Rumänien und Bulgarien auf dem Weg nach Brüssel
Noch planen sie "Verlaufzeit" ein. Zehn Minuten mindestens. Wenn sich Kristian Vigenin und Ioan Pascu auf den Weg zu Ausschusssitzungen oder Treffen ihrer Fraktion machen, wünschen sie sich oft einen Suchhund. Oder wenigstens etwas mehr Logik in der verwirrenden Struktur des Europaparlaments in Brüssel. Denn ihren Spitznamen "Laune der Götter" trägt die monströse Glas-Stahl-Konstruktion nicht zu Unrecht. "Sich in diesen Gebäuden zu orientieren, ist alles andere als einfach", sagt Pascu und lacht. "Die Architektur passt gut - sie ist ein Labyrinth wie die EU selbst."
"Mission Beobachter" lautet die Aufgabe des Rumänen Pascu und seines bulgarischen Kollegen Vigenin. Seit Ende September diskutieren sie mit in den Sitzungen ihrer Fraktion im Parlament, der Sozialistischen Gruppe. Außerdem nehmen die beiden Politiker an den Debatten im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und an den Plenartagungen teil. So lernen sie die Arbeitsabläufe im Parlament kennen und bekommen ein Gespür dafür, wie Europas Volksvertreter Politik machen. Die Neuen im EP verfügen allerdings weder über ein Stimmrecht, noch dürfen sie während der Plenarsitzung das Wort ergreifen. "Wir sind hier, um zu beobachten und um beobachtet zu werden", erklärt der 56-jährige Politikprofessor Pascu das Ziel der Beobachter-Delegationen. Zudem will er natürlich Zweifler in Entscheidungspositionen von der Europatauglichkeit Rumäniens überzeugen, von dem es immer wieder heißt, es sei nicht nur zu arm, sondern auch zu korrupt und kriminell. "Vielleicht ist es Flitterwochen-Euphorie, die wir gerade erleben", sagt Andrei Tarnea, Direktor des rumänischen Informationszentrums in Brüssel. "Doch diese Beobachter sind eine extrem engagierte Gruppe."
Schon während der jüngsten Erweiterungsrunde hatte das Europaparlament die neuen Länder eingeladen, Abgeordnete nach Brüssel zu entsenden. 35 so genannte Beobachter hat Rumänien nun geschickt, 18 Delegierte kommen aus Bulgarien. Alle arbeiten in ihren Heimatländern als Parlamentarier. Ihre Zahl entspricht der Zahl der Abgeordneten, die nach dem für den 1. Januar 2007 angepeilten Beitritt der Länder im Europaparlament vertreten sein werden. "Eine Eingewöhnungsphase braucht dann niemand mehr", beschreibt Vigenin den Vorteil der Mission. "Die künftigen Europaabgeordneten werden sofort loslegen können." Das genaue Datum dieses "Sofort" bleibt jedoch noch abzuwarten. Die Beobachter-Mission gilt zwar als nächster Schritt in der Beitrittsrunde. Doch ob der angepeilte Aufnahmetermin 1. Januar 2007 gehalten werden kann, hängt von den Länderberichten der Kommission ab. Für den 25. Oktober sind die nächsten Beurteilungen der EU-Reformen in Bukarest und Sofia angekündigt.
Rumäniens Minister für europäische Integration wurde bereits mit den Worten zitiert, der Bericht für sein Land sei "positiv, aber nicht 100 Prozent positiv". Fällt das Urteil schlecht aus, müssen die Länder ein weiteres Jahr auf grünes Licht aus Brüssel warten.
Wegen des Schwebezustandes hatte sich die Christdemokratische Fraktion vor der Sommerpause gegen den Start der Beobachtermission ausgesprochen. Die große Mehrheit der Parlamentsabgeordneten stimmte jedoch gegen eine Initiative, die die Ankunft der Beobachter bereits von April auf September herausgezögert hatte.
Politikprofessor Pascu, mit Nickelbrille und ohne Krawatte Typ Alt-68er, ist auf europäischem Politikparkett ein alter Hase: Von 2000 bis 2004 war er Rumäniens Verteidigungsminister. "Was die Auswahlkriterien für den Beobachter-Posten angeht, sind die Delegierten ein bunt gemischter Haufen", sagt Tarnea. Ausschlaggebend für die Auswahl der Kandidaten seien sowohl politische Erfahrung möglichst auf internationaler Bühne als auch eine gute Ausbildung und Sprachkenntnisse gewesen. Während der Woche in Brüssel und Straßburg reisen die Beobachter freitags in ihre Heimatwahlkreise. "Es ist nicht einfach, das Gleichgewicht zwischen den Aufgaben als Parlamentarier auf nationaler Ebene und auf EU-Ebene zu halten", findet Pascu. Die politische Agenda in Bukarest und Sofia ist voll gepackt, da fehlen die EU-Delegierten an allen Ecken und Enden, sagt Andrei Tarnea, Leiter des rumänischen Informationszentrums in Brüssel. Schwierig sei die Balance zudem, weil die Menschen in den Heimat-Wahlkreisen derzeit andere Probleme hätten als die, mit denen sich Brüssel plagt. "Unsere Debatten zu Hause sind keine Europa-Debatten", urteilt auch Vigenin. Zunächst gelte es, grundlegende Reformen wie eine neue Gesetzgebung umzusetzen, bevor sich Rumänen und Bulgaren über Themen wie europäische Verfassung, EU-Haushaltsplan und die Vollmitgliedschaft der Türkei den Kopf zerbrechen könnten. "Es braucht Zeit, um nationale Politik und EU-Politik in Einklang zu bringen, und es braucht Zeit, die Menschen darauf vorzubereiten, dass sie bald EU-Bürger sind", sagt Pascu. Vigenin und Pascu sind zufrieden mit ihren bisher im EU-Labyrinth gesammelten Erfahrungen als Lobbyisten ihrer Länder. "Wir sind Vermittler zwischen dem, wie die Dinge in Brüssel und wie sie zu Hause bewertet werden", sagt Pascu. Die Beobachter-Mission soll beiden Seiten Orientierungshilfe geben. Eine Vorlaufzeit werden die 53 angehenden Europaabgeordneten bei Arbeitsantritt nicht mehr brauchen. Von Suchhunden ganz zu schweigen.