Interview mit Bundesverteidigungsminister Peter Struck
Das Parlament: Herr Minister, mit welchen Eindrücken sind Sie von Ihrer letzten Auslandsreise nach Afghanistan, Usbekistan und die Vereinigten Arabischen Emiraten zurückgekehrt?
Peter Struck: Zunächst einmal zum Ausbildungsprogramm, das wir in Abu Dhabi für irakische Pioniere durchführen: Die Irakis wie auch die Arabischen Emirate sind sehr dankbar für diese Leistung, die wir dort erbringen. Wir haben dem Irak ja nicht nur finanzielle Hilfe versprochen, sondern auch tatsächliche Hilfe bei der Ausbildung der Armee. Unsere Programme laufen sehr gut. In Usbekistan geht es immer darum, mich mit meinem Kollegen über die Zusammenarbeit auf unserem Luftwaffentransportstützpunkt in Termes zu verständigen. Von dort aus versorgen wir unsere Soldaten im afghanischen Kabul, in Feyzabad und Kundus. Für Afghanistan muss ich immer wieder betonen, die Anwesenheit der Bundeswehr ist ein wesentlicher Beitrag zur Stabilität des Landes.
Das Parlament: Ist es absehbar, wie lange die Bundeswehr dort noch bleiben wird?
Peter Struck: Nein, das kann niemand vorhersagen. Im kommenden Herbst werden dort Parlamentswahlen abgehalten nach der ersten freien Präsidentenwahl im vergangenen Jahr. Dann könnte eine Stabilisierung eintreten. Aber in absehbarer Zeit lassen die politischen Verhältnisse im Land keinen Abzug der multinationalen Truppen mit ungefähr 7.000 Soldaten zu.
Das Parlament: Deutsche Soldaten kritisieren - zum Beispiel im letzten Bericht des Wehrbeauftragten -, dass die Bundeswehr über kein Mandat zur Drogenbekämpfung in Afghanistan verfügt. Überspitzt ließe sich formulieren, die Soldaten müssen damit rechnen, dass diese Drogen eines Tages in die Hände ihrer Kinder geraten und dass die Waffen, die aus dem Drogenhandel finanziert werden, gegen die Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt werden. Glauben Sie, dass es bald zu einer Änderung des Mandats kommen wird?
Peter Struck: Wir haben ein klares Votum aller Fraktionen bekommen, dass die Bundeswehr nicht unmittelbar gegen den Drogenanbau oder -handel einschreiten soll. Das gilt im übrigen für alle ISAF-Nationen, wir beschreiten da keinen Sonderweg. Was wir allerdings tun, ist mehr, als es nach außen den Anschein erweckt. Wir leisten der afghanischen Nationalarmee, die federführend beim Kampf gegen den Drogenanbau- und handel ist, logistische Hilfe - auch Ausbildungshilfe. Wir geben Informationen weiter, die wir während der Patrouillenfahrten im Norden Afghanistan über Opium- und Mohnfelder sammeln. Es ist nicht so, dass wir nichts tun, sondern wir tun, was uns möglich ist und worum uns die afghanische Regierung gebeten hat.
Das Parlament: Wenn aber die afghanische Armee gegen die Drogenbarone vorgeht, müssen Sie damit rechnen, dass es zu einer Gewalteskalation kommt. Dann wäre die Bundeswehr doch auch betroffen.
Peter Struck: Nachdem Präsident Hamid Karsai das Drogenbekämpfungsprogramm auf die Prioritätenliste seiner Regierung gestellt hat, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Situation für deutsche Soldaten gefährlicher wird. Darauf sind sie eingestellt und haben alle menschenmöglichen Vorkehrungen getroffen. Wenn dieser Kampf ernsthaft geführt wird, und mein Eindruck ist es, dass Kasai das tut, dann wird es gefährlicher.
Das Parlament: Würde eine Verschärfung der Situation in Afghanistan zu einer Verstärkung des Bundeswehr-Kontigentes führen?
Peter Struck: Besonders betroffen vom Drogenanbau sind die Regionen Kundus und Feyzabad. Dort können wir bis zu 450 Soldaten stationieren. Jetzt haben wir rund 400 dort.
Das Parlament: Sie vermuten eine breite Basis in den Fraktionen?
Peter Struck: Es gibt glücklicherweise in diesen Fragen der Auslandseinsätze einen breiten Konsens zwischen den Koalitionsfraktionen und der Opposition. Die FDP ausgenommen, weil sie bisher bei den Entscheidungen im Parlament gegen die Einsätze in Kundus und Feyzabad gestimmt hat. Ich habe den FDP-Parteivorsitzenden Guido Westerwelle mehrfach aufgefordert, sich selbst einmal die Situation vor Ort anzusehen, weil ich glaube, dass er dann seine Meinung ändern wird. Er ist jetzt in der Planung für einen Besuch dort. Ich hoffe, dass er mit positiven Erfahrungen zurückkommt.
Das Parlament: Haben Sie Sorge, dass mit wachsendem Engagement der Bundeswehr im Ausland die Gefahr terroristischer Anschläge im Inland wächst?
Peter Struck: Wir können glücklich sein, dass wir in Deutschland noch keine größeren Anschläge hatten.
Das Parlament: Wie in Madrid…
Peter Struck: Wie in Madrid, Ankara oder Kairo. Wir sind genauso Ziel von Al Qaida und anderen Terrororganisationen wie die genannten Länder. Denn wir engagieren uns stark im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Wir verhindern mit unserer Arbeit in Afghanistan, dass wieder ein System entsteht, in dem Terroristen ausgebildet werden können. Wir sind am Horn von Afrika, um Nachschubwege von Terroristen zu kontrollieren. Man darf sich aber keiner Illusion hingeben, dass Deutschland nicht auch Ziel von Terroristen werden könnte.
Das Parlament: Sie haben in einem Interview mit dem "Stern" im vergangenen Jahr beklagt, dass Deutschland noch keine richtige Debatte über die Auslandseinsätze geführt hat. Abgesehen davon, dass es eher ungewöhnlich ist, dass ein Minister eine kritische Debatte über seine eigene Politik einfordert, was wollen und können Sie denn tun, um diese Debatte in Gang zu setzen?
Peter Struck: Ich kann nicht mehr tun, als in Reden im Parlament und an anderen Stellen zu betonen, dass man diskutieren muss. Ich möchte zwei Dinge beispielhaft nennen. Der erste Satz ist, "Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt", der zweite Satz ist, "das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt". Diese neuen Aufgaben der Bundeswehr müssen den Menschen in Deutschland klar gemacht werden. Es wird auf erschreckende Weise deutlich, wenn etwas passiert. Dann kommen natürlich die Fragen: "Was macht die Bundeswehr in Afghanistan, was macht sie im Sudan?" Diese sicherheitspolitische Debatte über die neuen Aufgaben der Bundeswehr wird in Fachkreisen geführt, aber leider nicht in einer breiten Öffentlichkeit.
Das Parlament: Haben Sie einen Verdacht, woran das liegen könnte?
Peter Struck: Ich habe schon einen Verdacht, ich war ja früher Fraktionsvorsitzender. Im Vordergrund stehen derzeit die innenpolitischen Debatten. Die Fragen der Sozialreformen, die Fragen der Lohnsicherheit. Die äußere Sicherheit ist für den Einzelnen kein drängendes Thema.
Das Parlament: Sie sprechen von weltweitem Engagement der Bundeswehr. Welche Kapazitäten sind denn für weitere Engagements im Ausland noch vorhanden?
Peter Struck: Wir bauen die Bundeswehr ja gerade um, um noch größeren Anforderungen gerecht werden zu können. Wir haben uns international verpflichtet, zum Beispiel bei der Schnellen Eingreiftruppe NATO Response Force (NRF) ausgiebig mitzuwirken. Wir haben jetzt ungefähr 6.000 Soldaten im Einsatz. Als ich vor drei Jahren begonnen habe, hatten wir 10.000 Soldaten im Auslandseinsatz. Wir haben also noch Kapazitäten. Aber es muss in jedem einzelnen Fall genau entschieden werden, gehen wir in einen solchen Einsatz oder nicht. Da wir eine Parlamentsarmee haben, muss das Parlament zustimmen. Ich lege Wert darauf, dass im Parlament eine breite Zustimmung gesichert ist.
Das Parlament: Hinter vorgehaltener Hand behaupten Offiziere, dass der Verteidigungsminister die Zahl der Auslandseinsätze ja lieber restriktiver handhaben würde. Doch dann würde der Außenminister bei seinen Kollegen irgendwelche Zusagen machen, und die Bundeswehr müsse wieder springen…
Peter Struck. Das ist definitiv nicht so. Ich habe erstens ein sehr gutes Verhältnis zu Joschka Fischer. Zweitens sprechen der Außenminister und ich intensiv über möglicherweise bevorstehende Verpflichtungen beziehungsweise Einsätze. Da gibt es keine Differenzen.
Das Parlament: Die Bundeswehr engagiert sich weltweit im Kampf gegen den Terror. Warum tut sie sich im Inland damit so schwer?
Peter Struck: Wir haben eine klare Verfassungslinie. Das heißt, die Bundeswehr ist für die Sicherheit nach außen verantwortlich, die Polizei für die Sicherheit nach innen. Es gibt nur eine ganz kleine Ausnahme, das Gesetz für den Kampf gegen Luftpiraten, das so genannte Luftsicherheitsgesetz. Ansonsten kann ich nur sagen, Soldaten sind keine Polizisten, und die Bundeswehr ist keine Reservistentruppe für die Länderpolizei.
Das Parlament: Im Januar wurde dieses Luftsicherheitsgesetz von Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnet. Gleichzeitig hat er das Gesetz kritisiert und zur Klage gegen das Gesetz aufgerufen. Bei den Piloten der Luftwaffe könnte nun doch der Verdacht aufkommen, sie sollen ein Gesetz ausführen, das umstritten ist. Wie sauer waren Sie auf den Bundespräsidenten?
Peter Struck: Gar nicht. Ich habe Verständnis dafür, dass es eine einschneidende Maßnahme des Gesetzgebers ist. Meines Wissens gibt es ja inzwischen eine Klage von Bayern, Hessen und mehreren Privatpersonen in Karlsruhe. Als Jurist bin ich der festen Überzeugung, dass das Gesetz rechtmäßig ist. Aber natürlich kann man das überprüfen lassen. Mir ging es darum, größere Klarheit zu schaffen. Nicht für mich selbst, denn ich bin ja derjenige, der den Befehl geben muss. Ich wollte aber nicht, dass der Pilot, der meinen Befehl ausführt, hinterher mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen muss oder zivilrechtlich mit Schadenersatzforderungen. Die Piloten der Luftwaffe akzeptieren das, wir haben jetzt rechtliche Klarheit. Wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, das reicht nicht, was ihr da geschrieben habt, dann müssen wir reagieren.
Das Parlament: Dennoch gibt es Bedenken bei den Beteiligten. Bringen sie den "Staatsbürger in Uniform" in einen Konflikt?
Peter Struck: Nein, weil es eine rechtliche Regelung gibt. Es gilt, dass der Minister den Befehl geben kann. Der Pilot muss nach den Regeln, die wir haben, den Befehl ausführen.
Das Parlament: Portugal und Griechenland haben während der Fußballeuropameisterschaft und der Olympischen Spiele die NATO um Unterstützung bei der Terrorabwehr gebeten. Wird es im kommenden Jahr bei der Fußball Weltmeisterschaft in Deutschland ein ähnliches Ersuchen der Bundesregierung geben?
Peter Struck: Ich denke schon, dass wir den Luftraum überwachen werden. Wir haben es auch getan, als der amerikanische Präsident in Mainz zu Gast war. Natürlich kann ein solches Großereignis wie die Fußballweltmeisterschaft ein mögliches Ziel terroristischer Aktivitäten werden. Dem müssen wir im Vorfeld begegnen.
Das Parlament: Sind Sie mit Herrn Schily im Gespräch?
Peter Struck: Auf der Arbeitsebene läuft das schon. Die Planungen sind begonnen worden, für uns ist Luftraumüberwachung eine Routine.
Das Parlament: Eine kleine Zwischenbilanz zur Transformation der Armee - wo steht die Bundeswehr heute?
Peter Struck: Im Zusammenhang mit den Stationierungsentscheidungen im November letzten Jahres haben wir festgelegt, wann die 105 Kasernen geschlossen werden. Es liegen noch 75 alte Entscheidungen meines Vorgängers Rudolf Scharping vor. Wir werden bis 2010 insgesamt 180 Standorte in Deutschland schließen. Das bedeutet Klarheit für die Bundeswehr. Jede Soldatin, jeder Soldat der Bundeswehr weiß, wohin seine Einheit kommt, ob sie aufgelöst wird, und er weiß, wo sein beziehungsweise ihr nächster Standort sein wird. Für die Zivilbeschäftigten gibt es eine Garantie, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Wir sind jetzt dabei, die einzelnen Strukturentscheidungen so umzusetzen, dass wir sagen können, im Jahr 2010 haben wir 35.000 Eingreifkräfte, 70.000 Stabilisierungskräfte, 145.000 Unterstützungskräfte.
Das Parlament: Zum Umbau der Bundeswehr gehört auch die Einführung neuer Ausrüstung und Waffensysteme. Nun gab es gerade in den vergangenen Wochen eine heftige Auseinandersetzung mit den Grünen über die Beschaffung des neuen Raketenabwehrsystems MEADS. Warum ist es so schwer, sich auf die Anschaffung der benötigten neuen Ausrüstung zu einigen?
Peter Struck: Ein Grund ist sicher, dass das alles sehr viel Geld kostet, der A400M oder der Eurofighter. Milliarden sind natürlich schon ein Brocken, den man bewältigen muss in einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren. Und andererseits stellt sich immer wieder die Frage angesichts der neuen Bedrohungslage, die ja dadurch definiert ist, dass uns niemand von draußen bedroht mit Panzerarmeen oder Kampfflugzeugen, braucht man solche Waffensysteme? Natürlich brauchen wir Flugzeuge, wir brauchen Plätze zum Üben für solche Flugzeuge. Wir brauchen Schiffe, wir brauchen auch Raketenabwehrsysteme wie MEADS. Sie sind zum Beispiel dafür geeignet, ein Camp mit Soldaten an irgendeiner Stelle der Welt, einen Flugplatz oder einen Hafen zu schützen. Viele Deutsche sagen aber auch, gebt doch nicht so viel Geld für Waffen aus.
Das Parlament: Sie sind einer der wenigen Verteidigungspolitiker, der sich noch nicht über die Höhe seines Etats beklagt hat. Das ist ungewöhnlich für einen ehrgeizigen Minister.
Peter Struck: Ich bin nicht ehrgeizig.
Das Parlament: Ach so?
Peter Struck: Ich war mit dem Bundeswehr-Etat als Fraktionsvorsitzender einverstanden und jetzt bin ich es auch als Verteidigungsminister. Natürlich habe ich dem Finanzminister gesagt, dass ich mit seinem Plan nur schwer zurecht komme. Als Sozialdemokrat akzeptiere ich es, wenn überall gekürzt und gespart werden muss. Wir kommen mit dem zur Verfügung stehenden Geld aus. Wir haben Prioritätsentscheidungen getroffen.
Das Parlament: Die Erhaltung der Wehrpflicht scheint Ihnen ein Herzensanliegen zu sein. Sie lassen keine Gelegenheit aus, um für sie zu werben. Die Zahl der Gegner in Ihrer Partei ist jedoch groß. Der schick-salsträchtige Parteitag zu diesem Thema steht im November an. Werden Sie die Kreise um Ute Vogt und Renate Schmidt vorher noch einmal ins Gebet nehmen?
Peter Struck: Ich glaube, dass dieser Parteitag in Karlsruhe schlicht über Ja oder Nein entscheiden wird. Ich will mich auch nicht auf irgendein Kompromissmodell einlassen.
Das Parlament: Werden Sie an diese Frage Ihre Vertrauensfrage koppeln?
Peter Struck: Nein, ein Minister muss für seine Position kämpfen. Wenn er unterliegt, dann muss er damit fertig werden.
Das Parlament: Das hört sich sportlich an!
Peter Struck: Ja, ich bin Fußballer, jetzt kann ich nicht mehr spielen aus gesundheitlichen Gründen. Aber wenn ich irgendwo antrete, dann will ich auch gewinnen. Ich habe Gerhard Schröder und Franz Müntefering auf meiner Seite. Die Frage soll mit offenem Visier auf dem Parteitag ausgetragen werden.
Das Parlament: Das Ziel der Umstrukturierung lautet 195.000 Berufs- und Zeitsoldaten und 55.000 Wehrpflichtige. Ist die ganze Diskussion um eine Beibehaltung der Wehrpflicht angesichts dieses Zahlenverhältnisses nicht ohnehin eine Scheindebatte? Haben wir nicht längst eine Berufsarmee?
Peter Struck: Nach neun Monaten gehen die Wehrpflichtigen raus aus der Armee, und neue kommen. Das bringt immer wieder neues Leben. Debatten, die in der Gesellschaft geführt werden, finden in der Bundeswehr auch statt. Zum anderen ist es so, die Größe der Bundeswehr kann ja nicht abhängen von einem Geburtsjahrgang. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden, dass die Größe der Bundeswehr von den Aufgaben abhängt, die ihr die Politik vorgibt. Und die Wehrgerechtigkeit ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig gewährleistet. Insofern bin ich auch juristisch auf der sicheren Seite. Also ich denke, die Argumente, die ich vortragen werde auf dem Parteitag, werden auch die Zweifler überzeugen. Ein Thema, das in meiner Partei offen diskutiert wird. Die CDU versteckt sich, die beiden kleinen Parteien sind für die Abschaffung der Wehrpflicht.
Das Parlament: Sie sagen, die Wehrgerechtigkeit ist gegeben. Das könnte ein junger Deutscher, der wehrpflichtig ist, anders beurteilen. Wie würden Sie denn einem Wehrpflichtigen mit wenigen Sätzen erklären, dass diese Entscheidung richtig ist und auch für ihn persönlich eine gute Entscheidung ist?
Peter Struck: Man geht von einer Jahrgangsstärke aus in den nächsten Jahren von rund 420.000 Männern, davon fallen über 20 Prozent wegen fehlender Eignung aus. Ich würde denjenigen sagen, die für die Bundeswehr in Frage kommen: Die Bundeswehr ist eine große Chance. Sie werden sehr gut ausgebildet, sie haben gute Möglichkeiten für den weiteren beruflichen Weg, selbst wenn sie nur neun Monate bleiben. Anders gesagt - die Bundeswehr ist attraktiv.
Das Parlament: In der Diskussion schwingt neben all den rationalen Argumenten eine sehr emotionale Bindung an die Wehrpflicht mit. Die Deutschen haben im Gegensatz zu Reichswehr und Wehrmacht gute Erfahrungen mit ihrer Wehrpflicht-Bundeswehr gemacht. Ist das für Sie ein wichtiges Argument für deren Erhaltung?
Peter Struck: Das, was Sie ansprechen, ist eines der Hauptargumente für mich. Es gibt eine große Anteilnahme an der Bundeswehr deshalb, weil viele die Wehrpflichtarmee erlebt haben. Das würden wir sofort kappen, hätten wir nur die Berufsarmee. Es würde sich eine Mentalität breit machen nach dem Motto, für schwierige Fälle haben wir Soldaten. Wenn in Afghanistan oder im Kongo Soldaten sterben, dann heißt es, das ist ihr Beruf. Das möchte ich nicht, dass so eine Situation in Deutschland eintritt.
Das Parlament: Insofern hat die Wehrpflicht zur Imageverbesserung der Bundeswehr beigetragen?
Peter Struck: Auf jeden Fall. Wir merken das bei den Vorbereitungen zu den Veranstaltungen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums. Es melden sich viele, die vor zehn, 20, 30 Jahren bei der Bundeswehr waren. Die Bundeswehr hat eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.
Das Parlament: Wie hoch ist der Anteil der Bundeswehr am Image Deutschlands im Ausland?
Peter Struck: Nach den vielen Auslandsreisen, die ich gemacht habe, würde ich sagen, dass das Ansehen Deutschlands dort, wo die Bundeswehr im Einsatz ist, sehr hoch ist. Das große Versorgungsschiff vor Sumatra, in dem Einheimische nach der Tsunamikatastrophe im Dezember medizinisch versorgt wurden, die reparierte Wasserstelle in einem entlegenen Dorf - das alles trägt zum guten Image der Bundeswehr und damit des Landes bei.
Das Parlament: Wie würden Sie die Bundeswehr charakterisieren?
Peter Struck: Ich kenne inzwischen viele Armeen. Die Bundeswehr ist die demokratischste Armee der Welt. Das hängt mit dem Prinzip der Inneren Führung zusammen. Unsere Soldaten sind sehr kritisch, sie treten nicht martialisch auf. Sie sind technisch gut ausgerüstet und ausgebildet. Wir müssen uns hinter keiner Armee der Welt verstecken.
Das Parlament: Nach den bekannt gewordenen Fällen der Misshandlungen von Soldaten in Coesfeld und anderswo haben Sie angekündigt, die Auslandseinsätze auf das Klima unter den Soldaten und die Ausbildung hin untersuchen zu lassen. Liegen Ihnen bereits Ergebnisse vor?
Peter Struck: Wir haben nicht feststellen können, dass Soldaten, die aus dem Auslandseinsatz zurückkehren, martialischer auftreten. Uns sagen Soldaten auf dem Balkan oder in Afghanistan, sie kommen mit einem anderen Bewusstsein zurück. Sie sehen die Probleme in diesem Lande besser. Sie haben ein höheres Empfinden für Leistungen im Umweltschutz. Sie gehen auch anders miteinander um. Auslandseinsätze finden unter widrigen klimatischen Bedingungen statt, Soldaten schlafen dort nicht im Hotel, sondern in Zelten oder einfachen Unterkünften. Die Kameradschaft wächst deutlich. Die Soldaten vermitteln das auch zu Hause. Die Ereignisse von Coesfeld waren Ausreißer. Die strafrechtlichen Ermittlungen laufen noch.
Das Parlament: Wenn Sie die Situation der Soldaten im Ausland so schildern, vermitteln Sie den Eindruck, als fehle den Menschen im Inland bei aller Jammerei der Fernblick.
Peter Struck: Wir sind ein Sozialstaat, wir sind wirtschaftlich eines der stärksten Länder. Die Deutschen jammern auf einem hohen Niveau.
Das Parlament: Europäische Armee - das Thema ist seit Konrad Adenauer ein politischer Dauerbrenner. Wann können wir mit der Umsetzung rechnen?
Peter Struck: Wir sind eigentlich schon auf einem sehr guten Weg. Es gibt ein deutsch-dänisch-polnisches Korps, es gibt ein deutsch-niederländisches Korps, es gibt ein deutsch-amerikanisches Korps, es gibt ein deutsch-französisch-belgisch-luxemburgisch-spanisches Korps und schließlich die Deutsch-Französische Brigade. Wir haben uns jetzt entschieden, mehrere Battle-Groups mit anderen europäischen Staaten zu installieren. Eine europäische Armee ist schon im Werden. Wir sind viel weiter, als manche glauben. Allerdings wird es immer einen eigenen nationalen Anteil geben bei einer solchen europäischen Armee.
Das Interview führten Almut Lüder und Alexander
Weinlein