisten Anhänger der radikalen Muslimbruderschaft längst die Staatsbürgerschaften von Mitgliedstaaten der EU.

Das alles sollte uns jedoch nicht bedenklich stimmen. Historisch gesehen sind Staaten keine homogenen Gebilde, die über Jahrtausende in ihrer ethnischen Zusammensetzung Bestandsschutz genießen. "Unterwanderung" ist damit ein in der Welt regelmäßig wiederkehrender und normaler Vorgang. Russland wird etwa um das Jahr 2050 herum nicht mehr mehrheitlich russisch-orthodox, sondern muslimisch geprägt sein. In europäischee Ballungszentren werden zur gleichen Zeit etwa Deutsche, die über viele Generationen deutsche Vorfahren haben, nur noch als Minderheiten leben. Wo aber steht geschrieben, dass diese Entwicklung anders sein sollte? Die Welt verändert sich stetig. Auch Europa. Weil Politiker aller demokratischen Parteien das Thema jedoch für tabu halten, dürfte "Unterwanderung" in Deutschland in absehbarer Zeit für negative Schlagzeilen sorgen: Dann, wenn Rechtsextremisten die Thematik für sich entdecken und mit ihren dumpfen Parolen gegen Ausländer hetzen werden. Die Politik hat es überall in Europa versäumt, bei der Ein- und Unterwanderung zwischen gewaltbereiten und friedfertigen Islamisten zu trennen. Fast alle gewaltbereiten Islamisten sind inzwischen in Europa eingebürgert worden. An jene, die es versäumt haben, die Augen vor den in diesem Zusammenhang ganz sicher kommenden Problemen zu öffnen, werden sich künftige Generationen wohl noch lange erinnern.

Der Autor ist freier Publizist und schreibt vorwiegend zum Thema Terrorismus.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.