Abschaltknopf gegen Geschmacksverirrungen auf dem Bildschirm
Zensur oder Vorzensur will niemand, aber doch eine Selbstkontrolle, die sich am halbwegs guten Geschmack orientiert und ethische Grundwerte nicht völlig außer Acht lässt.
Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss bleibt die Aufsicht und Kontrolle über Medien in einer freien Gesellschaft mit einer freien Medienordnung immer ein besonders sensibler Bereich. Das Grundgesetz verlange aus gutem Grund eine staatsferne Organisation des Rundfunks wie der Aufsicht; von daher blieben die Selbstkontrolle im Falle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder die Kontrolle der privaten Anbieter durch die Landesmedienanstalten völlig außer Frage. Natürlich müssten alle Rundfunkanbieter Grundregeln einhalten und jugendschutzrechtliche Vorschriften beachten. Doch jede Form einer Vorab-Prüfung des Programms griffe substanziell in das Grundprinzip der Programmfreiheit ein und geriete in gefährliche Nähe zur Zensur. Zumindest sofern es sich nicht um rechtswidriges Verhalten handle, das entsprechend zu sanktionieren sei, scheine eine nachträgliche öffentliche Diskussion umstrittener Fälle mit einer eventuell anschließenden internen Überprüfung der Programmrichtlinien wesentlich angemessener zu sein. Eine gewisse Skepsis, ob ein solches Prinzip tatsächlich funktioniert, lässt der Medienbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion durchklingen, wenn er weiter sagt: "Dies gilt um so mehr bei Fragen des Niveaus, über das sich im deutschen Fernsehen vortrefflich streiten lässt - Dschungelcamp lässt grüßen. Aber auch die beste (Selbst-)Kontrolle bietet keine Garantie, dass die Grenzen des guten Geschmacks oder noch erträglicher Sinnarmut doch unterschritten werden - doch darüber sollte allein das Publikum mit der Fernbedienung entscheiden."
Sendungen wie "Fear Factor" nimmt der medien- und kulturpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Otto, ins Visier, wenn er darauf verweist, dass es viele Spielarten der Angst gebe: Prüfungsangst, Angst vor dem Weltuntergang, Angst vor engen Räumen. Allerdings jage "Fear Factor" keinem Angst ein, allenfalls den Kandidaten, die mit einer Beharrlichkeit Dinge machten, die der Normalbürger vielleicht in seiner Kindheit einmal aufregend gefunden habe, beispielsweise an einem Schweineauge zu knuspern oder in einen Karton mit Spinnen zu greifen. "Natürlich", so der FDP-Politiker, "musste da ein Aufschrei des Entsetzens durch die politische und publizistische Landschaft hallen. Die Betroffenheitsliga steht stramm und ein wohliges Geächze geht durch die Feuilletons: Verrohung der Sitten, die schlimmen Medien, die armen Kinder und die ganze Leier." Er appelliert an die Fernseh-Verantwortlichen, die Zuschauer nicht mit immer mehr solcher Sendungen zu langweilen; Medien sollten sich nicht auf jede Albernheit stürzen und den Untergang des Abendlandes beklagen. Hans-Joachim Otto weiter: "Das gleiche gilt für die Gutmenschen in der Politik." Der FDP-Bundestagsabgeordnete jedenfalls weigere sich, bei jeder Gelegenheit, die sich durch eine neue Abart der Fernsehunterhaltung biete, zu neuen Ufern der tiefen Betroffenheit aufzubrechen. Es gebe immer noch ein probates Mittel gegen den schlechten Geschmack und zu viel Gewalt im deutschen Fernsehen: Den Abschaltknopf zu drücken, das helfe besser als jede Gesetzesverschärfung.
Den Aspekt des Jugendschutzes hebt die Grünen-Abgeordnete Grietje Bettin hervor und stellt fest, dass im Zuge von "Dschungel-Camp" und "Fear Factor" die Frage nach Moral und der Einhaltung ethischer Standards und dem Schutz der Menschenwürde in Fernsehsendungen jetzt wieder diskutiert wird. Menschenunwürdige Darstellungen und brutale Gewalt gehörten selbstverständlich nicht ins Fernsehprogramm und noch weniger vor Kinderaugen. Gremien wie die Landesmedienanstalten und Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle hätten eben darum die Aufgabe, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Darstellungen aus dem alltäglichen Fernsehprogramm zu verbannen und Sendungen vor ihrem Start entsprechend zu prüfen. Da besonders Kinder und Jugendliche vor brutalen Darstellungen geschützt werden müssten, sei vor einem Jahr die Kommission für Jugendmedienschutz eingerichtet worden, die eng mit den Selbstkontrolleinrichtungen von Rundfunk und Telemedien zusammenarbeite. Derartige Verzahnungen nach dem Konzept der "regulierten Selbstregulierung" seien der richtige Weg, der Branche die Einhaltung von Standards aufzuerlegen, die staatliche Kontrolle dabei aber nicht aus der Hand zu geben.
Für die Mehrheit dürfte Grietje Bettin sprechen, wenn sie fordert: "Der Jugendschutz muss bei der Bewertung solcher Sendungen selbstverständlich stets schwerer wiegen als das allgemeine Zuschauerinteresse. Allerdings müssen sich auch die öffentlich-rechtlichen Sender stärker an ihren eigenen Qualitätsmaßstäben messen lassen. Um spannende und qualitativ-hochwertige Krimis oder Tatorte zu produzieren, muss nicht der allgemeine Trend zu Gewalt und Brutalität mitgemacht werden. Doch bei aller Kritik am Niveau verschiedenster Sendung, kann Grietje Bettin der Situation auch Positives abgewinnen: "Durch das dadurch ausgelöste Entsetzen kommt ein gesellschaftlicher Diskurs in gang, der die Auseinandersetzung mit medienethischen Standards fördert und eine öffentliche Moral herzustellen hilft. Nicht zuletzt sieht sich die Branche gezwungen, aktiv zu werden und eigene Programme zu überprüfen - was immer der erste Schritt sein muss."
Auf das Argument, es gebe schließlich einen Ausschaltknopf, geht der saarländische CDU-Abgeordnete Albrecht Feibel ein und erinnert daran, dass gerade viele Kinder und Jugendliche allein vor dem Fernseher säßen und sich ihr persönliches "Weltbild" anhand von "Fear Factor" oder besonders grausamen Krimis zurechtlegten und gar nicht daran dächten, auf "harmlosere" Programme umzuschalten. Wenn man das Werbeumfeld solcher Sendungen betrachte, seien sie ja schließlich auch die Zielgruppe. Niemand dürfe sich wundern, dass Teile der heranwachsenden Generation brutale Gewalt als etwas völlig Normales betrachteten, wenn detail-verliebte Regisseure den Fernsehschirm dazu missbrauchen könnten, möglichst qualvolles Sterben zu inszenieren. Niemand wolle Zensur, auch nicht in Form der "Schere im Kopf". Wenn private Anbieter die Grenzen des guten Geschmacks häufig weit hinter sich ließen, sei das schlimm genug: "Wenn aber die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender auf den Zug aufspringen und ihre selbst formulierten hohen ethischen Maßstäbe ad absurdum führen, werden sie ihrem Auftrag, zu dem auch Bildung und Erziehung gehören, nicht mehr gerecht."