Das politische System der Slowakei
Die Slowakei (5,4 Millionen Einwohner, 49.000 Quadratkilometer Fläche), seit dem 1. Januar 1993 selbständige Republik, hat nach dem Ende des Kommunismus ein parlamentarisches Regierungssystem eingeführt.
Dem Parlament (Nationalrat) gehören 150 Abgeordnete an. Sie werden in direkter Wahl für vier Jahre gewählt. Zum vorrangigen Aufgabenbestand des Nationalrats gehören die Gesetzgebung und die Kontrolle der Regierung, deren parlamentarische Verantwortlichkeit vor allem dadurch gewahrt wird, dass die Abgeordneten der Regierung insgesamt oder einem ihrer Mitglieder mit absoluter Mehrheit das Misstrauen aussprechen und damit die Entlassung erzwingen können.
Ergänzend zur repräsentativen Demokratie enthält die Verfassung weitreichende direktdemokratische Regelungen. Es gibt zum einen das obligatorische Referendum: Der Beitritt zu einem Staatenverband (beziehungsweise der Austritt) bedarf der Bestätigung durch die Bevölkerung. Zum anderen kann durch Volksabstimmung über weitere Fragen von öffentlichem Interesse entschieden werden. Zur Einleitung einer fakultativen Abstimmung sind zwei alternative Verfahrenswege vorgesehen: Sie wird entweder aufgrund eines entsprechenden Begehrens von mindestens 350.000 Wahlberechtigten oder aufgrund eines entsprechenden Parlamentsbeschlusses durchgeführt. Bisher haben schon mehrere Plebiszite stattgefunden; lediglich eines war im Sinne seines Anliegens (Zustimmung zum EU-Beitritt) erfolgreich.
Staatliches Oberhaupt ist der Präsident der Republik, der von der Bevölkerung für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt wird. Er nimmt im wesentlichen repräsentative Aufgaben wahr. Er vertritt die Republik nach außen, ist nomineller Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt hohe Funktionsträger. Zu seinen politischen Kompetenzen zählt, dass er das Parlament in bestimmten Konfliktsituationen auflösen kann (unter anderem dann, wenn es binnen sechs Monaten nach den Wahlen einer Regierung dreimal das Vertrauen verweigert hat). Er ernennt den Ministerpräsidenten, wobei er im Rahmen der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse einen gewissen Gestaltungsspielraum hat. Der Präsident ist weiterhin berechtigt, jedes vom Nationalrat verabschiedete Gesetz mit einer Begründung zurückzuweisen; sein suspensives Veto kann das Parlament nach nochmaliger Beratung mit einfacher Mehrheit ausräumen.
Die Regierung besteht aus dem Ministerpräsidenten, seinen Stellvertretern und den Ministern. Sie muss binnen 30 Tagen nach ihrer Ernennung durch den Staatspräsidenten dem Parlament ihr politisches Programm vorlegen und gleichzeitig die Vertrauensfrage stellen, über die mit einfacher Mehrheit entschieden wird. Die Verfassung gibt der Regierung als Kollegium eine starke Stellung; es entscheidet über das politische Programm der Regierung und seine Durchführung. Zur Annahme eines Kabinettsbeschlusses ist die Mehrheit seiner Mitglieder erforderlich. Der Ministerpräsident besitzt keine formelle Richtlinienkompetenz. Er hat einen gewissen Spielraum bei der Besetzung der Ministerposten, sofern dem nicht politische Rücksichtnahmen entgegenstehen. Seit der Wende sind in der Slowakei stets Koalitionsregierungen gebildet worden.
Die Kommunen auf der unteren Stufe und die Bezirke auf der oberen haben das Recht der Selbstverwaltung. Die ungefähr 2.800 Gemeinden haben im Rahmen der allgemeinen Gesetze dieses Recht in Angelegenheiten ihrer örtlichen Gemeinschaft. Ihnen kann aber auch die Ausführung staatlicher Verwaltungsaufgaben übertragen werden. Zu den vielfältigen Aufgaben der oberen Stufe der Selbstverwaltung, der acht Bezirke des Landes, zählen die Umsetzung von bestimmten Entwicklungsprogrammen und der überörtliche Umweltschutz. Die demokratische Mitwirkung der ansässigen Bevölkerung an der Selbstverwaltung wird gewährleistet durch Gemeindeversammlungen, durch Abstimmungen in Kommunen und Bezirken sowie durch gewählte Organe, bestehend aus der Gemeinde- oder Bezirksvertretung und dem Bürgermeister oder dem Bezirksvorsitzenden.
Die allgemeine Gerichtsbarkeit kennt ein Oberstes Gericht und als Instanzgerichte die Bezirks- und Kreisgerichte, die in Zivil- und Strafsachen sowie in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten gleichermaßen zuständig sind. Die Richter werden auf Vorschlag eines unabhängigen Richterrates vom Staatspräsidenten ernannt.
Zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns besteht als eigenständiges Organ das Verfassungsgericht, das über umfangreiche Kompetenzen verfügt. Es entscheidet unter anderem im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung), bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen zentralen Staatsorganen sowie über Be-schwerden wegen der Verletzung von Grundrechten. Das Gericht hat in den 90er-Jahren eine wichtige Rolle bei der Festigung der Verfassungsordnung gespielt.
Das Parteiensystem der Slowakei ist bis heute noch nicht konsolidiert. In und unmittelbar nach der politischen Wende von 1989 waren zahlreiche Parteien gegründet worden, die sich jedoch nicht zu einem stabilen System fügten. Parteiinterne Konflikte und Abspaltungen führten immer wieder zur Gründung neuer Parteien. Im wesentlichen sind zwei Parteienlager entstanden. Das eine kann man als national-populistisch bezeichnen, in dem politisch ein breites Links-Rechts-Spektrum vertreten ist. Die größte Bedeutung kommt hier der HZDS (Bewegung für eine Demokratische Slowakei) zu. Parteien dieser Gruppierung haben das Land mit kurzer Unterbrechung bis 1998 regiert. Das andere Lager besteht aus Parteien mit konservativer oder sozialdemokratischer Programmatik und ist stärker auf die euro-atlantische Integration hin orientiert. Seine wichtigste politische Kraft ist die SDKU (Slowakische Demokratische und Christliche Union), die auch den derzeitigen Ministerpräsidenten stellt.
Die Interessenverbände spielen eine beachtliche Rolle im politischen Prozess. Gewerkschaften, Unternehmerverbände und die Regierung sind in einem institutionalisierten Rat vertreten, in dem Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung behandelt werden. Die korporatistischen Strukturen haben sich jedoch nicht bewährt. Stattdessen hat die Kommunikation der Verbände aus dem Spektrum der gesellschaftlichen Interessen mit der Politik zugenommen.
Rüdiger Kipke
Rüdiger Kipke ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen.