Zwischen Zensur und Propaganda: Der Film in der islamischen Republik Iran
Der Vorfall löste eine Welle von Protesten gegen das Regime des Schahs aus, der unter dem Druck seinen Premierminister auswechselte. Aber auch diese Maßnahme konnte den anschwellenden Widerstand gegen seine Herrschaft nicht mehr eindämmen. Fünf Monate später musste der Schah das Land verlassen. Der Brand im Cinema Rex war nicht der Auslöser für die islamische Revolution, aber das Ereignis war ein nicht unbedeutender Faktor, um den sich die Massenproteste kristallisierten.
Später wurden allerdings eine Reihe von Informationen bekannt, die darauf hinweisen, dass der Anschlag nicht das Werk der SAVAK war, sondern von religiösen Eiferern durchgeführt wurde. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.
Das Medium Film war bereits lange vor Abadan und ist seither Schauplatz heftiger Kontroversen im Iran. Als in Teheran 1904 die ersten Kinos eröffnet wurden, gingen islamische Kleriker auf die Barrikaden. Sie verurteilten diese neue Kunst als verderblichen westlichen Einfluss und eine Herausforderung Gottes, weil sie unverschleierte Frauen zeigte und eine laszive Lebensweise propagierte. Zudem sei Gott allein der "Schöpfer der Menschen und aller Dinge", Abbilder herzustellen sei deshalb Frevel. Die immer populärer werdenden Filme - von 1930 bis 1979 wurden 1.100 Spielfilme in 420 Kinos gezeigt - fanden ohne Ausnahme das Missfallen des Klerus. Kindern religiöser Familien war es streng verboten, ein Kino zu besuchen.
Diese Haltung nahm mit der Revolution aber eine überraschende Wende. Gleich in einer seiner ersten öffentlichen Reden sprach der neue Mann an der Macht, Ayatollah Ruhollah Khomeini, von der erzieherischen Funktion des Films, die in den Dienst der Sache der Revolution gestellt werden müsse. Die Legende will es, dass Khomeini seine ablehnende Haltung aus der Vergangenheit aufgeben hatte, als er im Fernsehen "Die Kuh" von Dariush Mehrjui sah. Der Film zeigt das Elend der Bauern in einem abgelegenen Dorf vor der Revolution.
Das Diktum des "Höchsten Führers" eröffnete die Möglichkeit, die Filmproduktion, die nach dem Brand des Cinema Rex eingestellt worden war, wieder aufzunehmen. Die alten Filme gerieten hinter Schloss und Riegel, aber neue Filme konnten gedreht werden. Mit Eifer ging man daran, ein "islamisches Kino" zu schaffen, aber dieses Ziel erwies sich als ebenso illusorisch wie die Schaffung einer "islamischen Demokratie".
Es gab wenig Filmemacher mit Erfahrung und Talent, die in der Lage gewesen wären, an den relativ hohen Standard des vorrevolutionären Kinos anzuknüpfen. Zudem war eine "islamische Filmästhetik" mit ihren zahllosen Tabus - "Keine Krawatten! Sie sind westlich und dekadent!" - nicht so ohne Weiteres aus dem Nichts heraus zu erfinden. Die wirtschaftliche Krise, die der Krieg gegen den Irak mit sich brachte, erlaubte es zudem nicht, viel Geld in aufwändige Produktionen zu stecken. Produziert wurden in den Anfangsjahren deshalb vor allem Dokumentationen über die "Defa-e Moghadda" (Die "heilige Verteidigung" - der Krieg gegen den Irak) sowie Filme über heilige und religiöse Themen. Kitsch und Pathos gingen oft Hand in Hand.
Es blieb allerdings noch genug Raum für ein paar wenige Filmemacher, die sich schon vor der Revolution etabliert hatten. Ein prominentes Beispiel ist Abbas Kiarostami, heute einer der führenden Repräsentanten des "neuen" iranischen Kinos. Er hatte 1969 die Filmabteilung des "Instituts für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen" mitbegründet und drehte vor allem Filme mit und für Kinder.
1979, im Jahr der Revolution, produzierte er zwei Filme über Informanten, "Alternative 1" und "Alternative 2", in denen er auch den Klerus von der Kritik nicht ausnahm. Beide Filme durften nie gezeigt werden, aber man ließ ihn weitermachen. 1987 erschien von ihm "Khan-ye doust kodjast?" ("Wo ist das Haus meines Freundes?"), eine einfache Geschichte über einen achtjährigen Jungen, der seinem Freund ein Heft zurückgeben muss, um zu verhindern, dass der Freund von der Schule verwiesen wird. Da der Film aus der Perspektive eines Kindes erzählt wird, war es Kiarostami möglich, soziale Missstände zu thematisieren, die anderweitig nicht die Zensur passiert hätten. In "Mashgh-e Shab" (1989, "Hausarbeiten") greift er erneut auf diese Methode zurück.
Andere iranische Filmemacher reflektieren in ihrer Karriere die Wandlung von Euphorie zu Ernüchterung, die die Anhänger der Revolution erlebten. Mohsen Makhmalbaf, ein weiteres prominentes Beispiel, schrieb eine Reihe von Drehbüchern für pro-revolutionäre Filme und leitete ein revolutionäres Agitprop-Theater. Seine erste eigene Regiearbeit "Baykot" (1985, "Boykott") ist eine Art Action-Thriller um einen Revolutionär, dem die Schergen des Schahs nachsetzen. Mit "Arusi-e Khuban" (1989, "Die Heirat der Gesegneten") griff er aber ein sozialkritisches Thema auf, das weiten Widerhall in der iranischen Gesellschaft fand. Ein Kriegsverletzter kehrt nach Hause zurück, um festzustellen, dass die Ideale, für die er kämpft, dort als hohl und nichts sagend empfunden werden. Ernüchtert und resigniert kehrt er an die Front zurück.
Mit Geschick und Tücke gelang es Regisseuren wie Kiarostami und Makhmalbaf, aber auch Dariush Mehrjui, Bahram Beyzaï, Amir Naderi oder Jafar Panahi, die wenigen Lücken in der Zensur zu finden. Geholfen hat ihnen dabei sicher ihre anerkannte handwerkliche Meisterschaft. Gelegentlich waren auch gute persönliche Beziehungen oder vergangene Verdienste um die Revolution wie bei Makhmalbaf hilfreich.
Die internationale Anerkennung, die der iranische Film seit Anfang der 90er-Jahre erfährt, hat den Filmemachern schließlich in den letzten Jahren einen gewissen Freiraum geschaffen. Nicht nur, dass jedes Verbot oder jeder Eingriff weltweit in der Filmszene zu einer Nachricht würde, sondern das Regime verfolgt mit Genugtuung, dass einheimische Kulturprodukte auch jenseits der Landesgrenzen erfolgreich sind. Selbst konservative Zeitungen, die an anderer Stelle gegen die "Verwestlichung" zu Felde ziehen, melden penibel jeden Auftritt eines iranischen Filmes bei einem Festival und feiern jeden gewonnen Preis.
Parallel dazu fand spätestens seit der Wahl des reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami 1996 eine Öffnung der iranischen Gesellschaft statt. Soziale Missstände können freimütiger benannt werden, Aspekte der iranischen Realität wie Drogensucht, Prostitution, Gewalt in der Ehe, außereheliche Beziehungen oder auch das Fehlverhalten von Offiziellen müssen nicht mehr ausgeblendet werden. Khatami hat zudem das Zensurverfahren gestutzt und die freie Produktion von Filmen gefördert. Das erlaubt den Filmemachern eine größere Unabhängigkeit von den meist immer noch konservativ dominierten staatlichen Instanzen.
Der iranische Film besaß an dieser Entwicklung hin zu mehr Öffnung einen nicht unbedeutenden Anteil. Oftmals waren es Filme, die als erste Tabus brachen. Jafar Panahis "Dayereh" ("Der Kreis"), der 2000 mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet wurde, thematisierte erstmals die Prostitution, Kiarostamis "Tam-e guilass" ("Der Geschmack der Kirsche") beschäftigte sich mit Selbstmord, einem heiklen Thema im Islam.
Die vermehrte Freiheit bedeutet allerdings nicht, dass alles erlaubt ist. Auch wer einen "Goldenen Löwen" aus Venedig oder eine "Goldene Palme" aus Cannes besitzt, darf keine Frauen ohne Kopfbedeckung oder erotische Szenen zeigen. Bei allzu offener Kritik gesellschaftlicher Probleme oder gar einer direkten Attacke gegen den Klerus oder die politischen Verantwortlichen droht weiterhin ein Verbot des Filmes oder gar Schlimmeres.
Zudem werden die Arbeiten der renommierten Regisseure zwar auch von den Konservativen gern als Aushängeschild für die kulturellen Leistungen der islamischen Republik missbraucht, aber ihre Filme werden im Land oft nur für eine sehr begrenzte Zeit in wenigen Kinos und ohne viel Werbung gezeigt.
Der international beachtete Kunstfilm macht allemal nur einen geringen Teil des Angebotes in den iranischen Kinos aus. Rund 80 Filme werden im Land im Durchschnitt pro Jahr produziert. Ein beachtlicher Teil ist künstlerisch wenig anspruchsvoll und kreist weiterhin um Themen wie den Krieg gegen den Irak, religiöses Erwachen und Errungenschaften der Revolution. Unterhaltsames wie Liebesdramen oder Komödien ist ebenfalls sehr populär. Der Muff der Anfangsjahre ist inzwischen verschwunden. Scheidung oder Entfremdung zwischen Eltern und Kindern sind auch auf iranischen Leinwänden nichts Besonderes mehr. Dies entspricht dem Zeitgeist im Lande, aber nach wie vor ist Liebespaaren allenfalls ein gemeinsamer Spaziergang im Park erlaubt und Frauen tragen auch beim Frühstück ein Kopftuch. Selten spielen diese Filme eine Vorreiterrolle, indem sie heikle Themen aufgreifen oder Tabus durchbrechen.
Es existieren Ausnahmen: "Marmoulak" ("Eidechse") war im letzten Jahr der erfolgreichste Film an den iranischen Kinokassen. Er handelt von einem Kriminellen, der sich als Mullah verkleidet, um aus dem Gefängnis zu fliehen, und in allerlei Situationen gerät, in denen die Kritik an der Selbstgefälligkeit, Raffgier und dem Egoismus vieler Mitglieder des Klerus nicht zu übersehen ist. Der Film wurde von einem konservativen Produzenten mit guten Beziehungen zu Mitgliedern des Regimes produziert, der sich vorab wohl selbst nicht ganz darüber im Klaren war, was er da herstellen ließ. Als "Marmoulak" zum allgemeinen Gesprächsthema wurde und Mullahs zu protestieren begannen, zog er den Film freiwillig zurück.
Dass solche Fälle möglich sind, spricht für ein gewisses Maß an Toleranz, für die vor allem der inzwischen abgelöste Präsident Khatami verantwortlich zeichnete. Der seit August neu im Amt befindliche Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat angekündigt, er wolle weder die sozialen noch die kulturellen Freiheiten einschränken. Gleichzeitig ist er ein Mann mit einem stark konservativem Hintergrund und propagiert eine Rückkehr zu den "islamischen Werten". Noch ist Ahmadinejad nicht lange genug im Amt, dass man abschätzen könnte, welche Konsequenzen diese Rück-kehr für den iranischen Film haben könnten.
Martin Ebbing berichtet als freier Journalist aus dem Iran.