Schleswig-Holstein wählt einen neuen Landtag
Fast zeitgleich mit der CDU in Kiel feierten die Genossen in Neumünster ihre Ikone Heide Simonis. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte seinen groß angekündigten Besuch wegen der Flutkatastrophe kurzfristig abgesagt. Statt seiner mühte sich der Schriftsteller Günter Grass, die SPD mit Berichten über die guten Zeiten von Willy Brandt zum Wahlkampf zu motivieren. Denn trotz der großen Popularität ihrer Ministerpräsidentin können die Sozialdemokraten nicht sicher sein, die Koalition mit den Grünen fortzusetzen. In den Wahlprognosen liegen SPD und CDU fast gleichauf, ihre potenziellen Verbündeten, Grüne und FDP, ebenfalls. Zum Zünglein an der Waage kann so der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) werden, der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist und damit wieder sicher im Landtag vertreten sein wird.
Vor fünf Jahren war Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe schwungvoll angetreten, um Simonis abzulösen. Damals verhagelten ihm die CDU-Spendenaffäre und das beharrliche Schweigen von Altkanzler Kohl den sicher geglaubten Sieg. Auch Peter Harry Carstensen hatte noch im vergangenen Sommer kräftig Rückenwind. Im Lande zwischen den Meeren herrschte Wechselstimmung. Dass dies heute nicht mehr so ist, liegt nicht nur am Bundestrend. Bis heute hängen dem 56-jährigen Carstensen eigene Fehler aus der Startphase des Wahlkampfes an. Konfrontiert mit den hohen Popularitätswerten der Amtsinhaberin, wollte die CDU schon früh den Bekanntheitsgrad des stets froh gelaunten Nordfriesen steigern. Heraus kam dabei unter anderem eine bislang einmalige Kampagne der "Bild"-Zeitung. In einem Zeitungsinterview hatte der verwitwete Nordfriese ausgeplaudert, dass er eine Frau suche. Was folgte, war eine öffentliche Brautschau, die in Deutschland bislang ihresgleichen suchte. Was Carstensen in der Bevölkerung vielleicht noch Sympathien eintrug, löste an der Parteibasis erste Zweifel an der politischen Kompetenz des Spitzenkandidaten aus.
Weitere taktische Fehler folgten, so die Vorstellung eines Schattenkabinetts, dem zunächst keine Frau angehörte. Inzwischen haben die Wahlkampfmanager der Union kräftig umgesteuert. Statt noch weiter auf die Zugkraft des Spitzenkandidaten zu setzen, werden nun Sachthemen in den Vordergrund gestellt: die desolate Finanzlage des Landes, die Wirtschaftsflaute und die Forderung der SPD nach einer Einheitsschule bis zur neunten Klasse sind nun die Angriffspunkte der CDU. Eine in dieser Woche gestartete Unterschriftenaktion für das dreigliedrige Schulsystem soll die Bürger für die Union mobilisieren.
Unterdessen trumpft die SPD dort auf, wo die CDU schwach ist. "Heide" der Vorname von Deutschlands einziger Ministerpräsidentin ist zum Programm geworden. Mit rotem Schal lächelt Simonis freundlich von Plakaten. Die Popularität der Landesmutter soll es für die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein noch einmal richten, denn die politische Botschaften haben sich in 17-jähriger sozialdemokratischer Regierungsverantwortung entweder abgenutzt oder sind selbst in der Sozialdemokratie zu kontrovers. Jüngstes Beispiel der vergangenen Woche: Wieder einmal wollte Simonis finanzpolitisch brillieren und forderte ein Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das Nein von Kanzler ließ nicht lange auf sich warten.
Das Patt der beiden großen Parteien in den Umfragen, die Rolle des SSW und die Unsicherheit über einen möglichen Einzug der NPD ins Parlament haben Koalitions-Spekulationen ausgelöst, die den Wahlkampf stärker überlagern, als den Parteistrategen Recht sein kann. Sogar Simonis sah sich genötigt, dazu Stellung zu beziehen. Eine vom SSW tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung werde sie nicht leiten. Stattdessen ließ die Ministerpräsidentin wissen, dass eine große Koalition die Lösung sein könnte, wenn nichts anderes mehr geht. Da sah FDP-Chef Wolfgang Kubicki schon seine Felle davon schwimmen und versicherte, dass die Liberalen die rot-grüne Konstellation beenden wollen - wie auch immer. Für Simonis ein "komfortable Situation", kommentierte das Flensburger Tageblatt die politische Lage im Norden Deutschlands fünf Wochen vor dem Urnengang.