Kurz notiert
Die US-Bürgerin Masha Gessen kommt im Jahre 1991 als Korrespondentin in ihre russische Heimat zurück; in Moskau trifft sie ihre beiden Großmütter wieder, beide Jüdinnen, die eine aus dem polnischen Bialystok, die andere aus der Ukraine. In Moskau haben sich die beiden Frauen - die eine ist Lehrerin, die andere arbeitet als Übersetzerin - erst 1950 kennengelernt. Zuvor erlebten sie Krieg, Ermordung vieler Angehöriger und stalinistische Repression - zudem einen latenten Antisemitismus, die einer Deportation gleichkommende Evakuierung nach Kriegsbeginn in ferne Städte, Anwerbeversuche des NKWD, die strapaziösen Alltagsprobleme, entwürdigende Arbeitssuche, aber dann auch glückliche Momente, wenn doch einmal eine Bewilligung erteilt, eine Besuchervisum gewährt oder eine Ausreise ermöglicht wurde ("an diesem Tag begann für meine Großmütter die Perestroika").
Es ist ein ebenso bewegendes wie auch - wegen des unbeugsamen Lebenswillens der Frauen - ermutigendes Buch. In den düsteren Zeiten um 1948, als eine antijüdische Hexenjagd begann, rät ihnen der Schriftsteller Ilja Ehrenburg: "Lügt leise, sitzt ruhig, stellt keine Fragen und wartet, bis sich die Zeiten ändern." Die Frauen waren oft mutiger und gerieten dabei mitunter in lebensgefährliche Situationen. Das "ständige Scharren der Angst" ist jahrelanger Begleiter des Alltags, in dem es überaus schwer war, seine Existenz in einer "nicht gesprochenen Sprache, einer unbeachteten Religion und eines fernen Landes" zu haben.
Masha Gessen
Esther und Rusja. Wie meine Großmütter Hitlers Krieg und Stalins Frieden überlebten.
Carl Hanser Verlag, München 2005; 352 S., 24,90 Euro