Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 11.09.2006
Daniela Weingärtner

Außenpolitischer Chor mit vielen Stimmen

Europas Reaktion auf die Libanon-Krise
Die europäische Nahost-Politik scheint endlich Tritt zu fassen. Während des Libanon-Krieges bot die EU - wie schon zu Beginn der Balkankrise - ein Bild der Sprachlosigkeit und Uneinigkeit. Doch nun scheint ein Weg gefunden: Nach dem Zaudern Frankreichs kam der entscheidende Vorschlag nicht aus Brüssel, sondern aus Rom. Italiens Angebot, 3.000 Soldaten zu schicken, brachte auch andere Länder in Zugzwang. Deutschland will sich mit Marine-Einheiten an dem Einsatz beteiligen.

Bei der Plenardebatte am 7. September im Europaparlament erntete die neue Regierung in Rom für ihre beherzte Offerte viele Komplimente. Er hätte sich allerdings gewünscht, sagte Grünen-Sprecher Daniel Cohn-Bendit, dass die Europäer ein gemeinsames Kontingent für die neue UN-Mission entsandt hätten, ohne den Anteil an französischen, italienischen oder deutschen Soldaten fein säuberlich auszurechnen. Graham Watson, der Vorsitzende der liberalen Partei, gratulierte dem italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi "zu seinem Mut, unsere Anstrengungen in dieser Frage koordinieren zu wollen". Er lobte auch Entwicklungshilfekommissar Louis Michel für seine schnelle Hilfe für die betroffenen Menschen.

Die EU spiele eine "völlig neue Rolle", erklärte Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner in ihrer Rede vor dem Parlament. 50 Millionen Euro habe die EU-Kommission für Wasserversorgung, sanitäre Anlagen und Notunterkünfte bereit gestellt. Elf Millionen seien für die Evakuierung von Ausländern aus dem Kriegsgebiet ausgegeben worden. Bei der Geberkonferenz in Stockholm vor zwei Wochen habe die Kommission 42 Millionen Euro für den Wiederaufbau zugesagt.

Mehrere Abgeordnete kritisierten allerdings die zögerliche Rolle, die die EU bislang in der Krisenregion gespielt habe. Der grüne Abgeordnete Johannes Voggenhuber sagte, das Parlament warne seit drei Jahren davor, dass die Hisbollah militärisch aufrüste. Die EU habe diese Entwicklung verschlafen. Graham Watson wetterte gegen das unverändert einzelstaatliche Denken in den Köpfen der meisten Regierungschefs. "Uns wurde gesagt, das Ganze ist eine bilaterale Angelegenheit zwischen einzelnen EU-Staaten und der UNO. Warum steht uns Javier Solana heute nicht Rede und Antwort? Er hat ein Mandat für die europäische Außenpolitik!"

Erst Ende August, bei einem Sondertreffen mit UN-Generalsekretär Kofi Annan in Brüssel, zeigten die Außenminister erstmals Bereitschaft, sich gemeinsam im Libanon zu engagieren. Drei Tage zuvor hatte Romano Prodi die Franzosen mit seinem Vorschlag beschämt, die Hauptlast der neuen Truppe zu übernehmen. Daraufhin sah sich Jacques Chirac in Zugzwang und kündigte ebenfalls ein großzügiges Kontingent an. Am Ende des Tages konnte Kofi Annan mit der Gewissheit in die Krisenregion weiterreisen, dass etwa 7.000 europäische Soldaten für die neue UNIFIL-Mission zur Verfügung stehen würden.

Als Annan am Nachmittag erleichtert vor die Presse trat, bezeichnete er das europäische Kontingent mehrfach als "Rückgrat" der neuen Truppe. Diesen Begriff hat sich inzwischen der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy zu eigen gemacht. Bei einem Botschaftertreffen vergangene Woche in Berlin sagte er: "Dies ist der Beginn eines Europa als Einheit, dies ist ein Europa, das ein Gesicht hat und eine Rolle spielen wird." Und sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier ergänzte kaum weniger euphorisch, die internationale Rolle der EU habe "eine neue Qualität." Für Javier Solana, den außenpolitischen Vertreter der EU, ist die europäische Beteiligung an UNIFIL II nichts weniger als "die wichtigste Entscheidung, die die Europäische Union in vielen Jahren getroffen hat." Immerhin zeigten Redebeiträge der Abgeordneten und der zuständigen Kommissarin vergangene Woche bei der Libanon-Debatte in Straßburg ebenso wie Äußerungen der Außenminister bei ihrem Treffen drei Tage zuvor im finnischen Lappeenranta, dass sich die Positionen in der Nahost-Politik annähern. Es rückt allmählich wieder die Erkenntnis in den Blick, dass keiner der Konflikte in der Region isoliert behandelt und gelöst werden kann. Graham Watson griff Romano Prodis Vorschlag auf, eine europäisch-arabische Bank für Entwicklungsprojekte zu gründen. Sozialistenchef Martin Schulz schlug vor, eine Sicherheitskonferenz der Mittelmeeranrainer zusammen zu rufen. Benita Ferrero-Waldner sagte, Palästinenserpräsident Abbas müsse ein positives Signal erhalten. "Unser langfristiges Ziel muss der Aufbau eines palästinensischen Staates sein. Das heißt auch, dass die EU pragmatisch mit einer Regierung der nationalen Einheit umgehen muss. Ich wiederhole: Wir arbeiten mit jeder Regierung zusammen, die den Frieden mit friedlichen Mitteln durchsetzen will." Die Kommissarin erinnerte an das humanitäre Engagement der EU in Palästina: "Aber wenn die politische Isolierung, die Sperrung von Grenzübergängen, die israelische Weigerung, den Palästinensern zustehende Zölle weiterzuleiten, fortdauert, können wir wenig tun, um die Situation auf Dauer zu verbessern."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.