Zehn Jahre Reporter ohne Grenzen
Es gibt Menschen, die werden fast nur wahrgenommen, wenn sie schlechte Nachrichten zu verkünden haben. Zu dieser Gruppe gehören die Sprecher fast aller Menschenrechtsorganisationen; dazu gehören auch viele Journalisten, deren positive Meldungen - etwa: "Schon wieder ein Gesetz einstimmig verabschiedet" - kaum eine Zeitung druckt. So gesehen hat Michael Rediske einen doppelt trübseligen Job: Er ist Vorstandssprecher der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen". Selbst an Jahrestagen wie dem Internationalen Tag der Pressefreiheit am vergangenen Montag, der noch dazu gleichzeitig das zehnjährige Bestehen seiner Organisation in Deutschland markierte, hat Rediske vor allem seine "meist traurige Bilanz" zu ziehen.
Sie lautet in Kurzform, die eigentliche Dramatik überdeckend: Der Irak ist - an reinen Zahlen gemessen - das gefährlichste Land der Welt für Journalisten; seit Kriegsbeginn im März 2003 seien dort 23 Reporter getötet worden. Insgesamt starben im vergangenen Jahr laut der Organisation "mindestens 42 Journalisten" bei ihrer Arbeit, im laufenden Jahr sind bereits 13 Journalisten und sechs Medienassisten ums Leben gekommen. In einigen Ländern werde das Internet immer stärker staatlich überwacht, vor allem in China. Dort seien 61 so genannte Cyber-Dissidenten in Haft. Besonders besorgniserregend ist laut Rediske die Tendenz in vielen Krisengebieten, dass vor allem "irreguläre Truppen Journalisten nicht mehr als neutrale Berichterstatter ansehen, zu deren Schutz sie verpflichtet seien, sondern als Gegner". Die Folge seien gehäufte Geiselnahmen von Reportern. Neben China nannte Reporter ohne Grenzen Kuba, Eritrea, Iran und Birma als "weltweit größte Gefängnisse für Journalisten".
Dass es die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen jetzt seit zehn Jahren gibt, ist eigentlich auch ein betrübliches Zeichen. Zwar steht Deutschland auf der 164 Länder umfassenden Liste zur Situation der Pressefreiheit weltweit auf Platz acht - hinter Ländern wie Finnland, Norwegen oder Trinidad und Tobago, aber deutlich vor Frankreich, Großbritannien und den USA. Allerdings rief Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik, dazu auf, auch hierzulande wachsam gegenüber Angriffen auf die Pressefreiheit zu sein, insbesondere gegen Bestrebungen, Journalisten zur Preisgabe ihrer Informanten beispielsweise für polizeiliche Ermittlungen verpflichten zu wollen.
Die Regierungsbeauftragte würdigte die weltweite Arbeit von Reporter ohne Grenzen: Pressefreiheit sei "wichtig für die Wahrung der Menschenrechte" und eine "tragende Säule der Informationsgesellschaft"; ungehinderte Berichterstattung sei die Voraussetzung für öffentlichen Druck. In Bezug auf China rief Claudia Roth die deutsche Wirtschaft dazu auf, sich mehr für die Lage der Menschenrechte in dem ökonomisch boomenden Land einzusetzen. Dies sei im "ureigensten Interesse" der deutschen Unternehmen.
Roth sprach auf der Eröffnung der Ausstellung "100 Fotos für die Pressefreiheit" im Hauptstadtstudio der ARD am vergangenen Montag. Die Bilderschau dokumentiert auf 48 Tafeln die schwierige Menschenrechtslage und den Stand der Pressefreiheit in 15 Ländern, darunter Kolumbien, Staaten des Nahen Ostens und Afghanistan. Wer die bis Ende Mai dauernde Ausstellung allerdings anschauen will, muss sich einen Tag vorher anmelden - eine wohl den Grundsätzen von Reporter ohne Grenzen entgegenstehende Form der Kontrolle. Sie erfolgt allerdings im ureigensten Interesse der Pressefreiheit: In unmittelbarer Nähe der Ausstellung liegen die Arbeitsräume der Hörfunkjournalisten der ARD, und jene sollen so wenig wie möglich bei ihrer Arbeit gestört werden. Bert Schulz