Wohlstand oder Gerechtigkeit?
In ihrem Report "Fair Future" gehen die Wuppertaler Wissenschaftler davon aus, dass auf dem Wohlstands- und Verbrauchsniveau der Industrienationen keine Gerechtigkeit in der Welt herzustellen ist. Ihre Einschätzung: "Entweder bleibt die Mehrheit der Welt vom Wohlstand ausgeschlossen oder das Wohlstandsmodell wird so umgestaltet, dass alle daran teilnehmen können, ohne den Planeten ungastlich zu machen."
Inzwischen seien auch die reichen Länder des Nordens von den "Kollateralschäden der Globalisierung" betroffen. Die Verwundbarkeit durch terroristische Anschläge und die Ohnmacht angesichts der Grenzenlosigkeit von Kommunikation, Arbeitsteilung und Denkweisen sei nicht mehr zu übersehen. Bisher habe die Globalisierung fast durchgängig zu mehr Ungleichheit und zu mehr Armut geführt - auch wenn in der chinesischen Wachstumsgesellschaft einige Millionen Menschen nun am Wohlstand teilnehmen könnten. Zudem beweise schon ein kurzer Blick auf wichtige Ressourcen wie Wasser, Boden, Wälder und Fischgründe, dass die Menschheit vor ein paar Jahrzehnten angefangen habe, die Elastizität globaler Ökosysteme zu überspannen, und Jahr für Jahr mehr Ressourcen verbrauche, als die Natur erneuern könne.
Deshalb müssten die Schlüsselfragen beantwortet werden, welche Globalisierung gerecht und zukunftsfähig sei - nicht zuletzt, um im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen ernähren zu können. Die Wuppertaler Wissenschaftler bringen den Begriff des begrenzten globalen "Umweltraums" in die Diskussion, den sie schon in ihrer viel beachteten Nachhaltigkeitsanalyse "Zukunftsfähiges Deutschland" definiert haben. Sie weisen nach, dass es die "Triade der Allesfresser" - Nordamerika, die EU und Japan - ist, die einen enormen Anteil am Verbrauch natürlicher Ressourcen beansprucht, die zu einem großen Teil aus den armen Ländern des Südens stammen, ohne dort zur Wirtschaftsentwicklung nennenswert beizutragen.
Dagegen sind die armen Länder gerade von den ökologischen Folgen - Trinkwassermangel, Klimaerwärmung - besonders betroffen. Zudem stellt eine neue Klasse von wirtschaftlich erfolgreichen Aufsteigern aus den Schwellenländern die ökologische Tragfähigkeit der Erde vor neue Herausforderungen, da ihr Verbrauch an Konsumgütern innerhalb von wenigen Jahren den Stand des Westens erreichen wird. Ressourcenkonflikte um Öl, Ackerflächen, Wasser und Patente auf die Artenvielfalt werden zunehmen - auch dies meist zu Lasten der armen Länder des Südens.
Wie können Leitbilder der Ressourcengerechtigkeit aussehen und was ist gerechtigkeitsfähiger Wohlstand, fragen die Wuppertaler Wissenschaftler im weiteren Verlauf ihres spannenden Reports und appellieren an die Verantwortung der Akteure in den internationalen Beziehungen. Globalisierung dürfe keine Einbahnstraße sein, sie mache verwundbarer, aber auch einflussreicher. Es gehe nicht nur um die gerechte Verteilung von Ressourcen, sondern um ein neues Weltbürgertum, das die Grundfähigkeiten moralischen Handelns noch lernen müsse: Anerkennung der unterlegenen armen Länder, Gerechtigkeit bei der Verteilung und die Übernahme von Verantwortung für die rücksichtslose Ausbeutung der heutigen Entwicklungsländer durch die Vorfahren der Bewohner der westlichen Industrieländer. An zahlreichen Beispielen lässt sich belegen, dass Chancengleichheit und fairer Handel möglich sind, auch wenn sie heute auf dem Weltmarkt noch die Ausnahme bilden.
Das alles wird nicht reichen. Ein "gerechtigkeitsfähiger" und umweltverträglicher Wohlstand ist nach den Analysen der Wuppertaler nur über den Rückbau des Ressourcenverbrauchs möglich. Der Süden kann auf seinem Sprung nach vorne viele Fehler des Nordens vermeiden - durch eine dezentrale Stromversorgung, eine Mobilität, die nicht primär auf das Auto setzt und durch regenerativen Landbau. Der Westen müsste ihm dazu allerdings mit entsprechenden Finanzhilfen zur Seite stehen.
Zudem seien Verträge für Fairness und Ökologie notwendig. Die Politik der internationalen Regierungsorganisationen müsse elementare Existenzrechte, freie Entwicklungsmöglichkeiten und Vorgaben für gerechte Produktions- und Konsummuster in den Fokus ihres Handelns stellen. Im 21. Jahrhundert darf die Welt nicht mehr den Stärkeren gehören. Der Report sieht den Ausweg in einem Weltbürgertum, das sich auch an den in Europas Geschichte erkämpften Werten orientieren sollte.
"Fair Future" ist ein außerordentlich faktenreiches Kompendium und eine glänzende Analyse der Globalisierung, die Fluch und Segen zugleich bedeutet. Die von den Autoren immer wieder angemahnte Moral wird nicht jedem gefallen, doch die Fakten belegen eine beschämende Ungerechtigkeit der Globalisierung; sie legen einen tiefen Schatten auf die vermeintlichen Segnungen der freien Welt. Dem Report ist ein breiter Einsatz in der politischen Bildung zu wünschen.
Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie (Hrsg.)
Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit. Ein Report.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 278 S., 19,90 Euro