Beim Bündnis für Demokratie und Toleranz wird die Verfassung konkret
Ines Hinneburg bleibt hart. "Nein, keine Volksentscheide", sagt die zierliche 19-Jährige ernst, "nur Bürgerbegehren." Noch zeigt sich der gleichaltrige Hauke Diederich unbeeindruckt und versucht ein weiteres Mal, der fünfköpfigen Arbeitsgruppe direkte Demokratie unterzujubeln: "Schreiben wir also: Volksentscheide und Volksbegehren", fordert der Lockenkopf grinsend. Eine letzte Intervention von Ines, und das große Feilschen zwischen der angehenden Marineoffizierin und dem Mitglied der Grünen Jugend hat ein Ende, denn im Plenum sollen Ergebnisse vorgestellt werden. "Wie lässt sich politische Partizipation verbessern?", steht an der Pinnwand. Auf dem Zettel, den Hauke dort anbringt, hat er hinter "Volksentscheid" seinen Namen in Klammern beigefügt.
Ein fauler Kompromiss? Vielleicht, aber in jedem Fall ein Musterbeispiel gelebter Demokratie und daher ganz im Sinne der Veranstalter der "Verfassungstage". Vor vier Jahren wurde das "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" von der Bundesregierung ins Leben gerufen. Seitdem lädt die Organisation alljährlich über 350 Jugendliche nach Berlin ein, um den Geburtstag des Grundgesetzes am 23. Mai zu begehen. "Aktiv werden - Zivilgesellschaft stärken", lautete das Motto für das diesjährige Zusammentreffen der vielseitig Engagierten aus ganz Deutschland. Ob Jugendgemeinderäte, Vertreterinnen von Antirassismus-Projekten oder das parteipolitisch gemischte Paar, er Jungsozialist, sie Junge Liberale - drei Tage lang sollen sie die Grundwerte der Verfassung nicht nur beschwören, sondern in diversen Workshops gemeinsam greifbar machen.
Nicht immer eine leichte Aufgabe, wie sich in den Foren zeigt, in denen Fragen zur Toleranz debattiert werden: Inwieweit ist der Satz "Afrikaner haben Rhythmus im Blut" rassistisch? Sollte der, der ihn äußert, durch ein Anti-Diskrimierungs-Gesetz bestraft werden können? Und wie fühlen sich eigene Vorurteile an, wenn man, wie im Planspiel geprobt, selber seine direkten Nachbarn aus verschiedenen Nationen auswählen muss? Ist es schon eine Ausgrenzung, wenn man den Italienern gegenüber den Türken den Vorzug gibt? Viele Fragen, schwere Antworten.
Klar dagegen ist: Man soll und kann sich hier untereinander bestätigen und bestärken. Wir sind nicht allein, merken besonders die Jugendlichen, die in ihrer Heimat oft für sich auf weiter Flur agieren. So ist etwa Hauke Diederich seiner Vision von kommunalen Kinder- und Jugendbeiräten ein Stück näher gekommen. Seit er mit 14 Jahren in die Grüne Jugend eintrat, versucht er Stadtverordnete und Beamte in Husum dazu zu bewegen, dass in bestimmten Fragen auch die Betroffenen gehört werden müssen. Im badischen Bruchsal beispielsweise, ist das längst politischer Alltag: Vier Mal im Jahr trifft sich dort der Bürgermeister mit den Jugendgemeinderäten. Sie werden von den 13- bis 18-Jährigen gewählt. Selbst Briefwahl ist demjenigen möglich, der den überparteilichen Kandidaten, allesamt angetreten unter dem Slogan "Unsere Partei ist die Jugend", seine Stimme verleihen will. Eine Stimme mit Gewicht wohl gemerkt, schließlich kann der Rat eigenmächtig über einen jährlichen Etat von 5.000 Euro verfügen. "Wenn wir also einen Basketball-Korb brauchen", erzählt der Abgeordnete Andreas Hilsenbeck, "dann beschließen wir das einfach selbst."
Schon viele hat dieses Beispiel zur Nachahmung motiviert, und auch Hauke ist begeistert. Nur zu gut weiß er, wie frustrierend Jugendbeteiligung bisweilen sein kann: Irgendwie darf man mitreden, aber nie mitentscheiden. Als Präsident des Jugendlandtages in Schleswig-Holstein hat er erlebt, dass der eingereichte Forderungskatalog von manchem Volksvertreter nur überflogen wurde. "Eine reine Alibi-Veranstaltung", beklagt der Abiturient. Schade, so gehe eine ganze Generation an engagierten Leuten verloren. "Wenn die sehen, dass sie wirklich etwas bewegen können, dann würden die auch aktiv werden."
Einsatz ohne Aussicht auf Erfolge - für viele pragmatisch orientierte Jugendliche ist das abschreckend. Kein Wunder also, wenn sich die ehrenamtlich aktiven 37 Prozent der Jugendlichen eher anderen Bereichen widmen, allem voran dem Sport. Hier gibt es weniger Hürden, hier steht das Feld im Übrigen allen Altersklassen offen. Macht man also einen Fehler, wenn die Jüngeren ganz aus der Willensbildung ausgeschlossen werden? Ja, findet der Jugendgemeinderat Andreas: "Unsere 13-jährigen Abgeordneten haben zwar nicht immer sofort den Durchblick, aber wenn die Mischung der Altersgruppen stimmt", meint der 20-Jährige, "können die Älteren die Jüngeren heranführen." Schwierig ist es, die Anerkennung der Erwachsenen zu bekommen. "Am Anfang sollten wir alles nur abnicken, da hat uns keiner ernst genommen", erinnert sich Andreas. Doch dann habe man sich mehr dahintergeklemmt, habe Pressearbeit gemacht - mit Erfolg: Das Ansehen wuchs.
Ein Gefühl der Wertschätzung, das nicht alle, die engagiert sind erfahren. "Dass mir mal ein Jugendlicher sagen würde: Hej, haste toll gemacht!", wünscht sich ein Aktiver aus Köln. Ein anderes, positives Beispiel, ist Ulm. Dort werden zum Dank Freiwilligencards vergeben, die allen Engagierten Vergünstigungen in öffentlichen Einrichtungen gewähren.
Aber auch auf der Veranstaltung gab es Lob - sogar ganz offiziell. Mehrere Jugendliche wurden als "Botschafter der Toleranz" geehrt. Ginge es nach Sabine Haase, eine der geehrten "Botschafterinnen der Toleranz", hätte der Präsident schon einen ersten Termin: ein Besuch der Jugendbegegnungsstätte "Nomansland" in Aken bei Dessau. Hier wird ein vielfältiges Freizeitangebot organisiert, in einem Ort ohne Kino und Schwimmhalle, mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Jedes Jahr, wenn man Gäste aus aller Welt zum Jugendaustausch empfange, werde man von rechten Gruppen massiv bedroht, erzählt die Leiterin der Einrichtung. "Überall habe ich schon Einladungen hingeschickt. Nichts, nur Absagen. Es täte so gut, wenn mal irgendein Abgeordneter vorbeikommen würde."