Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 04.09.2006
Armin Pfahl-Traughber

Zerrbild Braune-Armee-Fraktion

Der deutsche Rechtsterrorismus konnte sich nicht etablieren

Beim Stichwort "Terrorismus" dachte man früher an die RAF und heute an Al-Qaida. Dabei geriet und gerät der "Terrorismus von rechts" aus dem Blickfeld - wofür es aber auch nachvollziehbare Gründe gibt: Weder in der Intensivität von Anschlägen noch in der Kontinuität von Handlungen kam dem Rechtsterrorismus eine ähnliche Bedeutung zu. Dennoch entstanden meist aus dem Neonazi-Spektrum heraus immer wieder Kleingruppen, die mit systematischer Gewaltanwendung politische Veränderungen in ihrem Sinne durchsetzen wollten. Genau in diesem Punkt unterscheiden sie sich von der Mehrheit der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die meist spontan aus einer Alltagssituation heraus entstehen. Anders formuliert: Vielfach wussten die Handelnden am Morgen nicht, dass sie am Abend zu Tätern wurden.

Ihren bisherigen Höhepunkt erreichten rechtsterroristische Entwicklungen Ende der 1970er- bis Mitte der 1980er-Jahre. So entstanden 1980 um Manfred Roeder, einen der "Gründungsväter" des deutschen Neonazismus, die "Deutschen Aktionsgruppen", die zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge insbesondere gegen Ausländerunterkünfte durchführten und dabei zwei Menschen töteten. Roeder konnte einige Zeit später verhaftet werden und erhielt eine 13-jährige Freiheitsstrafe. Die strukturell am weitesten entwickelte Gruppierung des Rechtsterrorismus entstand 1982 mit der "Hepp-Kexel-Gruppe", benannt nach ihren beiden führenden Aktivisten, den beiden Neonazis Odfried Hepp und Walther Kexel. Nach mehreren Banküberfällen ging man mit hohem planerischem Aufwand zu Anschlägen gegen Angehörige der US-amerikanischen Streitkräfte über. 1983 gelang es der Polizei, die Aktivisten der Gruppe zu verhaften. Lediglich Hepp entkam, konnte aber 1985 in einem anderen Zusammenhang verhaftet werden.

Bereits zuvor machten zwei Angehörige der "Wehrsportgruppe Hoffmann" mit brutalen Gewaltaktionen auf sich aufmerksam. Es handelte sich hierbei um eine gut 400 Personen starke paramilitärische Kampftruppe, die 1974 gegründet und nach ihrem Leiter Karl Heinz Hoffmann benannt wurde. In fiktiven Uniformen und ausrangierten Militärfahrzeugen trainierte man im freien Gelände den Partisanenkampf. 1980 kam es zum Verbot der Organisation, die zumindest eine wichtige "Durchlaufstation" für Rechtsterroristen war. So hatte etwa Gundolf Köhler, der Attentäter auf dem Münchener Oktoberfest von 1980, bei dem 13 Menschen getötet wurden, häufiger an Übungen der Gruppierung teilgenommen. Ende 1980 erschoss Uwe Behrendt, ebenfalls ein Mitglied der "Wehrsportgruppe Hoffmann", einen jüdischen Verleger und dessen Lebensgefährtin. Behrendt wohnte zur Tatzeit bei Hoffmann, dem allerdings keine Beteiligung durch Anregung oder Unterstützung nachgewiesen werden konnte.

Nach dem Ende der "Hepp-Kexel-Gruppe" bildeten sich keine ähnlich systematisch und zielstrebig vorgehenden Organisationen mehr heraus. Es entstanden lediglich Ansätze zu einem Rechtsterrorismus, die nie über ein frühes Entwicklungsstadium hinaus kamen. Die 1992 verbotene neonazistische "Nationalistische Front" (NF) hatte sich zuvor gespalten, weil ein Teil der Aktivisten ein militantes "Nationales Einsatzkommando" (NEK) aufbauen wollte. Die 1995 verbotene neonazistische "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) bekannte sich zur Anwendung von Gewalt und warb damit gezielt um Jugendliche. In beiden Fällen stoppte das Verbot eine mögliche Weiterentwicklung in Richtung Terrorismus. Darüber hinaus gab es eine Reihe von bislang nicht aufgeklärten Anschlägen, die aber offenbar nicht aus einer längerfristig agierenden Organisation heraus erfolgten. 1998 verübten etwa unbekannte Täter einen Sprengstoffanschlag auf das Grab von Heinz Galinski und 1999 auf die Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken.

Schließlich muss auch auf Einzeltäter hingewiesen werden: Zu ihnen gehörte etwa der Neonazi Kay Diesner, der 1997 mit einem Schrotgewehr in Berlin einen Buchhändler niederschoss. Der Täter ging davon aus, dass sein Opfer der PDS angehörte. Nach der Tat geriet Diesner zufällig in eine Polizeikontrolle und schoss dabei auf zwei Polizisten. Einer der Beamten starb an den Verletzungen. Diesner wurde 1997 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Bereits zuvor hatte zwischen 1993 und 1995 eine Serie von Briefbombenanschlägen in Österreich, aber auch in Deutschland für große Aufmerksamkeit gesorgt. Mehrere Empfänger wurden dadurch schwer verletzt. Außerdem starben vier Roma durch eine Sprengfalle. Zu den Taten bekannte sich eine "Bajuwarische Befreiungsarmee" (BBA), die aber nur aus einer Person bestand. Es handelte sich um den offenbar geistig verwirrten Österreicher Franz Fuchs, der nach seiner 1999 erfolgen Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe 2000 Selbstmord beging.

Während in den ganzen 1990er Jahren keine rechtsextremistische Gruppierung als terroristisch gelten konnte, gab es im Zeitraum 2003 und 2004 gleich zwei Fälle im oben definierten Sinne: Eine sich "Freikorps Havelland" nennende Vereinigung von 15- bis 19-Jährigen im Brandenburger Raum verübte geplant und systematisch zahlreiche Brandanschläge auf ausländische Imbissbetreiber, um diese aus der örtlichen Region zu vertreiben. Eine als "Schutzgruppe" firmierende Vereinigung von Personen aus der neonazistischen "Kameradschaft Süd" plante für den 9. November 2003 einen Sprengstoffanschlag, der die Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums in München verhindern sollte. Nach der Verhaftung dieser Aktivisten gibt es in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen mehr. Die Neonazi-Szene lehnt ein Vorgehen in diesem Sinne auch überwiegend ab - jedoch primär aus taktischen Gründen, da sie ein schlechtes Image und staatliche Repression befürchtet. Darüber hinaus konnte keine der Gruppierungen längerfristig funktionierende Strukturen entwickeln und länger als ein Jahr aktiv sein.

Insofern stellt die mitunter von Medien und Politikern genutzte Formulierung "Braune Armee Fraktion" ein unangemessenes Zerrbild vom gewaltbereiten Rechtsextremismus dar. Dennoch können diese Erkenntnisse nicht vollständig beruhigen, bestehen doch durchaus latente Potenziale für eine Entwicklung hin zum Rechtsterroismus. Dafür sprechen etwa die kursierenden Anleitungen zum militanten bis terroristischen Vorgehen und regelmäßige Funde von Sprengstoff und Waffen bei Szene-Angehörigen. Auch wenn Debatten und Forderungen zur Gewaltanwendung in den letzten Jahren stark rückläufig waren, schließt dies nicht die Verselbstständigung von Einzeltätern oder Kleingruppen aus. Gerade ihre Gewalttaten nahmen in der Vergangenheit eine weitaus größere Dimension als die von weiter entwickelten rechtsterroristischen Gruppen an.

Der Autor ist Professor an der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Öffentliche Sicherheit. Eine ausführliche Darstellung und Analyse zum Thema erscheint im "Jahrbuch Öffentliche Sicherheit" 2006/07.


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