Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 11.09.2006
Ulrike Schuler

Der eiskalte Karrierist

Dokumentenband über Albert Speer

Die Akte Speer kann noch lange nicht geschlossen werden" - dieses Fazit hat Heinrich Breloer dazu veranlasst, seinem Fernsehfilm "Speer und Er" ein drittes Schriftwerk über Hitlers Lieblingsarchitekten folgen zu lassen. Nach dem Buch zum Film und der Interviewsammlung "Unterwegs zur Familie Speer" hat er mit "Die Akte Speer. Spuren eines Kriegsverbrechers" einen Dokumentenband zum Thema vorgelegt.

Breloer und sein Co-Autor Rainer Zimmer bieten reichhaltiges Quellenmaterial zu der Frage, inwiefern Albert Speer mitverantwortlich für die nationalsozialistischen Verbrechen war und was er vom Massenmord an den Juden wusste. Breloer ist es ein spürbares Anliegen, den gut davongekommenen NS-Rüstungsminister als Wissenden und Mittäter zu entlarven. Mit leicht ironischem Unterton behandelt er Speers sich selbst entlastende Äußerungen.

Dabei wird die Verantwortlichkeit Speers besonders in drei Bereichen offensichtlich: Es war die Idee des 1937 zum Generalbauinspekteur ernannten Speers, Wohnungen von Juden zu räumen, um dort "Abrissmieter" unterzubringen, die wegen seiner Bauvorhaben ausziehen mussten. Die Juden kamen zunächst in "Judenhäuser", dann in Ghettos, schließlich in Konzentrationslager. Zum Zweiten drängte Speer immer wieder bei verschiedenen Stellen auf "Menschenmaterial". Zwangsarbeiter sollten dafür sorgen, dass seine Bauaktivitäten und die Rüstungswirtschaft nicht ins Stocken gerieten. Ihr Schicksal war Vernichtung durch Arbeit. Darüber hinaus wurden auf seine Anregung Steinverarbeitungsstätten in Konzentrationslagern errichtet, um den Bedarf an Naturstein und Ziegeln für NS-Großbauten zu sichern. Einige neue Konzentrationslager wurden daraufhin in der Nähe von Steinbrüchen eingerichtet.

Lassen sich diese drei Aspekte der Verantwortlichkeit recht klar belegen, wird es bei der Frage nach Speers Wissen um den Holocaust heikler. Speer genehmigte als Minister für Bewaffnung und Munition im September 1942 den Ausbau von Auschwitz-Birkenau und stellte dafür 13,7 Millionen Reichsmark zur Verfügung. Ein Dokument mit dem Vermerk "Vorhaben Kriegsgefangenenlager Auschwitz (Durchführung der Sonderbehandlung)" über den anvisierten Lagerausbau führt auch Krematorien, "Entwesungsanlagen" und Leichenkeller auf. Es sei Speer von der SS-Zentralbauleitung übermittelt worden. "Entwesungsanlagen" solcher Größenordnung hätten jeden Architekten höchst aufmerksam machen müssen, meint Breloer. Zudem verweist er auf einen Aktenvermerk der SS über eine Inspektion von Auschwitz durch Mitarbeiter aus Speers Ministerium im Mai 1943. Die Emissäre besichtigten das KZ, und Lagerkommandant Rudolf Höß hielt einen Vortrag über "Entstehung und Zweck" der Anlage. Was sie ihrem Chef von den Vorgängen dort berichteten, lässt sich nicht nachweisen, doch für den Autor ist der Vorgang eines von vielen Indizien, die dafür sprechen, dass Speer sehr viel mehr wusste, als er später zugab.

Die Quellen in Breloers Buch zeigen vor allem, mit welcher Kälte Speer auf Kosten von Menschenleben seine Ziele anstrebte. Für die Schicksale hinter seinen Statistiken und Kosten-Nutzen-Rechnungen interessierte er sich nicht im Geringsten. Anschaulich beschreibt Breloer das anhand des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora, in dem sich ab August 1943 Häftlinge für die "Wunderwaffe" V-2 zu Tode schufteten. In einem Interview mit dem amerikanischen "Playboy" von 1971, das im Buch zitiert wird, sagte Speer auf die Frage, wie er der Verfolgung der Juden zusehen konnte: "Indem ich sie nicht mehr als Menschen ansah."

Das taktische Verschleiern historischer Fakten und seine sympathische Ausstrahlung hätten Speer geholfen, so Breloer, dem Todesurteil durch das Nürnberger Tribunal zu entgehen und nach seiner 20-jährigen Haft das Selbstbild eines "geläuterten Edelnazis" zu entwerfen. Er habe auch das Glück gehabt, dass viele Dokumente über seine Täterschaft erst nach und nach zum Vorschein gekommen seien.

Dieser Quellenband entzieht Speers Eigendarstellung als einen in seine großen Ideen versponnenen Künstler, der sich für das Politische nicht interessierte, ein gehöriges Stück an Boden. Doch die Autoren haben Recht mit ihrer Schlussfolgerung, dass keineswegs alles geklärt ist um das Thema Schuld und Verantwortung von Hitlers Lieblingsarchitekten.

 

Heinrich Breloer / Rainer Zimmer: Die Akte Speer. Spuren eines Kriegsverbrechers. Propyläen Verlag, Berlin 2006; 512 S., 24,90 Euro.


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