Ungarns EU-Außengrenzen
Abgesehen von den politischen Implikationen - es wird sich dadurch auch ganz praktisch etwas ändern, und zwar an den Grenzen selbst. Die Kontrollen im Süden und Osten des Landes, also zu den Ländern, die der Europäischen Union nicht beitreten, werden sich verschärfen. Doch was bedeutet das genau?
Der normale Reisende bemerkt beim Grenzübertritt ab dem 1. Mai zunächst noch keinen großen Wandel. Er reiht sich, ob zu Fuß oder mit dem Auto, in die Schlange ein und gibt, wenn er an der Reihe ist, sein Visum oder Ausweisdokument ab. Die Grenzbeamten kontrollieren. Das einzige, was dem Passanten hierbei möglicherweise auffällt, ist, in welch neuem Glanz die Grenzanlage samt technischer Ausrüstung erstrahlt. Das hätte er allerdings auch schon vor Monaten bemerken können. Denn die ungarischen Grenzbehörden haben ihre alten Kontrollanlagen schon im Laufe der vergangenen drei Jahre renoviert und durch EU-konforme technische Einrichtungen ergänzt. Die Europäische Union wird außerdem die neuen Mitglieder in rund zwei Wochen an ihr gemeinsames kriminalistisches Informationsnetz anschließen. Und für diese neue Installation brauchten die meisten Beitrittsländer neue Computer.
"Der 1. Mai bringt für uns an sich nicht viel neues", erzählt ein ungarischer Grenzbeamter. "Wir bereiten uns ja schon seit Jahren darauf vor". Im Januar 2001 hat Ungarn eine "Strategie zur integrierten Entwicklung von Grenzübergängen" verabschiedet. Sie bezieht alle für die Kontrolle der Außengrenzen zuständigen Organe, vor allem den Grenzschutz, die Zoll- und die Finanzkontrollbehörde, mit ein. Im Laufe des Jahres 2001 haben die Mitarbeiter des Grenzschutzes dann neue Ausrüstungen wie zum Beispiel Infrarotüberwachungsanlagen oder Computer sowie Sprach- und Fachschulungen erhalten. Finanziert wurde das Ganze mit Unterstützung der EU: "Gerade was die Infrastruktur und die Renovierung angeht, hätten wir die meisten Neuerungen sowieso durchführen müssen", betont ein Zöllner. "Die Grenzposten sahen vorher schlimm aus."
Allerdings zwingt der Beitritt zur EU den Ungarn, was Visa- und Zollformalitäten angeht, auch unpopuläre Veränderungen auf. Bislang brauchen die Bürger der Nachbarstaaten kein Visum, um die Grenze zu überqueren. Angehörige der in diesen Staaten lebenden ungarischen Minderheiten durften darüber hinaus sogar ohne Sondergenehmigung in Ungarn arbeiten, zum Beispiel wenn sie den so genannten Magyarenausweis besaßen. Viele Arbeitspendler überquerten täglich die jeweilige Grenze. Weil diese Vergünstigung nach dem Verständnis der Europäischen Union aber eine Diskriminierung gegenüber den anderen Staatsbürgern der Nachbarstaaten bedeutete, musste Ungarn den Ausweis und das dazu gehörige Vergünstigungsgesetz aufgeben. Die Angehörigen der ungarischen Minderheit haben seither die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bürger der Nachbarstaaten auch.
Da die EU mit Kroatien und Rumänien Visumfreiheit vereinbart hat, verändert sich für die Staatsbürger dieser Länder mit dem Beitritt Ungarns zuerst einmal nichts. Die Ukrainer, Serben und Montenegriner jedoch brauchen ein Visum für die EU. Da den dort lebenden Ungarnstämmigen (in der zu Serbien gehörenden Vojvodina beispielsweise leben fast 400.000 Angehörige der ungarischen Minderheit) dadurch noch weitere Nachteile auferlegt würden, hat man sich zu einem Kompromiss entschieden. Ungarn hat mit beiden Ländern bilaterale Abkommen unterzeichnet, die diesen Staatsbürgern die Einreise wesentlich leichter machen als in andere EU-Länder. Das Visum in Serbien kostet zum Beispiel nichts und erlaubt es den Bürgern, alle 180 Tage für 90 Tage nach Ungarn einzureisen.
Das meiste scheint man also im Griff zu haben. Doch wie in vielen Bereichen kommt die eigentliche Bewährungsprobe auch für die Grenzbeamten erst noch. Während die Zöllner dem 1. Mai relativ gelassen entgegen sehen, werden die Grenzschützer nervös, sobald sie das Wort "Schengen" nur hören. Denn mit dem erstmals 1985 unterzeichneten Abkommen verbinden sich im Grenzbereich viel tiefgreifendere Pflichten als mit dem Beitritt an sich. Das Ziel dieses Abkommens definiert die EU so: "Langfristig soll ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufgebaut werden, in dem Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, beim Überschreiten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden." Nach außen hin müssen die Grenzen also härter kontrolliert werden als bisher, damit die so genannten Binnengrenzen, also die Grenzen zwischen den EU-Staaten ihre Bedeutung verlieren. Ungarn tritt dem Schengener Abkommen zwar nicht direkt am 1. Mai dieses Jahres, aber in absehbarer Zukunft bei. Und sobald dieser Beitritt geschehen ist, gehören die Grenzen zwischen Ungarn und den benachbarten Nicht-EU-Staaten zu den am härtesten umkämpften Grenzen der Welt.
Schon jetzt ist Ungarn ein beliebtes Ziel für Asylsuchende und Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Iran, Bangladesch und anderen Staaten. Sobald das Land zur Union gehört, wird sich die Zahl der nach Rettung Suchenden vervielfachen. Und nicht nur die: Schlepper, Schieberbanden, Drogenhändler - sie alle rüsten sich, die neuen EU-Außengrenzen zu stürmen. Es ist an den ungarischen Grenzschützern, sie mit Nachdruck davon abzuhalten. Mit neuer, von der EU spendierter Ausrüstung - wie zum Beispiel Nachtsichtgeräte - bewaffnet, üben die meist jungen Beamten bereits Tag und Nacht die neuen Aufgabenstellungen. Doch für das, was auf sie zukommt, so befürchten sie, haben sie nicht genügend Kräfte. "Wir sind einfach zu wenige Leute", beklagt sich einer von ihnen. "Außerdem sind uns die Schieber und Schlepper leider immer noch überlegen." Die grüne Grenze ist lang. Die Patrouillen können sie immer nur stellenweise überwachen.
Ungarn hat zwar Abkommen mit seinen Nachbarstaaten unterzeichnet, wonach die Beamten auch im ausländischen Grenzgebiet, also der eigentlichen Grenze vorgelagert, kontrollieren dürfen. Dadurch erhöht sich zwar die Chance, die Schlepper-Banden zu stellen. Dennoch schlüpfen an solchen Stellen , wie die Erfahrung an anderen EU-Außenposten zeigt, jede Woche noch genügend Illegale hindurch. Und dann gibt es da noch ein weiteres Problem: "Wir verdienen hier alle relativ wenig Geld", teilt einer der Beamten mit. Über das ziemlich heikle Thema Korruption will er in diesem Zusammenhang jedoch lieber nicht sprechen.
Elli Kovacs lebt als freie Journalistin in Aachen und Belgien.