Der Bankenskandal in Berlin
Es ist zum Gruseln und wahrlich spannend wie im Kriminalroman. Doch es geht nicht um Fiktion, sondern um Realität: Die Hauptstadt Deutschlands als Klein-Chicago an der Spree. Im Berliner Bankenskandal scheint der Rechtsstaat auf der Strecke geblieben zu sein, wie die Recherchen von Olaf Jahn und Susanne Opalka, zwei Journalisten des ARD-Magazins "Kontraste", detailliert nachweisen.
Eine Vertuschungsmafia aus Politik, Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft hat wider alle Indizien den plötzlichen Tod eines potentiellen Kronzeugen in diesem beispiellosen Skandal als "Selbstmord" deklariert und trotz Revisionsversuchen alle Wiederaufnahmen des Verfahrens vereitelt. Was für ein "Glück" für die Firma Aubis, die mit Hilfe des damals mächtigsten politischen und wirtschaftlichen Strippenziehers in Berlin, Klaus-Rüdiger Landowsky - Ex-CDU-Fraktionschef und Ex-Vorstandschef der Berliner Hypothekenbank -, 630 Millionen D-Mark an Krediten für betrügerische Immobiliengeschäfte mit Plattenbauten in Ostdeutschland ohne jegliche Sicherheiten oder eigenes Vermögen bekommen hatte.
Aber Klaus-Hermann Wienhold und Christian Neuling, die Bosse von Aubis, haben etwas anderes, was für sie spricht: "politisches Kapital" und kriminelle Energie. Wienhold hat seine Karriere bei der Bereitschaftspolizei begonnen und bei der Mordkommission fortgesetzt, um dann in die Politik zu wechseln und Mitte der 80er-Jahre Landesgeschäftsführer der CDU zu werden. Wie Eberhard Diepgen ist er Teilhaber der "Berliner Presse- und Informationsdienste" (bpi). Mit Landowsky zeichnete er jahrelang für Wahlkämpfe und Strategien verantwortlich. Seinem CDU-Freund wird er 40.000 D-Mark in bar als Parteispende in dessen Büro überreichen, nachdem er seine Kredite für Aubis bekommen hatte.
Christian Neuling, promovierter Diplom-Ingenieur, tritt in das Unternehmen seines Bruders ein, das im Müllgeschäft immer wieder für skandalträchtige Schlagzeilen sorgte. Parallel dazu macht er Karriere in der CDU und wird 1977 Landeschef der Berliner Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung. Nach dem Fall der Mauer wittern beide das große Geschäft im Osten und beginnen mit ihrer Firma Aubis, im großen Stil Immobilien zu erwerben.
Das Muster ist immer das gleiche: Sie holen sich ein prinzipielles Einverständnis zu einer Finanzierung von der BerlinHyp, zeichnen den Kaufvertrag und erhalten den Kredit. Aber warum bekommen sie überhaupt einen Kredit ohne Bonitätsprüfung? "Als sie sich um das Millionenspiel bewerben, haben sie - praktisch - nichts", stellen Olaf Jahn und Susanne Opalka verblüfft fest. Kein Kapital, keine Erfahrung im Sanieren von Plattenbauten, keine Ahnung von Immobiliengeschäften.
Wienhold versteht etwas von Mord und Politik, Neuling vom gefälschten Deklarieren von Bilanzen. Wie ihre bei der Bankengesellschaft eingereichten Modellunterlagen zeigen, beruhten ihre Kalkulationen auf illusorischen Milchmädchenrechnungen, die mit bloßem Auge und minimalem kaufmännischen Sachverstand zu erkennen gewesen wären. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine unangenehmen Nachfragen; ein Immobilien-Sachverständiger der IBG wird kurzerhand nicht mehr eingeladen, weil er das Aubis-Konzept als hanebüchen verrissen hatte.
Geht man nur vom gesunden Menschenverstand aus, so hätte diese unseriöse Geschäftsidee nicht den Hauch einer Chance haben dürfen. So kommt man nicht umhin, eine Befehlskette zu vermuten, die von ganz oben kam und dafür sorgte, dass der gesunde Menschenverstand bei allen Geschäften der Firma Aubis in der Berliner Bankengesellschaft regelmäßig versagte. In den USA wäre Klaus-Rüdiger Landowsky sofort in Untersuchungshaft gekommen und erst wieder freigelassen worden, wenn er umfassend gestanden hätte oder aber die Ermittler seine zentrale Rolle in diesen "deals" aufgedeckt hätten. Aber das ist Berlin: Wo kein Kläger, da kein Angeklagter, und Landowsky soll gedroht haben, dass, wenn er plaudere, die ganze politische Klasse in Berlin in die Luft fliegen würde.
Je mehr Kredite die BerlinHyp der Firma Aubis zuschanzte, desto kühner und dreister wurden deren Geschäftspraktiken. Das System war denkbar einfach: Es wurde ein Schachtelverbund von Firmen gegründet, um Finanzströme zu verschleiern. Dann schanzten sich diese Firmen intern Aufträge zu, die überhöht abgerechnet wurden, so dass Steuergelder ganz "legal" privatisiert wurden und auf den Konten von Wienhold und Neuling landen konnten.
So sind vom Neuling-Konto allein zwischen Mai 1997 bis August 2000 etwa 12,5 Millionen Mark ins Ausland transferiert worden. Um ihren Praktiken den Anschein von seriöser Geschäftstätigkeit zu geben, wurden zwei ehemalige Minister der Regierung Kohl in den Aufsichtsrat berufen: Jochen Borchert, Ex-Landwirtschaftsminister, und Christian Schwarz-Schilling, Ex-Postminister, der allein in drei Jahren Tätigkeit bei Aubis 230.000 DM kassieren durfte.
Lars Oliver Petroll, der angebliche Selbstmörder aus dem Grunewald, hatte diese Praktiken bald durchschaut. Kein Kunststück, denn er war der zentrale EDV-Mann, der alle Daten- und Kontenbewegungen verfolgen konnte. Schon früh begann er, Kopien von diesen Vorgängen zu ziehen. Als dann der Berliner Bankenskandal losbrach, versuchte er dilettantisch, sein Wissen zu Geld zu machen. Rasch fühlte er sich von den Aubis-Chefs bedroht, wechselte Wohnungen und Städte, um sich dann vertrauensvoll an einen Anwalt der Bankegesellschaft zu wenden. Von dort gelangte sein Name zur Staatsanwaltschaft, die ihn unverschlüsselt in ihre Akten über-, aber nichts unternahm. Die Aubi-Verteidiger bekamen Akteneinsicht.
Zehn Tage später fand man Lars Oliver Petroll erhängt im Grunewald. Klarer Fall von Selbstmord aufgrund von Liebeskummer, Suizidneigung oder Geldsorgen, wie Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft mutmaßten. Die sorgfältigen Recherchen der Autoren dokumentieren, wie lässig bis nachlässig ermittelt wurde. Wollte oder konnte man nicht der Wahrheit ins Gesicht sehen? Die Lektion: Der Rechtsstaat verliert offenkundig da, wo Geld und Macht, wirtschaftliche Bereicherungsgier und Parteipolitik eine unselige Allianz eingehen. Echter Westberliner Filz eben.
Olaf Jahn, Susanne Opalka
Tod im Milliardenspiel. Der Bankenskandal und das Ende eines Kronzeugen.
Transit-Verlag, Berlin 2004; 222 S., 18,80 Euro