Berliner Jugendprojekte bewerben sich um den goldenen Alex
Am Anfang dauert es etwas. Immer wieder müssen die Jungs mit den Basecaps und den Baggy Pants durch die Sicherheitsschleuse, und immer wieder leuchtet das rote Lämpchen. Schuld sind wohl die massiven Silberketten, die sie um den Hals tragen - doch die abzulegen wäre uncool. Das sieht irgendwann auch der freundliche Mann am Einlass des Russischen Hauses der Wissenschaft und Kultur ein und winkt die sechsköpfige Truppe freundlich durch. Endlich angekommen auf dem Jugendprojekt-Wettbewerb alex2005 geraten jedoch alle modischen Aspekte schnell in den Hintergrund. Was hier präsentiert wird, beeindruckt und ringt jede Menge Respekt ab.
Seit 1998 gibt es den Wettbewerb alex, der von der Berliner SPD initiiert wird. Hier können Jugendliche ihre Projekte vorstellen und von einer Fachjury bewerten lassen - und werden mit Glück am Ende auf einer Gala mit dem goldenen Alex prämiert. Die kleine Statue in Form eines Männchens mit verstrubbelten Haaren wird in den Kategorien Film, Kunst/Kultur, Medien, Musik, Politik, Soziales und Technik/Forschung vergeben. Das Motto in diesem Jahr ist gänzlich unbescheiden: "Deine Heldentat für Berlin" - denn, so Projektleiterin Nathalie Martin, "alle, die es schaffen, bis zur Gala ihr eigenes Projekt zu verwirklichen, sind bereits Helden". Und tatsächlich lassen die Projekte, die am 19. Mai im Russischen Haus präsentiert werden, ahnen, mit wieviel Energie und Engagement sich die Berliner Jugendlichen an die Arbeit gemacht haben.
Annika Nouns und ihre drei Mitstreiterinnen sitzen vor einer großen Fotowand. Dort zeigen unzählige Bilder, wie die Abiturientinnen im Frühjahr diesen Jahres an ihrer Schule den "MCO Grand Prix 2005" organisiert haben. "Das ist ein Musikwettbewerb, der an der Marie-Curie-Oberschule schon seit fünf Jahren stattfindet. Aber in diesem Jahr hat sich irgendwie niemand darum gekümmert. Es sah so aus, als müsste die Veranstaltung ausfallen. Da haben wir uns gesagt: Das ist unser letztes Jahr, das soll gut werden - also haben wir die Organisation in die Hände genommen." Mit Erfolg: In nur zwei Monaten haben die vier 19-Jährigen die Räumlichkeiten für den Grand Prix organisiert, eine Teilnehmerliste aufgestellt und eine Party für 600 Leute organisiert. "Die war echt super", strahlt Annika und kann sich wie ihre Freundinnen an den Videoaufnahmen des Events kaum sattsehen.
Bedeutend kleiner ist der Stand nebenan. Hier sitzt Nina Perkowski. Die 18-Jährige ist eine der wenigen Einzelkämpferinnen an diesem Tag. Sie erzählt mit leuchtenden Augen von ihrem Projekt. "Ich möchte Interviews mit Jugendlichen in Südafrika führen und daraus eine Fotoreportage machen." Die Idee entstand, als Nina für ein halbes Jahr bei einer Gastfamilie in Johannesburg lebte. Dort wurde ihr klar, wie groß die Probleme Südafrikas sind: "Über 20 Prozent der Menschen sind mit HIV infiziert, in manchen Gegenden ist die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos." Sie fragte sich, wie die Jugendlichen damit zurechtkommen. "Ich möchte sie nach ihren Zielen und Träumen fragen, nach ihren Visionen. Und ich möchte wissen, wie sie ihre Zukunft realistisch sehen. Das könnte man nach ungefähr fünf Jahren wiederholen, um zu sehen, was aus den Plänen der Jugendlichen geworden ist." Wer Nina erlebt, wie sie ihr Vorhaben beschreibt, der glaubt sofort, dass es ihr ernst ist - und dass sie es auch durchziehen wird, egal, ob sie am Abend einen goldenen Alex gewinnen wird oder nicht.
Auch die Frauengruppe am anderen Ende des Saals glaubt fest an ihr Projekt. Cigden Kazanci und Funda Biter sind Mitarbeiterinnen des Neuköllner MaDonna-Mädchentreffs. Sie haben ein besonders brisantes Thema aufgegriffen. "Wir haben eine Postkarte entwickelt mit der Aufschrift ,Ehre ist für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen'. Damit wollen wir auf das Thema Ehrenmorde aufmerksam machen, denn meist sind es ja die Brüder, die ihre Schwestern unterdrücken." Die Postkarte wollen sie an öffentlichen Räumen verteilen - auch wenn sie für ihr Engagement oft angefeindet werden. Doch davon lässt Cigden sich nicht beeindrucken: "Jeder Mensch hat das Recht auf ein freies Leben. Das wollen wir klarmachen."
Eine solche Botschaft hat auch Ilja Gorodezki. Der Azubi aus Russland schreibt für die interkulturelle Jugendzeitung domino. Er bringt seine Überzeugung auf den Punkt: "Also wenn einer sagt, dass uns etwa Kinderarbeit nichts angeht, dann hat er voll unrecht, denn es geht uns sehr wohl etwas an!" Mit der Jugendzeitung versucht Ilja, die interkulturelle Verständigung zu fördern - so wie Florian Stiller. Er will während der Sommerferien einen Workshop für Breakdance, Graffiti und Beatbox anbieten. Sein Ziel: Fremdenfeindlichkeit innerhalb von Berlin abzubauen. Dass es die gibt, hat er am eigenen Leib erfahren: "Ich komme eigentlich aus Kreuzberg und mache mein Abitur in Marzahn. Können Sie sich vorstellen, wie die dort über Türken denken?" Florian will das ändern - und für ihn ist es der erste Schritt, Jugendliche aus allen Stadtteilen zusammen zu bringen, damit sie sich kennenlernen und Vorurteile abbauen können.
Ihm ist wie allen Jugendlichen an diesem Tag anzusehen, wieviel ihnen ihre Projekte bedeuten. Während sie drinnen wieder und wieder erzählen und erklären, was sie bereits gemacht haben und was noch vor ihnen liegt, fährt draußen eine Autokolonne der IG Metall am Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur vorbei. In blitzblanken Limousinen lassen sich ältere Herren zur Demonstration herumfahren und schwenken Fahnen mit den immergleichen Sprüchen. Noch viel deutlicher als sonst wird jetzt, wie eingerostet und bräsig dieses vermeintliche Engagement ist, wenn drinnen junge Berliner zeigen, wie sie ihre Stadt und vielleicht auch die Welt ein bisschen besser machen wollen.
Das setzt sich auch am Abend fort. Vom Glamour edler Gewerkschaftsempfänge ist bei der "Nacht der Helden" nichts zu spüren. Statt Champagner und Häppchen gibt es Wasser aus Flaschen und mitgebrachte Käsestullen. Die Stimmung ist dennoch bestens - Schirmherr Klaus Wowereit, jugendlich-sportlich in Jeans und ohne Krawatte, wird mit frenetischem Beifall empfangen. Er findet viel Lob für die Arbeit der Jugendlichen. "Wir haben Helden gesucht - und gefunden. Es ist wichtig für unsere Stadt, dass sich Menschen engagieren und etwas tun. Zum Glück geschieht das auch täglich. Damit ist klar: Auch wenn oft über die Berliner Schulen geschimpft wird, bringen sie doch großartige Helden hervor." Dass Wowereit sofort nach seiner zehnminütigen Rede verschwindet und nicht zur Party bleibt, bringt ihm zwar Pfiffe ein, trübt die Stimmung aber nicht. Und als das soziokulturelle Jugtendtheaterprojekt aus Moabit für sein Theaterstück "Intifada im Klassenzimmer" den goldenen Alex in der Kategorie Politik erhält, kocht der Saal fast über. Die Jugendlichen aus Berlin, Palästina, Griechenland und dem Kosovo springen auf der Bühne herum, umarmen sich und schnappen sich immer wieder das Mikrophon, um "Danke" in den Saal zu rufen - fast wie bei der Oscar-Verleihung. Nur lebendiger.