Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 04.09.2006
Claudia Sautter

Tödliche Konversationen

Wie islamistische Terroristen im Netz surfen

Die libanesischen Kofferbombenattentäter brauchten kein Handbuch aus der Bibliothek. Nur mit einem Mausklick fanden sie die Anleitung zum Bombenbau. Die Zahl der Webseiten, die minutiös schildern, wie man Anschläge vorbereitet, ein Selbstmordattentat verübt oder Propaganda betreibt, schätzen Fachleute auf 4.500. Sie sind schwer zu überwachen, weil nicht nur die Terror-Seiten im Netz vagabundieren.

Im Internet werden Kämpfer geworben und ideologisch aufgerüstet - mit Hilfe der spektakulären Bildsprache Hollywoods. Die Videos, die etwa die Propagandaabteilung der Al-Qaida, As-Sahab-Media, ins Netz stellt, sind aufgemacht wie Popfilme. Da ziehen die Kameramänner der Al-Qaida "eingebettet" mit ins Gefecht gegen britische oder amerikanische Soldaten, nehmen minutiös die Vorbereitungen für Anschläge auf, zeigen minutenlang Sperrfeuer gegen die "feindlichen Kreuzzügler" und am Ende der Schlacht siegen immer Muslime. Ein lokaler Kommandeur fragt die Zuschauer: "Warum kommt ihr nicht hierher und kämpft mit uns? Verteidigt unser Land mit euren Brüdern gegen die Feinde des Islams." Downloaden können sich die Nutzer auch Hinrichtungs-Videos und die Auftritte von Selbstmordattentätern, die sich vor ihren Anschlägen mit der Waffe in der Hand von ihren Angehörigen verabschieden.

Im Internet finden junge Muslime aber auch ganz praktische Lebenshilfe. So verbreitete der ägyptische Imam des "Multikulturhauses", Dr. Yehia Yousif, jahrelang von Neu-Ulm aus sein ganz spezielles Islam-Curriculum unter der Adresse www.al-imam.net. Die Schüler lernten nach einem Frage-Antwort-Schema. Darf ein Moslem einen Ungläubigen zum Freund haben? Nein, denn der Moslem könnte dadurch negativ beeinfusst werden. Ist Selbstmord eine Sünde? Märtyrer sind keine Selbstmörder, da sie anderen Moslems helfen. Der Märtyrertod zum Schutz der Freiheit, Ehre, Familie, von Glauben und Besitz ist kein Selbstmord, er ist der beste Tod. Das Neu-Ulmer "Multikulturhaus" wurde erst Ende 2005 nach einem Verbot des bayerischen Innenministeriums geschlossen.

Das Internet ist auch Schlachtfeld ideologischer Auseinandersetzungen unter Terroristen. So kritisierte beispielsweise der in London lebende Syrer Abu Basir Al-Tartusi die Attentäter der Londoner Anschläge vom 7. Juli 2005, bei denen 56 Menschen ums Leben kamen. Am 9. Juli publizierte er auf seiner Webseite eine "Fatwa", ein islamisches Rechtsgutachten, das die Attentate auf Zivilisten als "schändlichen Akt ohne Tapferkeit und Moral" bezeichnete, und löste eine heftige Debatte im Web aus. Muslime, so hieß es in einer harschen Einlassung, bräuchten keine Fatwa, wenn ein Anschlag "im Feindesland" stattfände, "denn ein solcher Anschlag sei integraler Teil der Sunna", der Tradition des Propheten. Jede Verurteilung der Attentate vom 7. Juli 2005 widerspreche dem Islam. "Ich warne meine Glaubensbrüder, gerade jetzt die Mudschaheddin zu kritisieren", schrieb der anonyme Kritiker der Fatwa.

Die Debatte erlaubt nicht nur einen Einblick in die "tödlichen Konversationen" unter Islamisten. Sie ist auch ein Fenster zu einer Welt, über die wir bislang wenig wissen. Im Internet wird längst der Nachwuchs für den "Heiligen Krieg" rekrutiert. Allein auf Kinder ist die Seite www.awladnaa.net zugeschnitten. Die Webseite preist den Dschihad und schildert seine Kämpfer als Helden, deren Geschichten sich die Kinder in Comicstrips ansehen können. Die Juden, so sollen schon die Jüngsten lernen, seien "für den Tod von 25 von Allahs Propheten verantwortlich", habituelle Kindermörder seien sie sowieso. Eigens für die Mütter der kleinen Muslime ist eine Internetzeitung erschienen, die Al Khansa heißt. Zwar wurde sie inzwischen in Saudi-Arabien gesperrt, aber sie zirkuliert in Kopien weiter. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis: "Wir müssen die Ungläubigen von der Arabischen Halbinsel vertreiben." Die Ungläubigen hätten bereits zahlreiche muslimische Jungfrauen vergewaltigt, viele Muslime hätten vergessen, was ihnen bereits alles angetan wurde. Doch damit sei es nun vorbei, weil die muslimischen Frauen selbst in den Kampf zögen und eine regelrechte Frauenarmee bildeten. "Gott hat uns auch erlaubt zu kämpfen, und wenn wir kämpfen und sterben, ist das der beste Tod." Um für diesen Kampf fit zu sein, empfiehlt Al Khansa Liegestütze, mindestens zehn hintereinander, sowie Jogging für die Lockerung der Muskeln und die richtige Atmung. Und nie darf eine echte Muslima vergessen: "Unser erster Dschihad ist die Erziehung unserer Kinder."

Allein aus Neugier besuchen viele Muslime diese Seiten - da nützt es auch nichts, dass sie relativ schnell von den Providern gesperrt werden. Die Urheber kennen sich im Internet bestens aus und nutzen die kostenlosen "freien" Seiten, die es ermöglichen, Botschaften ins Web zu stellen, ohne dass der Absender erkennbar ist. Schwierig ist auch die Überwachung der chatrooms. Dort werden Trainingsanweisungen und Reiserouten zu Lagern im Irak, Afghanistan und Tschetschenien durchgegeben. Wenn die Besucher dieser Gesprächsrunden in Internetcafés sitzen, haben die Nachrichtendienste kaum eine Möglichkeiten mitzubekommen, was in diesen privaten chatrooms besprochen wird. Dabei sind sich die Dienste in einem sicher: Junge Männer radikalisieren sich immer schneller - und das Internet spielt dabei eine entscheidende Rolle. 

Die Autorin ist politische Redakteurin beim Hessischen Rundfunk. Gerade erschien ihr Buch "Die Kinder des Dschihad".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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