Berlin/Brandenburg
Wie rechts sind die Brandenburger und die Berliner? Immerhin ist die Deutsche Volksunion (DVU) nach 1999 auch 2004 wieder mit Fraktionsstärke in den Potsdamer Landtag gewählt worden, wo sie über sechs Mandate verfügt. In Berlin hingegen ist die DVU kaum präsent. Ihre Mitglieder sind außerdem überaltert. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2001 trat die DVU erst gar nicht wieder an. Die NPD kam auf 0,9 Prozent. Die Republikaner schafften 1,3 Prozent. Auch im Blick auf die im Herbst 2006 anstehende Neuwahl des Berliner Abgeordnetenhauses haben die rechten Parteien keine Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen.
Kürzlich hat ein Team der Professoren Richard Stöss und Oskar Niedermayer von der Freien Universität versucht, die rechte Einstellung der Bevölkerung in Berlin und Brandenburg zu messen. Mit neuartigen Fragen, die zuvor intensiv getestet worden waren, wollte man versuchen, Einblick in das politische Denken der Berliner und Brandenburger zu gewinnen. So ging es nicht mehr um klischeehafte Ja- oder Nein-Antworten, sondern um differenziertere Feststellungen wie "Andere Völker mögen Wichtiges vollbracht haben, an die deutschen Leistungen reicht das aber nicht heran" oder "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert".
Mit Unterstützung des Forsa-Instituts wurden 2.000 Berliner und Brandenburger ab dem 18. Lebensjahr befragt. Jeweils rund 500 Befragte kamen aus dem Berliner "Speckgürtel", den ländlichen Regionen Brandenburgs, dem Ost- und Westteil der Bundeshauptstadt. Dabei zeigte sich, dass rund zwölf Prozent der Brandenburger ein mehr oder weniger rechtsextremes Weltbild haben, die Berliner (ohne große Unterschiede zwischen Ost und West) nur die Hälfte davon. Je höher der Bildungsstand der Befragten war, desto niedriger war die rechtsextreme Gesinnung. Außerdem ist eine solche Einstellung bei Frauen leicht höher verbreitet als bei Männern.
Interessant ist auch, dass nach dieser Untersuchung der Anteil von Menschen mit einer rechtsextremen Gesinnung unter den ab 64-Jährigen am höchsten und unter den bis 24-Jährigen am niedrigsten war. Auf die Frage, welche Partei sie am nächsten Sonntag wählen würden, gaben die mit einem rechtsextremen Weltbild zu 30 Prozent an, SPD wählen zu wollen. Bei der konkreteren Frage, ob sie auch eine rechte Partei wählen würden, antworteten 31 Prozent der Brandenburger und 26 Prozent der Berliner mit einem rechtsextremen Hintergrund mit Ja.
Die NPD, deren Mitgliederzahl in Berlin auf 150 bis 200 geschätzt wird und die nach den Angaben ihres Landesverbandes noch in diesem Sommer auf 300 Mitglieder kommen will, bereitet den Politikern und Verfassungsschützern an der Spree weniger Sorgen als die rechtsextremen Kameradschaften. Bundesweit gibt es etwa 160 Kameradschaften mit etwa 3.000 organisierten Neonazis. In Brandenburg sollen den schätzungsweise zwölf Kameradschaften etwa 200 Neonazis angehören.
Doch der Staat schaut nicht einfach tatenlos dem Treiben dieser Kameradschaften zu. So ließ bereits im März Berlins Innensenator Erhard Körting (SPD) zwei dieser Organisationen verbieten, nämlich die aus dem Bezirk Lichtenberg stammende "Kameradschaft Tor" mit 10 bis 15 Mitgliedern (mit der "Mädelgruppe Tor" in der Tradition des "Bundes deutscher Mädel" im Dritten Reich) sowie die etwa gleich große Berliner Alternative Süd-Ost (BASO), die vor allem im Südosten der Bundeshauptstadt aktiv war und seit 2003 bestand. Die "Kameradschaft Tor" (abgeleitet vom Frankfurter Tor) war bereits 2000 gegründet worden.
Beschlagnahmt wurden bei polizeilichen Untersuchungen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verbot reichlich neo-nazistisches Propagandamaterial, zahlreiche CDs mit rechtsextremistischer Musik, Klebezettel mit dem Bildnis von Horst Wessel, aber auch Bargeld in Plastiktüten. Verboten wurden die beiden Kameradschaften, weil sie nach Innensenator Körting den demokratischen Staat beseitigen wollten. Verboten wurden die beiden Kameradschaften nach dem Vereinsgesetz, obwohl sie keinen Verein bildeten, wohl aber vereinsmäßige Strukturen besessen haben sollen.
Nach Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes orientieren sich die Rechtsextremisten immer mehr von Parteien weg und hin zu Kameradschaften und ähnlichen Organisationsformen. Für 2003 wird die Zahl der Neonazis in Berlin mit insgesamt 750 angegeben. Allerdings mit leicht steigender Tendenz. Die meisten rechtsradikalen Gewalttäter kommen in Berlin aus dem Ostteil der Stadt. Im Land Brandenburg wird die Zahl der rechtsextremen Kameradschaften auf 12 mit etwa 200 Neonazis geschätzt.
Auch in Brandenburg sieht Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) rechtsextremistischem Treiben ebenfalls nicht tatenlos zu. Im April ließ er die "Kameradschaft Hauptvolk" und die Untergliederung "Sturm 27" verbieten. Bei Hausdurchsuchungen stellten die Polizeibeamten viel belastendes Material sicher. Die verbotene Kameradschaft war vor allem im Havelland aktiv und zählte mehr als 60 Mitglieder im Alter bis Mitte 20. Der Verfassungsschutz hatte schon seit längerem ein Auge auf diese Gruppe geworfen.
Die Untergliederung "Sturm 27" gab sich gewalttätiger, so die Polizeibehörden. Der Name leitete sich ab von der im Dritten Reich in Rathenow und Umgebung beheimateten SA-Brigade 27. Die Kameradschaft unterhielt sogar in Rathenow unter dem Namen "Sportvolk" eine eigene Fußballmannschaft.
Übrigens war das April-Verbot rechtsextremistischer Gruppen das dritte dieser Art seit Bestehen des Landes Brandenburg im Jahr 1990. Der frühere Innenminister Alwin Ziel (SPD) ließ 1995 die "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" und 1997 die "Kameradschaft Oberhavel" verbieten. Bei der Durchsuchung der "Kameradschaft Hauptvolk" stellte die Polizei im April zahlreiches Propagandamaterial sowie Schreck-schusspistolen sicher.
Erschüttert ist man in Brandenburg darüber, dass die DVU bei geheimen Personal-Abstimmungen im Landtag mehrmals mehr Stimmen erhielt, als sie Mandate hat. Dabei sind sich die Verantwortlichen der Fraktionen von SPD, CDU und PDS sicher, dass die Stimmen nicht aus ihren jeweiligen Fraktionen kommen. Für SPD-Fraktionschef Günter Baaske steht fest: "Hier will jemand Sand ins Getriebe streuen."