Zivilcourage im Alltag
Was fördert zivilcouragiertes Handeln? Welche Erfahrungen und Lernprozesse, welche Motive und Werte bewegen Menschen, Zivilcourage zu zeigen? Kann man sozialen Mut im Alltag lernen und üben, oder ist Zivilcourage eine Charakterfrage, eine Sache der Persönlichkeit? Wie kann man Zivilcourage durch eine gesellschaftliche, politische und pädagogische Praxis fördern? Das Buch von Gerd Meyer gibt darauf zukunftsweisende Antworten.
Zivilcourage als demokratische Tugend ist ein zentraler Begriff in der Auseinandersetzung mit Gewalt und Rechtsextremismus, meint aber ebenso eine viele Lebensbereiche umfassende Alltagspraxis sozial mutigen Handelns. Das Buch beginnt deshalb auch mit einer Beschreibung von typischen Alltagssituationen.
Ein Beispiel: In der Straßenbahn, abends gegen 23 Uhr: Zwei Halbstarke machen zwei Mädchen an. Die ignorieren zunächst die Anmache. Als sich dann ein Junge einem der Mädchen nähert und sie antatscht, wehren sich beide entschieden. Fast jeder im Bus bekommt das mit, aber keiner tut etwas.
Zivilcourage ist in vielen Lebensbereichen gefragt, besonders am Arbeits- und Ausbildungsplatz, in privaten Betrieben wie in öffentlichen Verwaltungen, in Vereinen und Parteien wie in staatlichen Institutionen. Die Forderung nach sozialer Verantwortung und couragiertem Eingreifen gilt an vielen Orten: auf der Straße, im Bus, in der Firma, in der Disco, unter Kollegen und Freunden, in kleinem Rahmen wie in der großen Politik, in der Wirtschaft wie im öffentlichen Leben. Was selbstverständlich zu sein scheint, ist jedoch nicht Alltag. Denn nur wenige Menschen zeigen Zivilcourage, die meisten halten sich zurück, reagieren eher gleichgültig oder mit Schweigen, häufig aus Angst vor persönlichen Nachteilen, betont Gerd Meyer.
Der Autor, Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Tübingen, gibt einen Überblick über bisherige Forschungsergebnisse. Er analysiert Handlungsspielräume, Leitbilder und Funktionen von Zivilcourage in Gesellschaft und Politik. Die empirische Analyse der personen- und situationsorientierten Beweggründe von Zivilcourage wird in zwei übersichtlichen Handlungsmodellen zusammengefasst. Weitere Forschungen zeigen, wie Zivilcourage durch Bürgerengagement, pädagogisches Handeln und eine interdisziplinäre Arbeit gefördert wird. Eine umfangreiche Bibliographie rundet den informativen und lesenswerten Band ab.
Das Buch verdeutlicht, dass Erziehung, vorgelebte Praxis und positive Erfahrungen bereits im Elternhaus wesentlich dazu beitragen, dass sich gerade auch junge Menschen mit Zivilcourage gegen Ungerechtigkeit wehren und für andere einsetzen. Auch die Schulen sollten sozial verantwortliches und zivilcouragiertes Handeln intensiv fördern. Denn Zivilcourage kann man durch eine veränderte Einstellung und ein flexibleres Handlungsrepertoire lernen, so dass man schwierigen Situationen nicht mehr hilflos gegenübersteht. Ein soziales Kompetenztraining hat sich dabei als eine durchaus Erfolg versprechende Arbeitsform bewährt.
Besonders die Schulen sind gefordert: Wenn hier die tägliche Interaktion möglichst demokratisch gestaltet und als förderlich für aufrechtes, konstruktiv-kritisches Verhalten praktisch erlebt wird, dann kann Zivilcourage als demokratische Tugend durch Erfahrung und Modell gelernt, erprobt und nachhaltig verankert werden. Zivilcourage ist damit ein bedeutsames Bildungsziel. Ein wichtiges Grundlagenbuch, das Pädagogen, Eltern, Politikern und Oberstufenschülern sehr zu empfehlen ist.
Gerd Meyer
Lebendige Demokratie: Zivilcourage und Mut im Alltag.
Forschungsergebnisse und Praxisperspektiven.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004; 303 S., 34,- Euro