Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 11.09.2006

Es stehen Vorwürfe im Raum

Interview mit dem Europaabgeordneten Cem Özdemir (Grüne)
Im August kam Murat Kurnaz, ein in Bremen geborener türkischer Staatsbürger, nach mehr als viereinhalb Jahren aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo frei. In dieser Woche beschäftigt sich der CIA-Auschuss des Europaparlaments, dem auch Cem Özdemir angehört, mit dem Fall des 24-Jährigen.

Das Parlament        Bleibt es dabei, dass Murat Kurnaz am 14. September vom CIA-Ausschuss des Europaparlamentes angehört wird?

Cem Özdemir         Murat Kurnaz kommt nicht. Sein Anwalt wird ihn vertreten. Er will selber in nächster Zeit nirgendwo aussagen. Er hat sich einmal fotografieren lassen, ohne zu sprechen. Der Einladung vor unseren Ausschuss muss er nicht folgen. Die Vorladung vor den BND-Ausschuss des Bundestages ist hingegen bindend, da die Aussagen gerichtsverwertbar sein könnten. Jetzt muss man sehen, wie man aus diesem Dilemma herauskommt, denn er möchte nicht.

Das Parlament        Warum kommt der Fall Kurnaz überhaupt vor den CIA-Ausschuss? Der hatte sich ursprünglich einen anderen Untersuchungsauftrag gestellt, nämlich illegale CIA-Aktivitäten in Europa und eine mögliche Beteiligung von EU-Regierungen aufzuklären.

Cem Özdemir Das ist eine berechtigte Frage. Kurnaz ist ja außerdem noch türkischer Staatsbürger. Man könnte also der Meinung sein, hier sei die Türkei zuständig. Es stehen aber Vorwürfe im Raum, die alte rot-grüne Bundesregierung hätte sich nicht ausreichend um ihn gekümmert und die Möglichkeit nicht genutzt, ihn früher freizubekommen.

Das Parlament        Wie kann die EU auf die USA einwirken, um zu erreichen, dass das Lager Guantanamo geschlossen wird?

Cem Özdemir         Für die Amerikaner ist die öffentliche Meinung in Europa wichtig. Als wir unsere Ausschussreise in die USA gemacht haben, ist das sehr deutlich geworden. Es geht um das Bild Amerikas in der Welt. Es geht aber auch darum, die Zusammenarbeit zwischen den amerikanischen und europäischen Geheimdiensten kritisch zu durchleuchten. Das führt dazu, dass europäische Regierungen nun viel genauer hinschauen, was ihre Dienste eigentlich machen.

Das Parlament        Mit diesem Argument kann man jede demokratische Bemühung ersticken ...

Cem Özdemir         Alles was man unternimmt, muss man im Falle eines erfolgreichen Anschlags politisch durchhalten. Die Journalisten sind die ersten, die den Vorwurf erheben, die Arbeit der Geheimdienste sei durch übertriebene rechtsstaatliche Bedenken behindert worden.

Das Parlament        Man hört, die Bush-Regierung würde das Lager am liebsten auflösen, das es zu einer schweren Belastung für Amerikas Ansehen in der Welt geworden ist. Aber es werden Aufnahmeländer für diejenigen Gefangenen gebraucht, die von ihren Herkunftsländern nicht zurück genommen werden.

Cem Özdemir         Eines ist klar: Wenn man Guantanamo auflöst, muss man für diejenigen, denen die US-Behörden nichts nachweisen konnten, eine Lösung finden. Die kann man nicht in Länder schicken, wo ihnen möglicherweise Folter und neue Haft drohen. Die Europäische Union sollte bereit sein, sie aufzunehmen. Natürlich macht man sich mit so einer Forderung nicht populär, weil es heißt, man könnte sich Terroristen ins Land holen. Außerdem sagen die Amerikaner informell, wir müssten diejenigen, die wir aufnehmen, rund um die Uhr bewachen. Wie soll das gehen in einem Rechtsstaat? Aber es darf nicht dazu führen, dass Leute in Guantanamo bleiben müssen, nur weil sich keine Aufnahmeländer finden.

Das Interview führte Daniela Weingärtner


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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