Kratzen am Image des investigativen US-Journalismus
Unser Bild vom hochkarätigen US-Journalismus ist unter anderem von den Arbeiten des Watergate-Enthüllers Bob Woodward geprägt. Er macht gerade wieder Schlagzeilen mit einem neuen Titel über die geheimen Vorbereitungen des Irak-Kriegs. In seine Fußstapfen wollten auch andere amerikanische Autoren treten. Ihre Rechercheergebnisse zu Skandalen und Affairen haben sie unter dem populären Titel "Zensor USA" versammelt. Doch nicht immer stehen Enthüllungen und präzise Rekonstruktionen der Recherchen im Vordergrund der einzelnen Fall-Berichte.
Kristina Borjessons' Rechercheergebnisse zum Ansturz des TWA-Flugs Nr. 800 am 17. Juli 1996 haben bei ihr tiefe Spuren hinterlassen. Die New Yorker TV-Produzentin versuchte mit ihren Nachforschungen die "offizielle" Legende, die Katastrophe sei durch die Explosion des zentralen Treibstofftanks verursacht worden, zu widerlegen. Die vielen Widersprüche bei den Ermittlungen, Informationsblockaden der Behörden, Desinformationsstrategien des FBI und die Illoyalität ihres Auftraggebers CBS verdichten sich bei ihr zum Vorwurf der gezielten Zensur. Sie hatte das Gefühl, in das "offene Messer" des mächtigen Zensursystems USA zu laufen. Wer in dieses Messer laufe, sei am Ende "radioaktiv", also in den Medien "nicht mehr verwendungsfähig".
Ähnliche Erfahrungen schildern auch die zwölf anderen Autoren. Sie klagen vor allem über das Desinteresse ihrer Auftraggeber an heiklen und hintergründigen Recherchen, über gezielte Desinformation und vor allem massive Attacken der "Angeklagten" auf die Autoren. Das Themenspektrum reicht vom "Krieg ums Öl" über die "Gefälschte US-Wahl" bis hin zu dem "Skandal um hormonverseuchte Milch" und einer Serie zweifelhafter CIA-Operationen im Drogenmilieu.
Die meist sehr persönlich geprägten Essays werden als "ungeschminkte Insiderberichte über die derzeitigen Veränderungen im amerikanischen Journalismus" angepriesen. Die pathetische Haltung der meisten Autoren und die Methoden des subjektiven "story-tellings" im Stil eines Tom Wolfe illustrieren einen markanten Unterschied zu vergleichbaren Recherche-Rekonstruktionen in Deutschland. Die Herausgeberin bekennt in ihrem Vorwort: "Ich war erstaunt und aufgewühlt über das Herzblut, den Mut und die tiefe Liebe zum Journalismus, mit denen die Beiträge geschrieben waren." Von der notwendigen Distanz zu den handelnden Personen und zum jeweiligen Konflikt zeugen solche Bekenntnisse nicht.
Zu den in Deutschland verbreiteten Mythen über das "investigative reporting" gehört unter anderem die ausgeprägtere journalistische Rollenteilung zwischen Reporter und Editor. US-Journalisten sehen sich eher als Informationsbeschaffer, während sich deutsche Redakteure eher als Allrounder betrachten, die dann recherchieren, wenn etwas Zeit übrig bleibt.
Wenn es einen roten Faden in den 13 Berichten gibt, dann ist die (Leidens)-Geschichte von Einzelkämpfern gegen Redaktions, Agentur- und Senderleitungen. Von journalistischer Rollendifferenzierung, funktionierenden Kooperationsmodellen und Solidarität jenseits professioneller Konkurrenz ist nicht einmal zwischen den Zeilen etwas zu lesen. Stattdessen immer wieder bittere Bilanzen.
Auffallend ist, dass die Herausgeberin des Buches den Status Quo des investigativen US-Journalismus insgesamt niedriger einschätzt, als deutsche Wissenschaftler oder Experten. Trotz weniger Ausnahmen ist der "investigative Journalismus insbesondere bei den großen Fernsehgesellschaften im Schwinden begriffen. Er ist teuer, führt oft zu Klagen und kann mit den Interessen des Mutterkonzerns eines Nachrichtensenders in Konflikt geraten und/oder dessen Kontakte zur Regierung belasten."
Die Textsammlung präsentiert die zum Teil Jahre zurückliegenden Recherchen von sehr unterschiedlichen Autoren und bedient sich meist eines unangemessenen Pathos im populistischen Stil eines Michael Moore. Was selbst bei den hervorragenden Beiträgen fehlt, sind die klar nachvollziehbaren Recherchewege und die nüchterne Analyse der Gegenposition im Feld der jeweiligen Recherche. Die "andere Seite" bleibt meistens stumm, die Ressource der differenzierten Auseinandersetzung mit den "Gegnern" bleibt meist ungenutzt.
Auch deshalb vermittelt das Buch nach 433 Seiten ein ungewöhnliches Wechselbad von Stimmungen und Gefühlen. Der Broadway-Kolumist Walter Winchell hatte einmal zynisch zugespitzt: "Zu viel Recherche macht die schönste Geschichte kaputt." Eine bittere Lektion, die man manchen Autoren dieses - trotz allen Schwächen - lehrreichen Sammelbandes nicht ersparen kann. Thomas Leif
Kristina Borjesson (Hrsg.)
Zensor USA.
Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird.
Pendo Verlag, Zürich 2004; 448 S., 24,90 Euro