Mazedonien und Albanien
Fehlende Staatstradition, Fremdherrschaft über Jahrhunderte sowie konkurrierende Interessen der Großmächte haben den Prozess der Staatsbildung in Mazedonien und Albanien immer wieder verzögert. Nach 50 Jahren Kommunismus und Einparteiendiktatur kämpfen die Staatsinstitutionen in beiden Ländern nach wie vor um politische Legitimität und Akzeptanz bei ihren Bürgern. Dabei behindern vor allem kleine politische Cliquen, die in fragwürdigen Wahlprozessen um den größtmöglichen Einfluss in den Institutionen ringen, die Entwicklung tragfähiger Strukturen, die auf die Zustimmung der Bevölkerung stoßen.
Beim politischen Kräftemessen bleibt der Verlierer in der Regel auf der Strecke. Permanente personelle Veränderungen in den Institutionen durch die Siegerpartei gehen zu Lasten der Kontinuität und Stabilität des Staatsapparats. Geprägt von Nepotismus und politisch motivierten Absprachen ist dieser in der Regel nicht in der Lage, elementare Grundrechte zu verteidigen und Sicherheit für die Bürger zu gewährleisten sowie öffentliche Dienstleistungen anzubieten.
Trotz seiner 90-jährigen Existenz als souveräne Einheit blieb Albanien über die Zeit ein schwacher Staat. Während der Regierungszeit Enver Hoxhas (1944-85), der mit seinem "Steinzeit-Kommunismus" die Verelendung der Massen zu verantworten hatte, hat der Staat seine politische Legitimation in den Augen des Volkes eingebüßt. Trotz der erlangten politischen Freiheit zu Beginn der 90er-Jahre haben das Misstrauen gegenüber aller staatlichen Gewalt sowie die anhaltende wirtschaftliche Krise zum endgültigen Versagen der Staatsinstitutionen geführt, bis das System 1997 vollständig implodierte und bürgerkriegsähnliche Zustände ausbrachen.
Im ganzen Land lehnten sich die Menschen gegen die Regierung auf, bis schließlich der Staatsapparat unter dem öffentlichen Druck kollabierte. Beim Sturm auf die Kasernen der albanischen Armee verschwanden schätzungsweise rund 800.000 Handfeuerwaffen, die teilweise in verschiedenen Konflikten in der Region in den Folgejahren wieder auftauchten.
Obwohl die albanische Regierung in der Folgezeit im ganzen Land wieder relative Sicherheit herstellen konnte, blieben die Institutionen schwach. Die Rivalität der beiden größten politischen Parteien, der Sozialistischen Partei (SP) und der Demokratischen Partei (DP), sowie deren politischen Führer Fatos Nano (SP) und Sali Berisha (DP) spaltet das Land in zwei verfeindete Lager, die vor allem vor Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Albanien jedes Mal in neues Ungemach zu stürzen drohen. Es hat sich ein System etabliert, in dem der politische Sieger alles und der Verlierer nichts bekommt. Dieses System hat eine nahezu rechtsfreie Umgebung geschaffen, in der Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung für Stabilität und Sicherheit nicht mehr durchsetzbar ist. In einem Staat jedoch, der nur noch die Interessen der regierenden Klasse durchsetzt, fühlen sich auch die Bürger nicht mehr zur Solidarität - beispielsweise durch die Abgabe von Steuern - verpflichtet. Korruption wird zu einer Lebenseinstellung.
Vergleichbar stellt sich die Situation in der benachbarten Republik Mazedonien dar, die sich im Jahr 1991 als einzige gewaltfrei aus dem jugoslawischen Bundesstaat lösen konnte und ihre Unabhängigkeit erlangte. Zu den parteipolitischen Grabenkämpfen zwischen den ehemaligen Sozialisten, den heutigen Sozialdemokraten (SDSM) und den antikommunistisch geprägten, nationalen Parteien (VMRO-DPMNE, VMRO-narodna) bedrohen die anhaltenden Spannungen zwischen der mazedonischen Bevölkerungsmehrheit (circa 66 Prozent) und der albanischen Bevölkerungsminderheit (circa 24 Prozent) die Stabilität des Landes.
Mit der Gründung der Republik Mazedonien erhielten die slawischstämmigen Mazedonier erstmals ihren unabhängigen Nationalstaat, der allerdings von Beginn an Heimat für seine multiethnische Bevölkerung aus Albanern, Roma, Türken, Valachen, Serben und anderen bieten musste. Während die mazedonische Verfassung von 1991 deutlich liberale Züge aufwies und auch die Rechte aller im mazedonischen Staate lebenden Minderheiten anerkannte, war es auch die spürbare Unterrepräsentierung der albanischen Volksgruppe in den Staatsinstitutionen sowie die Dominanz des Mazedonischen, die bei den Albanern nie eine Identifikation mit dem Staat, in dem sie lebten, aufkommen ließ.
Angespornt vom erfolgreichen Befreiungskampf der Albaner gegen das serbische Joch im Kosovo kam es sodann im Jahr 2001 zum bewaffneten Konflikt in Mazedonien, wenngleich die Umstände in der völkerrechtlich zu Serbien gehörenden Nachbarprovinz nicht mit der Lebenssituation der Albaner in Mazedonien vergleichbar waren. Der anschließende Friedensprozess mit den in der südmazedonischen Stadt Ohrid festgelegten Verfassungsänderungen zugunsten der Albaner konnte zwar die Kampfhandlungen beenden, zu einer wirklichen Aussöhnung zwischen den Volksgruppen hat er allerdings bislang nicht geführt.
Die Ende des vergangenen Jahres beschlossene territoriale Neuordnung des Landes hat nicht nur zu mehr Partizipation der albanischen Bevölkerung an den politischen Prozessen auf lokaler Ebene geführt, sondern auch teilweise zu Bezirksgrenzen entlang ethnischer Linien. Innerhalb dieser Gebietsgrenzen findet die Begegnung der Albaner mit ihren mazedonischen Landsleuten kaum mehr statt. Vielmehr führt die von der internationalen Gemeinschaft protegierte Emanzipation der albanischen Bevölkerung und der als Gegenreaktion geschürte Nationalismus der Mazedonier zu einer schleichenden Segregation des Landes.
Jüngst ist ein Gesetz verabschiedet worden, das das Hissen der albanischen Flagge mit dem doppelköpfigen Adler vor den Gemeinden mit überwiegend albanischer Bevölkerung gestattet. Da dies nicht nur das Staatswappen der souveränen Republik Albanien, sondern gleichermaßen das einende Banner des albanischen Volkes in der Welt ist, werden dadurch die Ängste der Mazedonier vor einer Spaltung ihres Landes angefacht. Unter diesen Vorzeichen ist die langfristige Stabilität der Republik Mazedonien, die all ihren Bürgern Sicherheit und Wohlstand bietet, nach wie vor nicht gewährleistet.
Es ist eine der zentralen Fragen des Balkans, ob und wieweit es den beiden benachbarten Staaten Mazedonien und Albanien gelingt, sich in ihrer Staatlichkeit zu konsolidieren, um dadurch ein erhebliches Konfliktpotenzial in Europa zu bändigen. Die hohe Zahl und politische Relevanz privater Gewaltakteure, die nachhaltige wirtschaftliche Krise mit einer hohen Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 35 Prozent und geringen Steuereinnahmen, systematische Wahlfälschungen und fragile rechtsstaatliche Strukturen kennzeichnen Mazedonien und Albanien als schwache Staaten. Neben der anhaltenden Schwäche der Institutionen in beiden Ländern kommt erschwerend hinzu, dass die historische mazedonische und die albanische Frage aufs engste miteinander verbunden sind. Weder die eine noch die andere kann gänzlich zur Zufriedenheit aller Beteiligten beantwortet werden.
Es liegt jedoch im Interesse aller, nicht zuletzt auch der Europäischen Union, die Staatsstrukturen in der Region soweit zu stärken, dass sich von hier aus keine destabilisierenden Zentrifugalkräfte auf ganz Europa entfalten.
Es stellt sich daher die Frage, ob die zügige Annäherung beider Länder an die europäischen Strukturen Abhilfe schaffen könnte, in der Hoffnung, dass die Europäisierung der Region ethnische Fragen in den Hintergrund treten lässt. Die wesentliche Voraussetzung wären allerdings rechtsstaatliche Strukturen, die ausländische Investoren anlocken und dadurch eine positive wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen.
Hilfestellungen seitens der Europäischen Union sowie der USA sind ausreichend vorhanden. Diese müssen allerdings zunächst einmal von den örtlichen Entscheidungsträgern genutzt werden, um die schwachen Staaten der Balkanregion jemals zum Beitritt in die EU zu befähigen. Es muss der politischen Elite in Albanien und Mazedonien deutlich aufgezeigt werden, dass der Weg in die EU nur über tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen in ihren Ländern führen kann. Erst dadurch kann dauerhaft das "Pulverfass Balkan" entschärft und den Menschen in der Region eine sichere europäische Perspektive aufgezeigt werden.
Andreas Klein war von 2000 bis 2004 Leiter des Büros
der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Skopje.