Die Rote Armee Fraktion ist in den Kinos angekommen
Sieben Jahre ist es her, dass sich die Rote Armee Fraktion aufgelöst und den bewaffneten Kampf für beendet erklärt hat. Es scheint, als habe es die offizielle Beendigung dieses Kapitels der deutschen Geschichte gebraucht, damit auch eine kulturelle Aufarbeitung des Linksextremismus stattfinden konnte. Wie dies geschehen konnte und sollte, war umstritten: Als im Jahr 2001 T-Shirts mit dem Emblem der Terroristengruppe - ein fünfzackiger Stern mit einer Maschinenpistole und den Buchstaben RAF - verkauft wurden, brach eine Diskussion darüber los, wie künftig mit den Motiven und Symbolen des Deutschen Herbstes umzugehen sei.
Im Begleitband zur RAF-Ausstellung "Zur Vorstellung des Terrors" bemerkte der taz-Autor Stefan Reinecke treffend, die Kulturkritik habe sich zu dieser Zeit besorgt über einen Gegenstand gebeugt, den sie mit zu erzeugen geholfen habe: "Es sind wohl mehr kritische Artikel über die Prada-Meinhof-Mode geschrieben worden, als Unterhosen mit RAF-Logo je verkauft wurden." Dennoch war die offizielle Auflösung der RAF gleichsam der Startschuss für viele Regisseure, sich dem Thema künstlerisch zu nähern. Nachdem Ende der 70er-Jahre verschiedene Filmemacher mit dem Kompilationsfilm "Deutschland im Herbst" - der 1978 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet und vom Nachrichtenmagazon "Spiegel" als der "aufregendste Film, den der junge deutsche Film bisher hervorgebracht hat" bezeichnet wurde - auf die Ereignisse im Herbst 1977 reagierten, sorgten vor allem Rainer Werner Fassbinders "Die dritte Generation" und Margarethe von Trottas "Die bleierne Zeit" für Aufsehen.
Doch dann herrschte lange Schweigen - wohl auch deshalb, weil das Feld der öffentlichen Auseinandersetzung mit der RAF vermint war. Für viele Linke war es ein schwieriger Prozess gewesen, sich von den Verschwörungstheorien rund um den Tod der RAF-Führungsriege zu lösen und sich einzugestehen, dass die Stadtguerilla um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin nicht aus dem Nichts gekommen war, sondern durchaus Anknüpfungspunkte an den außerparlamentarischen Protest der 68er rund um dessen Ikone Rudi Dutschke gehabt hatte. Auch wenn die RAF auf jede Kommunikation verzichtete, galt für viele die Frontlinie "Wir gegen den Staat" weiter. Die kritische Auseinandersetzung mit denen, die bis in die 90er-Jahre in der mittlerweile dritten Generation mordeten und bombten, geriet allzu schnell zum Verrat.
Mit der Auflösung der RAF aber kehrte das Thema in die Kultur zurück - vor allem in die Kinos. In "Die Stille nach dem Schuss" aus dem Jahr 2000 erzählt Regisseur Volker Schlöndorff die Geschichte der ehemaligen Terroristin Rita, die in der DDR untergetaucht ist. Der Arbeiter- und Bauernstaat gilt ihr als überfälliger Versuch, den Sozialismus aufzubauen - doch der Traum, sich dort ein neues Leben aufbauen zu können, wird durch den Mauerfall beendet. Schlöndorffs Film basiert auf der Geschichte der RAF-Terroristin Inge Viett und deren Biographie "Nie war ich furchtloser" - dennoch bleibt seine Darstellung der Frau, die aus Liebe in den bewaffenten Kampf geriet, seltsam blutleer. Ein Aspekt, den auch Inge Viett, die sich weigerte, mit Schlöndorff zusammenzuarbeiten, kritisierte: Der Entwicklungsprozess der Figuren sei in dem Film oberflächlich geblieben, die Schauspieler hätten nicht verstanden, "was sie sagen, weil sie die Prozesse hinter ihren Aussagen überhaupt nicht mehr kennen".
Mehr Mühe, die Motive eines Menschen zu verstehen, der sich für ein Leben im Untergrund entscheidet, gibt sich der Film "Starbuck - Holger Meins". Regisseur Gerd Conradt versucht darin, den Lebensweg von Holger Meins nachzuzeichnen; zu erklären, warum der der Student der Deutschen Film- und Fernsehakademie sich irgendwann nicht mehr damit zufrieden gab, die Wirklichkeit abzubilden, sondern antrat, sie mit Bomben zu verändern. Frühere Freunde und Wegbegeleiter kommen hier zu Wort. Sie alle versuchen eine Erklärung dafür zu finden, warum Holger Meins' Lebensweg im November 1974 damit endete, dass er verhungerte, weil er das einzige RAF-Mitglied war, das den Hungerstreik, der bessere Haftbedingungen erzwingen sollte, durchhielt. Dennoch bleiben am Ende mehr Fragen als Antworten - genau wie in dem Portrait des Terroristen Wolfgang Grams, das der Film "Black Box BRD" von Andreas Veiel entwirft. Veiel stellt darin Wolfgang Grams vor, der als Angehöriger der dritten RAF-Generation den bewaffneten Kampf ausübte und 1993 unter nach wie vor ungeklärten Umständen in Bad Kleinen ums Leben kam.
Erzählt wird aber gleichzeitig auch die Geschichte eines RAF-Opfers: die des Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen. Herrhausen starb 1989 bei einem Autobomben-Attentat, zu dem sich die RAF wenig später bekannte. In Veiels Film repräsentierten Grams und Herrhausen gänzlich unterschiedliche Lebenswelten: auf der einen Seite der Wirtschaftsboss Herrhausen auf der Seite des "Kapitals", auf der anderen der gescheiterte Student Grams, der in linksradikale Kreise geriet und schließlich in den Untergrund ging, um gegen "das System" zu kämpfen. Diese Gegenüberstellung ist interessant - aber auch gewagt, weil hier der Versuch gemacht wird, Täter und Opfer gleichermaßen ins "richtige" Licht zu rücken. Auch wenn es legitim ist, beide Lebensentwürfe zu hinterfragen und zu kritisieren, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass nur einer von beiden sich letztlich anmaßte, über Leben oder Tod anderer Menschen zu entscheiden.
Ein sehr viel leiserer, aber dennoch nicht minder eindringlicherer Film ist "Die innere Sicherheit" von Christian Petzold. Der Film ist die fiktive Geschichte des Terroristenpaars Clara und Hans, das mit seiner Tochter Jeanne im Untergrund lebt. Dieser Untergrund ist ein Gefängnis: Die Familie ist gänzlich abgeschirmt von ihrer Umwelt, vertraut niemandem, lebt immer nur auf der Flucht. Über das, was zu dieser beklemmenden Situation geführt hat, wird niemals gesprochen: Der Zuschauer erfährt nicht, was Clara und Hans früher gemacht haben. Die RAF, der Terrorismus, das schwingt hier nur als leises Echo mit - über die Motive und Ziele der ehemaligen Terroristen wird kein Wort verloren. Das alles schafft eine bedrückende Atmosphäre - und ist verstörend, denn wirklich vorstellbar ist es nicht, dass ein Kind in einer solchen Umgebung aufwächst und niemals fragt, warum es keine Freunde haben kann und nicht zur Schule gehen kann. Doch die Sprachlosigkeit des Elternpaars steht symbolisch für die Sprachlosigkeit der RAF: Diskutiert wurde da irgendwann nicht mehr, nur geschossen.
Diese Selbstgerechtigkeit ist typisch gewesen für die selbsternannte Avantgarde: Die RAF sah sich als revolutionäre Elite, die für sich in Anspruch nahm, die Widersprüche "des Systems" entlarven und bekämpfen zu können. Wer Kritik an ihrem Kampf anmeldete, der war ganz einfach nicht im Stadium des revolutionären Bewusstseins und damit zu Einwänden überhaupt nicht berechtigt. Doch wie oberflächlich dieses Revolutionsgefasel oft war, macht ein Film aus der langen Reihe der RAF-Filme besonders deutlich. "Baader" von Christopher Roth zeigt, wie eitel und selbstverliebt der RAF-Anführer war - einen Mann, der immer nur allen "auf die Fresse hauen" und den "Fotzen" sagen will, wo es langgeht. Wer Kritik äußert oder Argumente hinterfragt, wird rausgeschmissen.
Kaum ein anderer Film, der sich mit der RAF und ihren Protagonisten beschäftigt, entkäftet den revolutionären Mythos der Gruppe so sehr. Das könnte die große Leistung von "Baader" sein - doch leider macht die Darstellung des Endes von Baaders vieles wieder kaputt, was der Film vorher erreicht hat. Baader stirbt hier nicht durch eigene Hand in der Stammheimer Zelle, sondern, in irritierender Bonnie-und-Clyde-Manier, im Kugelhagel der Polizei. Warum Roth sich hier nicht auf die dramaturgische Kraft der Wirklichkeit verlassen hat, bleibt ungeklärt - genauso wie die Frage, warum in "Die Stille nach dem Schuss" und "Die innere Sicherheit" das Ende der Protagonen genauso spektakulär, aber leider wirklichkeitsfern dargestellt wird: Auch Rita wird von der Polizei erschossen, Clara und Hans sterben bei einem inszenierten Autounfall.
Fast scheint es, als sei die RAF noch immer nicht so ganz darstellbar, wie sie gewesen ist - als ob am Ende der Staat noch einmal angeprangert werden müsse, weil nicht nur eine Seite Unrecht haben kann. Statt dieser Mythen die Realität abzubilden, wird die Aufgabe der nächsten Generation der RAF-Filme sein.
Susanne Kailitz ist Volontärin bei "Das Parlament".