Haushaltslöcher bedrohen den Umbau der Streitkräfte
Mit Sorge dürften die Verantwortlichen der Bundeswehr auf die künftige Lage der Streitkräfte blicken. Gerade im Jubiläumsjahr - 50 Jahre Bundeswehr in der NATO - ziehen sich dicke Wolken am Haushaltshorizont zusammen, die den militärischen Transformationsprozess zu verdunkeln drohen. Es ist einmal mehr das liebe Geld, das den Planern im Bendlerblock zu schaffen machen dürfte. Denn für ihren Transformationsprozess muss die Bundeswehr in den kommenden Jahren anstatt Mehrausgaben wohl weiterhin mit weniger Geld auskommen, wie aus Militärkreisen zu hören ist.
Alleine die jüngsten Schätzungen von Experten sagen für die nächsten vier Jahre Steuerausfälle von knapp 67 Milliarden Euro für Finanzminister Hans Eichel voraus, die nicht ohne Folgen für den Verteidigungsetat bleiben dürften. Diese Neuigkeiten allein haben nicht zwangsläufig Auswirkungen für die Bundeswehr. Doch wer die politischen Machtkämpfe in den jährlichen Haushaltsdebatten kennt, der weiß nur allzu gut, dass gerade der Verteidigungsetat in den vergangenen Jahren herhalten musste, um notdürftig Finanzlöcher im Bundeshaushalt zu stopfen. Oft wurde der Wehretat als "Steinbruch der Bundesregierung" bezeichnet. Hier gab es immer was zu holen, egal ob Militärexperten damit vor dem bevorstehenden Bankrott der Streitkräfte warnten.
Wie gerne von der Politik im Verteidigungsbereich zugelangt wird, zeigt die so genannte "globale Minderausgabe" des Bundes. Bereits in diesem und im vergangenen Jahr musste Minister Peter Struck jährlich knapp 250 Millionen Euro aus seinem Etat hierfür bereitstellen. Im Vermerk des Finanzministers vom November 2004 wurde deutlich, dass die Bundeswehr bei solchen Ausgaben im Gegensatz zu anderen Ressorts überproportional geschröpft wird. Nur das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen musste mit 244 Millionen Euro eine ähnlich hohe Abgabe beisteuern. Andere Ressorts kamen mit weit weniger als 100 Millionen Euro davon. Dennoch pendelte sich der Wehretat am Ende der Haushaltsdebatten offiziell bei 23,9 Milliarden Euro ein, der zudem mit Verwertungen von Bundeswehrliegenschaften auf rund 24 Milliarden Euro anwachsen konnte. So zumindest verlautbarte es das Verteidigungsministerium. Die globale Minderausgabe, die in dieser Rechnung noch nicht einbezogen war, hatte letztlich wiederum einen deutlich geringeren Etat zur Folge.
Zum künftigen Verteidigungsetat schreibt die Bundeswehr offiziell in ihrem Internetauftritt: "In den nächsten Jahren soll der Etat der Bundeswehr schrittweise weiter moderat wachsen: Für 2006 ist ohne Berücksichtigung zusätzlicher Erlöse ein Plafond von 24 Milliarden Euro vorgesehen. Für 2007 und 2008 liegen die Plafonds jeweils bei 24,7 Milliarden Euro." Allerdings glauben Verteidigungsexperten vielmehr, dass der Ressortinhaber in nächsten vier Jahren weiterhin mindestens 250 Millionen Euro pro Jahr an das Finanzministerium abgeben muss. Insofern wäre die offiziell postulierte "moderate Steigerung" des Etats bereits null und nichtig. Sollten sich die Finanzlöcher tatsächlich weiterhin dramatisch ausweiten, wären weitere Abgaben durchaus denkbar. Dann würde sich die Entwicklung des Verteidigungsetats zu einem kritischen Zeitpunkt ins Negative verkehren.
Ende letzten Jahres war schon an anderer Stelle darüber spekuliert worden, ob Verteidigungsminister Peter Struck nicht anstatt 248 Millionen Mark globaler Minderausgabe gleich das Doppelte zahlen sollte. Das Finanzministerium hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen Fehlbetrag von einer Milliarde Euro, der nicht aufgeteilt war. Damals lautete das Bestreben von Finanzminister Hans Eichel, nach anderen Wegen zu suchen, um dieses Loch zu füllen.
Der Zeitpunkt für solch eine haushalterische Entwicklung könnte kaum unpassender sein. Die beschlossene Weiterentwicklung der Bundeswehr, die mit dem Zauberwort "Transformation" umschrieben wird, basiert im Wesentlichen auf der Fähigkeitsanpassung der Streitkräfte. Die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen verlangen von der Bundeswehr neue Fähigkeitsprofile in fast allen Tätigkeitsbereichen und insgesamt besser vorbereitete Soldaten auf die wahrscheinlichsten Einsatzszenarien fernab des Heimatterritoriums. Auf dieser Grundlage hat die Bundeswehr eine Vielzahl von militärischen Beschaffungsmaßnahmen in Auftrag gegeben, die gerade ab dem Jahr 2008 stetig der Truppe zulaufen sollen. Hinzu kommt dann auch die Begleichung dieser kostenintensiven Modernisierung, was sich angesichts leerer Kassen als problematisch erweisen dürfte. "Dann trifft die Tsunamiwelle den Haushaltsstrand", sagt Heinz Schulte, Chefredakteur des Branchenhintergrunddienstes "Griephan Briefe". So beschreibt er die bevorstehende Dramatik: Auslieferungen von Rüstungsgütern wie den 60 A400M Transportflugzeug mit einem Beschaffungswert von knapp neun Milliarden Euro oder den geplanten 180 Eurofighter Kampfflugzeugen könnten dann für massive Finanzierungsengpässe sorgen. Denn mit einer sinkenden Finanzlinie könnten wohl nicht nur keine neue Rüstungsprogramme mehr begonnen werden, sondern existente Beschaffungen müssten neu überprüft werden, meint Verteidigungsexperte Schulte.
Viele Branchenkenner im Berliner Raum spekulieren derzeit über die "dritte Tranche" des Eurofighters. Sie glauben, dass der letzte Beschaffungsabschnitt von rund 70 Flugzeugen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts den Finanzengpässen zum Opfer falle. Dagegen spricht, dass die Eurofighter-Verträge bereits geschlossen sind und Abweichungen hiervon mit hohen Konventionalstrafen verbunden wären. Selbst die kontroversen Debatten um das Luftabwehrraketensystem MEADS zeigten die Besorgnis einiger Parlamentarier über die Finanzierbarkeit solcher Projekte vor dem Hintergrund des womöglich sinkenden Bundeswehretats.
Befürworter anderer Rüstungsprogramme, beispielsweise die des Schützenpanzers Puma, befürchten mit der Aufnahme eines weiteren luftwaffespezifischen Programms wie MEADS, dass für ihr Produkt weniger Geld im Haushalt zur Verfügung stehen könnte. Denn über die Bestellung von 405 Pumas mit einem Volumen von 2,7 Milliarden Euro ist erst Ende 2007 zu entscheiden, wenn die Finanzmisere der Bundeswehr deutlich erkennbar wird.
Trotz dieses Ausblickes scheint die Bundeswehrführung dennoch guten Mutes, all die Aufgaben bewältigen und die Kosten begleichen zu können. Denn ihr Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hält in seinem Bundeswehrplan 2006 fest, man gehe weiterhin davon aus, dass der Verteidigungsetat von 24,2 Milliarden Euro ab dem nächsten Jahr auf 26,1 Milliarden Euro im Jahr 2010 ansteige. Im Gegensatz zum Bundeshaushalt, der jährlich vom Bundestag verabschiedet wird und somit bindend ist, ist der Bundeswehrplan nicht verbindlich. Er ist das allerdings das höchste Dokument der Bundeswehr, das sich an der Finanzlinie des Bundeshaushalts zu orientieren versucht. Dabei ist aber jede Orientierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt äußerst schwierig. Die Bundeswehrplanung ist mit einer Reihe von Unbekannten versehen. Im nächsten Jahr findet eine Bundestagswahl statt. Eine neue Regierung könnte geneigt sein, die gesamte Planung zu überprüfen und zu verändern. Weiterhin sind die genannten Finanzlöcher, deren Entwicklung sich erst zeigen wird, ein Unsicherheitsfaktor. Dass aber nicht nur Optimismus bei der Bundeswehrführung herrscht, kommt im Bundeswehrplan deutlich zum Ausdruck. Denn Schneiderhan führt deutlich aus, was ein Abweichen der geforderten Finanzlinie bedeuten würde. "Ein Zurückfallen hinter die dem Bundeswehrplan 2006 zugrunde liegenden finanziellen Rahmenbedingungen", schreibt er, "stellt aus konzeptioneller Sicht die Zeitlinien der Transformation in Frage." In solch einem Falle könnte das Transformationsprojekt wie ein fragiles Kartenhaus in sich zusammenfallen - mit schwerwiegenden Konsequenzen sowohl für die Ausrüstungslage der Bundeswehr als auch die Personalumfänge und Strukturen.
In der finanzplanerischen Bewertung hält Schneiderhan auch dementsprechend fest: "Eine fähigkeitsorientierte Ausstattung der Bundeswehr erfordert in den nahen Planjahren einen Anstieg des Plafonds sowie - mit Blick auf die unvermeidlichen Preissteigerungen in allen Bereichen des Verteidigungshaushalts - mindestens ein reales Halten des Plafonds in den ferneren Planjahren." Seinen Plänen zufolge sollen gerade die Ausgaben für militärische Beschaffungen ansteigen - von 4,05 Milliarden Euro im nächsten Jahr auf 6,07 Milliarden Euro im Jahr 2010. Dies würde endlich die Ausgaben für militärische Beschaffungen auf mehr als 30 Prozent anheben, was die Experten seit je her fordern.
In den kommenden Wochen stehen vor und nach der parlamentarischen Sommerpause noch einige wegweisende Verhandlungen über den Bundeswehrhaushalt 2006 an. Am Ende dieser Gespräche wird sich erweisen, wie tragfähig das Konzept Schneiderhans wirklich ist. Im Verteidigungsministerium ist man sich der schweren Aufgabe bewusst. "Wir werden wie jedes Jahr wieder um jeden Euro kämpfen, da wir sie auch alle brauchen," betont ein Offizieller.
Martin Agüera ist Deutschland-Korrespondent des
us-amerikanischen Magazins "Defense News".