Abschussbefugnis nur von symbolischem Wert?
Das von Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnete Luftsicherheitsgesetz wird in Kürze in Kraft treten. Das Staatsoberhaupt hat schwerwiegende rechtliche Bedenken geltend gemacht. Die Verfassungsmäßigkeit zentraler Bestimmungen, darunter die Befugnis zum Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges, war schon im Gesetzgebungsverfahren höchst umstritten. Neben den primär diskutierten rechtlichen Fragen sind aber auch praktische Probleme zu gegenwärtigen. Angesichts seiner Entstehungsgeschichte wirft bereits der Anwendungsbereich des Gesetzes Fragen auf. Den konkreten Anlass der Gesetzgebung stellten nicht die Terroranschläge vom 11. September 2001 dar. Das die Gesetzesinitiative auslösende Ereignis war vielmehr die Entführung eines Kleinflugzeuges in Frankfurt am Main im Januar 2003. Ein offenbar geistig verwirrter Student war zwei Stunden über der Stadt gekreist, hatte damit gedroht, sich in eines der Hochhäuser zu stürzen, konnte aber schließlich zum Landen bewogen werden.
Das Gesetz wurde insbesondere geschaffen, um in derartigen und selbstverständlich auch weit gefahrträchtigeren Fällen die Luftwaffe einsetzen zu können - sei es, um Terrorflugzeuge abzudrängen, zum Landen zu zwingen, den Einsatz von Waffengewalt anzudrohen, Warnschüsse abzugeben oder eben äußerstenfalls auch abzuschießen. Jeder Streitkräfteeinsatz setzt allerdings voraus, dass "ein besonders schwerer Unglücksfall" bevorsteht (§13 Absatz 1 des Luftsicherheitsgesetzes). Ein zu erwartendes Flugzeugunglück als solches reicht daher nicht aus. Vielmehr muss der bevorstehende Schaden von außerordentlich großem Ausmaß sein, so etwa, wenn mit dem Tod zahlreicher Menschen zu rechnen ist. Experten bezweifeln, dass der Absturz eines Kleinflugzeuges in ein Hochhaus das vom Gesetz geforderte Schadensmaß überhaupt erreichen kann. Trifft dies zu, dürfen Abfangjäger auch nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes in Situationen, die mit dem Frankfurter Zwischenfall vergleichbar sind, nicht eingesetzt werden - auch nicht zur Abgabe von Warnschüssen. Das Gesetz wäre damit auf den Fall, den es gerade regeln wollte, gar nicht anwendbar.
Die Diskussionen über eine Berechtigung zum Abschuss eines Flugzeuges gehen immer von der Annahme aus, Terroristen hätten tatsächlich vor, eine entführte Maschine als Waffe zu missbrauchen. Doch wie kann praktisch festgestellt werden, dass ein Anschlag wirklich bevorsteht? Wie können Irrtümer ausgeschlossen werden? Bekannt ist ein Zwischenfall, der sich im Jahr 1972 während der Olympischen Spiele in München am Tag der Abschlussfeier ereignete: Deutsche Behörden waren zunächst davon ausgegangen, dass ein Passagierflugzeug, zu dem keinerlei Funkkontakt bestand, gekidnappt worden war und in das vollbesetzte Olympiastadion gesteuert werden sollte. Minuten bevor der damalige Bundesverteidigungsminister Georg Leber den aufgestiegenen Abfangjägern (auf jedenfalls damals fraglicher Rechtsgrundlage) den Abschussbefehl erteilen wollte, stellte sich heraus, dass es sich "nur" um eine wegen technischer Probleme orientierungslos gewordene finnische Zivilmaschine handelte.
Zudem stellt sich die Frage, inwieweit Abfangjäger der Luftwaffe ein tatsächlich entführtes Flugzeug überhaupt rechtzeitig erreichen können. Angesichts dieser Unsicherheiten waren nach dem "11. September" in Frankreich und in der Tschechischen Republik Flugabwehrraketen zur Sicherung von Atomanlagen stationiert worden. Nachdem ein entsprechendes Vorgehen zunächst auch in Deutschland diskutiert und beispielsweise von dem Vorsitzenden der Reaktorsicherheits-Kommission gefordert worden war, spielte diese Sicherungsmöglichkeit in den Beratungen über das Luftsicherheitsgesetz keinerlei Rolle mehr. Nach wie vor ist es daher allein schon aus Rechtsgründen unmöglich, Flugabwehrraketen bei der Abwehr terroristischer Gefahren einzusetzen.
Und selbst wenn wirklich ein besonders schweres Unglück bevorsteht und die Kampfflugzeuge das entführte Flugzeug zudem tatsächlich erreichen können: Auf diesen Ernstfall sollen die Flugzeuge der Luftwaffe zum gegenwärtigen Zeitpunkt technisch nur unzureichend vorbereitet sein. Kampfflugzeugpiloten haben darauf hingewiesen, es fehle an Bord an Leuchtspurmunition, mit denen Warnschüsse abzugeben wären. Auch seien die Maschinen nicht mit Stimmrekordern ausgerüstet, so dass ein etwaiger Schießbefehl nicht aufgezeichnet werden könne. Schließlich wird wohl auch die im Gesetz ausdrücklich eröffnete Möglichkeit, den Einsatz von Waffengewalt zunächst nur anzudrohen, ins Leere laufen. Dabei kann sogar dahingestellt bleiben, wie wirksam eine solche Drohung gegenüber Selbstmordattentätern ist, denn schon aus technischen Gründen ist eine Kommunikation per Funk zwischen militärischen und zivilen Piloten bisher nicht möglich. Es bleibt die Zeichensprache.
Dennoch: Von vorn herein kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass im Falle einer bevorstehenden Katastrophe nicht doch einmal die Möglichkeit besteht, rechtzeitig zu handeln. Für diesen Fall schafft das Luftsicherheitsgesetz den notwendigen gesetzlichen Rahmen. Ob dieser Rahmen freilich verfassungskonform ist, darüber wird wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.