Konversion am Oberrhein
"Klar, es gab harte Verhandlungen", erzählt Rolf Wiehle, "aber letztlich wurde zwischen Bonn, Freiburg und der Landesregierung alles einvernehmlich geregelt, bei niemandem blieb Bitterkeit zurück". Der Leitende Stadtverwaltungsdirektor, der in den Neunzigern an der Dreisam die Konversion nach dem Abzug der französischen Garnison managte: "Dies war angesichts des angespannten Wohnungsmarkts eine große Chance."
Ein solch uneingeschränkt positives Fazit mag Lahrs Oberbürgermeister Wolfgang Müller nicht ziehen, aus dessen Stadt das Europa-Hauptquartier des kanadischen Militärs abgerückt ist: Man habe das Beste aus jener Situation gemacht, mit dem Zuzug von Aussiedlern habe sich der Ort verjüngt, "doch die Zeit, als der kanadische Dollar rollte, ist vorbei" - und vor allem laste auf der Stadt die Hypothek wegen der für die Erschließung eines neuen Gewerbegebiets aufgenommenen Millionenkredite. Deutlicher wird Harald Kraus, bei dem auch nach über einem Jahrzehnt noch ein gewisser Zorn anklingt. Der Bürgermeister von Eschbach am Oberrhein rät Gemeinden, die von Standortschließungen der Bundeswehr betroffen sind: "Man muss mit dem Finanzministerium knallhart um die Grundstückspreise verhandeln." Der Schultes kann nur hoffen, dass sich die von einem Zweckverband getätigten Millioneninvestitionen in ein Gewerbeareal auf einem früheren Luftwaffenstützpunkt bis 2015 wieder hereinholen lassen.
Der Fall des Eisernen Vorhangs bescherte eine Friedensdividende: In Deutschland kam es zu einem gewissen Maß an Abrüstung. Dort, wo Truppen abziehen, müssen sich Rathäuser freilich mit den wirtschaftlichen Folgen herumschlagen. In Südbaden machten dabei Freiburg, Lahr und die Gemeinden rund um Eschbach recht unterschiedliche Erfahrungen. Aus Freiburg marschierte 1992 das mehrtausendköpfige französische Militär gen Heimat, 1994 verschwanden aus Lahr plötzlich 10.000 Kanadier, und im Fliegerhorst Bremgarten bei Eschbach knipste ein Phantom-Geschwader mit 2.000 Mann das Licht aus.
Schon fast Geschichte ist in Freiburg die Konversion der Militäreinrichtungen, die als Bundesbesitz weitgehend im Zentrum der Stadt lagen. Diese jahrzehntelang blockierten Filetstücke auf dem Grundstücksmarkt boten unversehens frische Entwicklungsperspektiven. Von den 1.600 ehemaligen "Franzosen- wohnungen" übernahm die kommunale Wohnungsgesellschaft 600, "damit konnten wir die Kartei für Sozialfälle weitgehend leeren", erinnert sich Wiehle. Auf einem Teil des Flughafens errichtete das Land eine neue Fakultät für die Uni, deren Rektorat residiert nun komfortabel in einem ehemaligen Militärkomplex mitten in der City. Auf dem Airport konnte die Stadt ein Messegelände hochziehen. Auf einstigem Militärterrain steht mittlerweile in exzellenter Lage das Konzerthaus als zentraler städtischer Veranstaltungsort.
Als Highlight der Konversion gilt das heutige Vauban-Wohnviertel, das bundesweit als autofreies Öko-Vorzeigeprojekt in den Medien herumgereicht wird. 3.000 Leute leben dort, im Endausbau sollen es 5.000 sein. 20 Millionen Euro zahlte die Stadt damals in die Bonner Kasse als Kaufpreis für das Kasernenareal, aus Stuttgart flossen Fördermittel. Im Rathaus ist man sicher, durch den Verkauf aller Baugrundstücke letztlich sämtliche Ausgaben tilgen zu können. Nicht wenige Freiburger würden im Übrigen wegen des Drucks durch Sozialkontrolle und Political-Correctness-Anpassungszwänge nie in dieses "perfekte" Quartier ziehen.
Für Freiburg bedeutete der Abzug des Militärs wirtschaftlich keinen Verlust, die Franzosen hatten sich weitgehend selbst versorgt. Die Präsenz des Bundeswehrgeschwaders in Bremgarten bescherte der Region indes einen Gewinn von jährlich 80 Millionen Mark: Das Handwerk profitierte massiv von Aufträgen, Zeitsoldaten und Offiziere gaben gutes Geld aus. Nach dem Abzug der Phantom-Maschinen fanden die meisten der 350 Zivilangestellten neue Arbeitsplätze, ein Teil ging in den Vorruhestand. Schwieriger war und ist die Nutzung des Ex-Airports mit seinen 560 Hektar. Ein Zweckverband mit zwölf Gemeinden investierte 65 Millionen Euro für Kauf und Erschließung von 130 Hektar für ein Gewerbegebiet. Fünf Millionen waren Eigenmittel der Kommunen, 60 Millionen wurden als Kredite aufgenommen, das Land gewährte als Fördermittel Zinszuschüsse. "Eine bunte Mischung", so Verbandsvorsitzender Kraus, hat sich inzwischen auf dem Gelände angesiedelt: eine Müllverbrennungsanlage, Schlosser, Schreiner, Laserfirmen, Labors, Transportfirmen, 700 Arbeitsplätze sind entstanden. Aber trotz niedriger Preise sind erst 43 Prozent des Terrains veräußert, "16 Millionen Euro Schulden sind noch nicht zurückgezahlt", bilanziert Kraus. Eine Rolle spielt natürlich auch die allgemeine Wachstumsschwäche der Wirtschaft.
Ein regelrechter Schock war für Lahr das Verschwinden der Kanadier, die fast ein Viertel der Bevölkerung stellten. Die jungen Soldaten sorgten nicht nur für ein pulsierendes Nachtleben, "Lahr war ein bewegtes Pflaster", erzählt OB Müller. Die Kanadier pumpten auch jährlich 200 bis 300 Millionen Euro in die Region. Einzelhandel, Gastronomie, Hotels, Handwerk und Gewerbe lebten bestens von Aufträgen des Militärs und vom Konsum des Personals. Viele Kanadier logierten auf dem freien Wohnungsmarkt, deutsche Vermieter bauten für sie eigens Häuser. Zur Gänze lässt sich, so Müller, der Kaufkraftschwund nicht ausgleichen.
Aber man habe die Zäsur "insgesamt recht gut bewältigt", meint der Rathauschef. Rund 9.000 Spätaussiedler wohnen heute in ehemaligen Soldatenunterkünften, die von der kommunalen Wohnungsgesellschaft für 13 Millionen Euro vom Bund erworben wurden. Zudem gingen 14 Millionen in die Renovierung. Über Mieten fließen die Gelder zurück. Allerdings musste die Stadt das Eigenkapital des Unternehmens um 2,5 Millionen Euro aufstocken. Überdies kosten Integrationsprogramme für die Aussiedler jährlich eine Million Euro. Deren Zuzug wertet Müller positiv, haben sie doch die Einwohnerzahl stabilisiert.
Die Kanadier betrieben einen 580 Hektar großen Airport, von dessen 180-Hektar-Piste die größten Flugzeuge der Welt starten können. Ein vor allem von Lahr getragener kommunaler Zweckverband erstand vom Bund für 37 Millionen Euro einen Teil des Geländes für ein neues Gewerbegebiet: "Damals dachte man, das sei ein günstiger Preis", sagt Müller. Zwar haben dort inzwischen Unternehmen 1.600 Arbeitsplätze geschaffen, doch erst ein Viertel des Areals ist trotz günstiger Preise belegt: Die Wirtschaftsflaute und die Konkurrenz anderer Städte machen sich bemerkbar. Der OB: "Bislang bleiben wir auf dem Terrain sitzen." Und auf der Schuldenlast.
Derzeit streitet sich die Stadt mit der Landesregierung vor Gericht über eine Genehmigung für Lahr als Standort eines Passagierflughafens: Stuttgart verweigert diese Erlaubnis wegen der "Marktsättigung" in der Region durch die Airports Basel, Straßburg und Söllingen bei Karlsruhe. Müller hofft auf einen Sieg wegen der wirtschaftlichen Impulse, die von einem Flughafen ausgehen sollen. Die Stadt selbst ist vom Airport finanziell nicht mehr betroffen: Die Betreibergesellschaft ist privat, immerhin kostete die Privatisierungsaktion das Rathaus 500.000 Euro.
Auch über ein Jahrzehnt nach dem Abzug der Kanadier haben Lahr und die Gemeinden um Eschbach noch mit dessen Konsequenzen zu kämpfen. Die kritische Bilanz von OB Müller: "Der Bund konnte sich kostengünstig einer militärischen Altlast entledigen."