Brandenburg: Bei der Landtagswahl verliert die SPD deutlich, bleibt aber stärkste Kraft
Das Wahlergebnis vom 19. September hat für alle Parteien Überraschungen gebracht. So fürchtete die SPD nach dem Debakel an der Saar vom 5. September den freien Fall, hoffte die CDU, endlich in Brandenburg stärkste oder zumindest zweitstärkste Partei zu werden, und freute sich die PDS bereits auf die Regierungsübernahme. Doch es kam ganz anders. Nicht zuletzt durch den unermüdlichen Wahlkampf von Matthias Platzeck. Der Regierungschef stand selbst in den entlegensten Orten des Landes den Bürgern Rede und Antwort und bewog auch Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Wiederkommen, obwohl jener in Brandenburg jüngst mit Eiern beworfen worden war.
Bereits die Hochrechnungen am Wahlabend machten deutlich, was der Wahlleiter in der Nacht dann bestätigte: Bei einer von 54,3 (1999) auf 56,6 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung blieb die SPD stärkste Partei, auch wenn sie gegenüber 1999 rund sieben Prozentpunkte verlor. Die PDS, denen die Demoskopen bis zu 36 Prozent prophezeit hatten, musste sich mit 28 Prozent (1999: 23,3 Prozent) begnügen. Und die CDU, die im Sommer noch von "35 plus" geträumt hatte, fiel auf 19,4 Prozent (1999: 26,5 Prozent) zurück. Dabei verloren SPD und CDU in etwa gleichviel Stimmen, wie Jörg Schönbohm kurz nach der Wahl nicht müde wurde, zu betonen.
Die Parteistrategen mussten am Wahlabend tief Luft holen. Wieder einmal hatte der Wähler alle Zahlenspiele im Vorfeld auf den Kopf gestellt. Es war doch noch eine Platzeck-Wahl geworden. Wobei man wissen muss, dass der Ministerpräsident der populärste Politiker im Land ist. Erfolg hatte die SPD nicht zuletzt mit ihrer Plakat-Aktion "Zweitstimme ist Platzeck-Stimme". Denn bei den Erststimmen lag die PDS in Führung, die auch die meisten der 44 Wahlkreise direkt eroberte. Die CDU errang vier Wahlkreise, doppelt so viele wie 1999. Nur knapp konnte sich der Regierungschef im Wahlkreis Potsdam II vor dem PDS-Kandidaten behaupten. CDU-Chef Schönbohm wurde über die Landesliste gewählt.
Die FDP unter ihrem Spitzenkandidaten Heinz Lanfermann und die Grünen unter dem Berlin-Import Wolfgang Wieland kämpften zwar verbissen, letztlich allerdings vergeblich. Sie erreichten lediglich 3,3 beziehungsweise 3,6 Prozent und verpassten damit erneut den Einzug in den Landtag. Im Gegensatz zur DVU, die in den letzten Wochen des Wahlkampfes das Land mit 97.000 Plakaten zupflasterte, damit auf 6,1 (bislang 5,3) Prozent kam und künftig mit sechs (statt bislang fünf) Abgeordneten vertreten sein wird. Die zahlreich angetretenen Bürgerinitiativen hatten ebenso wie die weiteren Parteien - insgesamt waren 15 Parteien zur Wahl zugelassen - keine Chance. Sie kamen zusammen auf 7,7 Prozent. Nachdem das Wahlergebnis feststand, meldete sich die Evangelische Kirche zu Wort. Der für Brandenburg zuständige Bischof Wolfgang Huber sprach von einem "großen Unglück", womit er den Erfolg der rechten DVU meinte.
Was bestimmte die Wahl in Brandenburg? Alles beherrschendes Thema war auch hier Hartz IV, was sich vor allem PDS und DVU zunutze machten. Gegenüber diesem beherrschenden Thema (einschließlich der Sorge wegen der hohen Arbeitslosigkeit) hatten es landespolitische Anliegen schwer. Das scheint auch ein Grund zu sein, warum die Freien Wählergemeinschaften keine wirkliche Chance hatten, obwohl sie in den Kommunen so stark sind.
Auch wenn die SPD ihre Mehrheit im Landtag behaupten konnte, musste sie doch schmerzliche Verluste hinnehmen. Wohin sind am 19. September die früheren SPD-Wähler gewandert? Untersuchungen zeigen, dass es vor allem die Nichtwähler waren, die die SPD abstürzen ließen (79.000 Stimmen). Umgekehrt erhielt sie 15.000 Stimmen von der CDU. Abgeben musste die SPD 7.000 Stimmen an die PDS und 2.000 an die Grünen. Das Problem von FDP und Grünen in Brandenburg ist vor allem die niedrige Mitgliederzahl, die eine hohe Mobilisierung ihrer Wähler sehr schwer macht.
Die wichtigsten Themen der bevorstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU sowie der PDS werden sein: Die SPD besteht auf einer weiteren sechsjährigen Grundschule, die die Union gern zugunsten einer vierjährigen Grundschule mit anschließender Differenzierung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium auflösen möchte. Einig sind sich Sozial- und Christdemokraten in der Notwendigkeit des Baus des Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) in Schönefeld. Die PDS steht diesem Projekt skeptisch bis ablehnend gegenüber. Offen ist die Frage einer erneuten Volksbefragung über eine Fusion von Brandenburg mit Berlin, die bislang noch für 2006 vorgesehen ist. Allerdings bekommen die Brandenburger zunehmend kalte Füße, weil sie fürchten, von Berlin geschluckt zu werden.
17 Milliarden Euro Schulden drücken das kleine Land, was weitere drastische Sparmaßnahmen zur Folge hat. Doch wo kann und muss gespart werden? Offen ist die weitere Unterstützung der ländlichen Gebiete Brandenburgs, die besonders stark von der Abwanderung betroffen sind. In diesem Zusammenhang spielt die hohe Arbeitslosigkeit eine große Rolle. Bisherige Industrieansiedlungen haben zum Teil nicht das gebracht, was man sich von ihnen im Blick auf den Arbeitsmarkt versprochen hatte. Geld zum Verteilen wird auch die künftige Landesregierung nicht haben. Das Regieren wird in Potsdam nicht leichter. Nicht wegen des Wahlergebnisses, das mehrere Koalitionen ermöglicht, sondern wegen des mangelnden Geldes.
Schon jetzt steht fest, dass sich ein Politiker aus dem Potsdamer Rampenlicht zurückziehen wird, obwohl er wieder (über die Landesliste) in den Landtag gewählt worden ist: Lothar Bisky. Der bisherige PDS-Fraktionsvorsitzende wird dieses Amt abgeben und sich ganz auf das des PDS-Bundesvorsitzenden konzent-rieren. Sein Ziel ist es, die PDS 2006 in den Bundestag zurückzuführen. Und von überall her erhalten die Potsdamer Sozialdemokraten gute Ratschläge. Die einen raten zu einer rot-roten Koalition, die anderen zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der CDU. Platzeck wird die Entscheidung nicht leichtfallen. Und welche Koalition wollen die Bürger? Eine kurz nach der Wahl veröffentlichte Infratest dimap-Umfrage zeigt, dass die Brandenburger nichts gegen eine SPD/CDU-Koalition haben, die laut der Erhebung von 36 Prozent gewünscht wurde. Den gleichen Prozentsatz erreichte in dieser Umfrage, in der Mehrfachnennungen möglich waren, allerdings auch eine SPD/PDS-Koalition.