Die gesellschaftlichen Kosten der Sucht sind erheblich
Die Einnahmen aus der Tabak-, Bier- und Branntweinsteuer spülen Milliarden in das Staatssäckel. Die Finanzierung bestimmter Haushaltsposten wäre ohne diese Einnahmen gar nicht mehr finanzierbar. Der Staat braucht also offensichtlich die Süchtigen. Aber ist das nicht eine Milchmädchenrechnung? Denn den Einnahmen durch die "Suchtsteuern" stehen erhebliche volkswirtschaftliche Kosten in den Arztpraxen und Krankenhäusern entgegen. Die Behandlung von Lungenkrebs, Raucherbeinen oder Leberschädigungen belastet das nach dem Solidarprinzip finanzierte Gesundheitssystem enorm. Und das sind die nicht die einzigen Kosten der Sucht.
Bei Anti-Raucher-Kampagnen wird zum Teil zu drastischen Mitteln gegriffen. Dem Betrachter werden Bilder von Raucherbeinen und aufgelösten Lungen gezeigt. Bislang gibt es nur wenig entsprechende Äquivalente in der Anti-Alkoholwerbung. Dabei wäre ein Bild von einer zerfressenen Leber wohl nicht weniger schockierend. Der Alkoholismus ist eine der ältesten zivilisationsbedingten Krankheiten überhaupt. Die Folgen für den Einzelnen und sein Umfeld sind verheerend. Menschlich und finanziell: Die Kosten alkoholbedingter Krankheiten werden pro Jahr auf rund 20,6 Milliarden Euro geschätzt. Die Suchtkrankenhilfen und das Institut für Therapieforschung (IFT) haben die Behandlungen so genannter "substanzbezogener Störungen" näher untersucht. Darunter fallen neben Alkohol auch alle anderen Suchtmittel, wie zum Beispiel Opiate oder Cannabis. Der Befund: Bei 67 Prozent aller ambulant versorgten Personen war aber Alkohol die Ursache ihrer Probleme; bei den stationär behandelten substanzbedingten Störungen lag die Quote der Alkoholiker sogar bei 89 Prozent. Allein von 1997 bis 2002 stieg das Budget für ambulante Suchteinrichtungen im Westen Deutschlands um 56 Prozent, im Osten um zehn Prozent. Einen zunehmenden Teil dieser Kosten finanziert die Allgemeinheit: "Eine in den letzten Jahren verstärkt beachtete Finanzierungsquelle sind die Mittel der Sozial- und Krankenversicherung", schreibt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen in ihrem Jahrbuch Sucht 2004. Die Liegedauer in stationären Einrichtungen bleibt nach wie vor auf hohem Niveau: 47 Prozent aller Alkoholiker wurden bis zu sechs Monaten stationär behandelt. Grund zur Entwarnung besteht also keineswegs. Denn im Jahr 2002 ist die Zahl der Klienten mit der Diagnose "Alkoholabhängigkeit" wieder deutlich gestiegen, in einzelnen Einrichtungen um rund 20 Prozent. Außerdem haben Alkoholabhängige nach wie vor eine hohe Rückfallquote: zwölf Prozent von ihnen werden mindestens zweimal in derselben Einrichtung behandelt. Das alles trägt zu der 20 Milliarden Euro-Bilanz bei. Noch nicht darin enthalten sind allerdings alle indirekten Kosten des übermäßigen Alkoholkonsums.
Einer der wichtigsten Punkte bleibt hier bei nach wie vor das Problem von Alkohol im Straßenverkehr. Alkoholunfälle sind per definitionem alle Unfälle, bei denen mindestens einer der Beteiligten eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,3 Promille aufweist. Nach den Statistiken des Wiesbadener Bundesamtes gab es demnach 2002 insgesamt 25.701 Unfälle mit Personenschaden. Bei diesen Unfällen verunglückten 33.862 Menschen. Das bedeutet, sie mussten sich einer Untersuchung in einem Krankenhaus unterziehen. Über die Schwere und Dauer der Behandlungen gibt es keine Daten. Ob es sich nur um Schrammen, einen Armbruch oder eine langwierige Operation mit Nachuntersuchungen handelte, ist nicht zu ermitteln. Aber jede Behandlung in einem Krankenhaus oder bei einem Arzt führt zu Ausgaben, die von den Krankenkassen übernommen werden. Nimmt man für die personenbedingten Schäden durch Alkoholeinfluss im Straßenverkehr einen durchschnittlichen Schätzwert von 50 Euro pro Behandlung an, summiert sich dies auf einen Gesamtbetrag von fast 1,7 Millionen Euro.
Dies mag illustrieren, dass Alkoholabhängigkeit weitaus mehr Kosten verursacht, als auf den ersten Blick sichtbar. So zynisch es klingen mag, auch der Tod durch Alkohol - allein im Straßenverkehr verstarben 2002 932 Menschen nach Alkoholunfällen - ist ein volkswirtschaftliches Minus. Die Sozialwissenschaftler Horch und Eckardt von der Freien Universität Berlin haben berechnet, dass der Ressourcenverlust durch alkoholbedingte Todesfälle bei jährlich rund sieben Milliarden Euro liegt. Sie verweisen zudem auf 90 verschiedene "alkoholassoziierte Krankheiten". Dabei handelt es sich um Gesundheitsstörungen, die durch übermäßigen Alkoholkonsum zwar nicht ursächlich ausgelöst, aber befördert werden. Hier eine detailierte Rechnung aufzustellen, ist fast unmöglich.
Schwierig bleibt auch die Berechnung der durch übermäßigen Alkoholkonsum oder Alkoholiker verursachten Kosten in Firmen und Unternehmen. Das Schweizer Institut für Suchtfragen hat dies an Hand von statistischem Material aus über 1.000 Betrieben versucht. Es kam zu dem Schluss, dass die Arbeitgeber einen alkoholbedingten Mehraufwand von rund 1.500 Euro pro betroffenem Mitarbeiter und Jahr haben. Deswegen setzten auch deutsche Chefs immer stärker auf Suchtprävention und Aufklärung. Arbeitsschutzexperten und Betriebsärzte haben herausgefunden, dass Trinker statistisch gesehen rund 2,6 mal mehr fehlen als Abstinenzler. 25 Prozent aller Betriebsunfälle seien zudem auf den Einfluss von Alkohol zurückzuführen. Auch hier gibt es natürlich eine erhebliche Dunkelziffer: Wer gibt schon freiwillig zu, dass er betrunken war, als er einen Unfall verursachte. Erstens würde er seinen Unfallschutz verlieren und zweitens wahrscheinlich auch seinen Job. Verweist er hingegen auf seine Ungeschicklichkeit, behält er beides.
Auch wenn die Alkoholunfälle im Straßenverkehr in den vergangenen fünf Jahren insgesamt gesehen abgenommen haben, zeigt sich dabei doch ein gefährlicher Trend. Denn vor allem Jugendliche und junge Erwachsene sind für sie verantwortlich. Im Jahr 2002 waren es in der Altersgruppe der 21- bis 24-Jährigen 73,8 Prozent, in der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen immerhin noch 64,9 Prozent. Suchtforscher glauben, dass dies auch mit der Einführung der neuen, bei Jugendlichen besonders beliebten, Alkopops zu tun hat. Die unter dem Sammelbegriff Alkopops zusammen gefassten Getränke sind aber nicht nur wegen ihres Alkoholgehalts besonders gefährlich. Der hohe Zuckergehalt und die oft enthaltene Kohlensäure beschleunigen die Aufnahme des Alkohols im Blut. Die Unfallgefahr in Folge von Trunkenheit steigt. Das Hauptproblem aber bleibt die schnelle Alkoholgewöhnung: "Besonders bedenklich sind vor diesem Hintergrund die Erkenntnisse der Alkoholismusforschung, die belegen, dass der Beginn des Alkoholkonsums in frühen Lebensjahren mit einem besonders hohen Risiko von späteren alkoholbedingten Problemen und Alkoholabhängigkeit einhergehen", so das Jahrbuch Sucht 2004. Um es anders auszudrücken: Wer mit 12 oder 13 Jahren schon Schnaps trinkt, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, gewöhnt sich an den Stoff und braucht später wesentlich mehr davon, um den gleichen Effekt zu erzielen. Hier wächst unter Umständen ein Arsenal von potentiellen Alkoholikern heran. Was dies für volkswirtschaftliche Kosten verursachen würde, ist momentan noch nicht absehbar.
Jährlich sterben in Deutschland knapp 120.000 Menschen an rauchbedingten Krankheiten - dies entspricht der Einwohnerzahl einer kleinen Großstadt. Sowohl der Arbeitsausfall wegen Krankheit und Tod als auch die Kosten für die medizinische Versorgung führten im Jahr 2002 zu volkswirtschaftlichen Kosten von ebenfalls fast 20 Milliarden Euro. Diese Summe berechneten Wissenschaftler des GSF-Instituts für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen. Fast ein Drittel der gesamten Kosten, insgesamt sieben Milliarden Euro, entfallen dabei auf die medizinische Versorgung, die restlichen 12,4 Milliarden Euro entstehen durch den Arbeitsausfall aus bezahlter Arbeit. Raucher sterben vorzeitig, dadurch gehen 1,6 Millionen Lebensjahre verloren, wovon die Hälfte auf die Jahre im erwerbsfähigen Alter entfällt - Rauchen betrifft damit in starkem Maße auch die Arbeitskraft.
Gut die Hälfte aller Raucher-Ausgaben wurde für medizinische Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgewandt, die andere Hälfte entfiel in ungefähr gleicher Größenordnung auf Atemwegs- und Krebserkrankungen. Bei den Kosten des Arbeitsausfalls spielen wegen der früheren Mortalität die Krebserkrankungen die wichtigste Rolle (44 Prozent). Ungefähr ein Drittel des Arbeitsausfalls entsteht durch frühzeitigen Tod, zwei Drittel gehen auf Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentungen nach einer Erkrankung zurück. Die Kosten der unbezahlten Arbeit, die zum Beispiel dadurch entstehen, dass ein Angehöriger einen Lungenkrebskranken betreut, müssen noch dazu addiert werden. Sie liegen derzeit bei etwa 19,5 Milliarden Euro.
Ein weiterer Aspekt sind die "Raucherpausen" in Betrieben. Die dadurch bedingten Arbeitsausfälle werden auf etwa 30 bis 50 Minuten pro Tag und Raucher geschätzt. Diese Berechnungen sind allerdings sehr problematisch. Vielleicht liegt der betriebswirtschaftliche Schaden sogar noch höher.
Der Autor arbeitet als Journalist in Köln.