Die Verarbeitung des 11. Septembers 2001 und des "Kriegs gegen den Terror"
Etwas ist geschehen und man kann nicht mehr davor zurück. Es gibt eine Form der öffentlichen Trauer, es gibt eine Suche nach den Schuldigen, es gibt eine politische Reaktion - jenen "Krieg gegen den Terror", der in den Jahren darauf höchst zweifelhafte Zusammenhänge konstruieren und neue Opfer fordern sollte. Es gibt aber auch eine Wandlung der Bilder und der Erzählungen in der populären Kultur. Unter anderem reagiert auch die große Traumfabrik, das Kino. Und sie tut es auf ihre Weise: Widersprüchlich, mythisch, neurotisch, offen.
Es gibt im Wesentlichen in der populären Kultur drei Formen der Reaktion:
Sehen wir dabei ab von einem Zweig der regelrechten Ausbeutung, einer "9/11-Industry", von der etwa Renee Kaplan in einem Artikel im Jahr 2002 gesprochen hat, in der man Bücher, Fahnen, Memorabiles und eben auch Filme mit der Erinnerung an den Anschlag verkaufen konnte. Es gab kaum einen Artikel (im doppelten Sinne), der nicht behauptete, in der einen oder anderen Weise auf den 11. September bezogen zu sein, so kann man wohl fünf Kapitel dieses "Einschreibens" des Katastrophenbildes beschreiben.
"Collateral Damage" (2001) war der erste jener Filme, die nach dem 11. September in der Auswertung erst einmal gestoppt wurden, und später ins Kino kamen, nun als durchaus propagandistische Aussage: Arnold Schwarzenegger spielt den tüchtigen Feuerwehrmann und rührenden Familienvater Gordon Brewer, dessen Familie von Terroristen ermordet wird. Weil Politik und CIA versagen, will er auf eigene Faust Rache nehmen, wird dabei aber von einer Frau und ihrem Kind getäuscht: Während er glaubt, sie zu befreien, bringt er in Wahrheit die gefährlichsten Terroristen ins Zentrum der Macht.
Ganz ähnlich argumentiert "Rules of Engagement" (2001) von William Friedkin, wo ein amerikanischer Offizier vor Gericht steht, weil er im Libanon auf unbewaffnete Zivilisten habe schießen lassen. In Wirklichkeit aber waren in der Menge Terroristen mit Schusswaffen und auch hier sind Frauen und Kinder in die perfiden Pläne einbezogen. Es ist, als müssten die Skrupel für einen "asynchronen" Krieg beseitigt werden.
Der Erfolg an den Kinokassen hielt sich zunächst in Grenzen. Filme wie "Collateral Damage" und "Password: Swordfish" waren Misserfolge. Neben die Fantasie einer "direkten Reaktion" durch Gewalt traten Filme, die die terroristische Tat in einen "weltgeschichtlichen" Zusammenhang zu stellen, alte und neue Feindbilder miteinander zu verknüpfen drohten. "The Sum of All Fears" (2002) verknüpft arabische Terroristen, sowjetische Fieslinge und dämonische Nazis zu einer Allianz gegen die USA.
Subtiler zeigen Filme wie "Flightplan", der in diesem Herbst anläuft, Bedrohung und Reaktion. Das Drehbuch wurde vor dem 11. September 2001 begonnen und dann nach den Ereignissen umgeformt, Es ist ein Film über Verlust und Wahn: Die Geschichte einer Amerikanerin, die mit dem Tod ihres Mannes fertig werden muss. Zusammen mit seinem Leichnam und ihrer kleinen Tochter fliegt sie zurück in die Staaten, aber während des Fluges verschwindet die Tochter und alle behaupten, sie sei nie in das Flugzeug gekommen und stehe auch nicht auf der Passagierliste. Vielleicht ist "Flightplan" schon so etwas wie ein Spätwerk des amerikanischen Post-9/11-Films: auch ein Kampf um Erinnerung, um das trauernde Subjekt in den Intrigen und Erpressungen. Die große gesellschaftliche Katastrophe, die in der offiziellen Rhetorik längst zu einem kalten und schmutzigen Ritual geworden ist, hat gleichsam die letzten Instanzen, die Nachbarschaften und die Familien erreicht.
Eine direkte Kritik an der Kriegsführung, am Konzept des "Kriegs gegen den Terror" und an der Einschränkung der demokratischen Rechte in der amerikanischen Gesellschaft selber war nicht nur wegen der Verflechtung von Pentagon und Hollywood kaum denkbar. Sie formulierte sich eher in Bilder-Zusammenhängen jenseits von Hollywood. Der Skandal über die von der Regierung aufgebauschten Berichte über die Massenvernichtungswaffen des Iraks, der schließlich zum Selbstmord des Informanten führte, wurde in ein Politdrama des britischen Fernsehens umgesetzt: David Kelly ("Der Waffeninspekteur", 2004, Regie: Peter Kosminsky) erzählt, wie im September 2002 Alastair Campbell, der Kommunikationsleiter der britischen Regierung, seinen Bericht über die irakische Rüstung veröffentlichte - offensichtlich um die Bevölkerung umzustimmen, in der die Stimmung gegen einen Krieg umzuschlagen drohte. Der Waffenexperte David Kelly aber erwähnt schließlich einem BBC-Journalisten gegenüber, die Regierung habe die Berichte "sexier" gemacht, indem die Nachrichten über die Massenvernichtungswaffen erheblich aufgebauscht wurden. Die BBC hält zwar den Namen ihres Informanten geheim, aber die Presse macht eine unbarmherzige Jagd auf ihn. Schließlich wird er enttarnt. Dem Druck ist Kelly nicht gewachsen; er begeht am 18. Juli 2003 Selbstmord.
In "War Photographer" (2001, Regie: Christian Frei) kann man nicht nur das Vorurteil vom zynischen Kriegsfotografen unterlaufen, sondern auch die Manipulationen der Medien bei der Arbeit beobachten: Die schrecklichen und wahren Fotos will niemand neben der schicken Werbung haben.
So könnte man auch sagen: Das Verschwinden der direkten Eindrücke der Katastrophe und des Krieges liege weniger im Interesse der Menschen als im Interesse der Werbungswirtschaft. Linda Ellman drehte 2005 eine Dokumentation, "On Native Soil", die mit dem Material der 9/11-Commission eine kritische Befragung unternimmt. Sie fragt nach den Fehlern im System, die zu der Katastrophe führten.
Diese kritische Rückschau baut auf einer Reihe von Versuchen auf, das chaotische und überwältigende Bildmaterial in einen dokumentarischen Diskurs zu bringen: Die französischen Dokumentaristen Jules and Gedeon Naudet drehten eine Reportage über den "typischen" amerikanischen Feuerwehrmann, als sich die Ereignisse des 11. Septembers gleichsam vor ihren bereitgehaltenen Handkameras abspielten. So konnten die beiden Brüder eine der raren direkten Aufnahmen liefern, die am 12. September 2002 zum ersten Mal in einer Video-Version erschienen und seitdem in verschieden Varianten neu herausgebracht wurden.
"Ground Zero - Das Jahr danach" rekonstruiert anhand von Computeranimationen die katastrophalen Folgen der Flugzeugeinschläge und schildert die Geschichte des Ortes nach der Zerstörung, von den ersten Aufräumarbeiten bis zu den Anfängen eines Wiederaufbaus, der auch Konflikte bei der Bewältigung dieses Neuanfangs nicht ausspart.
In "11'09'01" (2003) versuchen elf Regisseure aus den verschiedenen Erdteilen eine Reaktion auf die Geschehnisse. Die Produzenten baten elf Filmemacher rund um die Welt, einen Kurzfilm über diese Katastrophe zu drehen. Die Regisseure erhielten dabei keine Beschränkungen bezüglich Inhalt und Form. Die einzige Bedingung war die Länge: Sie betrug elf Minuten, neun Sekunden und ein Bild. Der Film zeigt, wie unterschiedlich die Nachricht aufgenommen und verarbeitet wird, wie sie zu verrückten Hoffnungen und zu ebenso verrückten Übermalungen führt.
Ken Loach erinnert an einen anderen 11. September, nämlich jenen, an dem in Chile Salvador Allende mit der Unterstützung der US-Regierung gestürzt und ermordet wird. In Sean Penns Beitrag lässt der Sturz der Türme das Sonnenlicht auf die Grabblumen einer Frau scheinen und bringt sie zum Erblühen. Es ist, alles in allem, ein Versuch, das Geschehen zu bewältigen und zugleich die Grenzen solcher Bewältigung aufzuzeigen, ein Versuch der Einigung, und zugleich ein Versuch über die Grenzen der Einigung.
Ein Film des Rückzugs dagegen ist Jim Simpsons "The Guys". Ein Film, dessen lange Produktionsgeschichte schon selber einen Abstand vom Geschehen markiert. Er ist entstanden nach einem Theaterstück, das mit wechselnder Besetzung über mehrere Jahre lief und konzentriert sich auf die "normalen" Helden der Feuerwehr von New York und ihre Familien. Die reduzierte Situation zeigt eine Journalistin (Sigourney Weaver), die einem Feuerwehrmann (Anthony La Paglia), der beim Einsatz acht seiner Leute verloren hat, dabei helfen will, Worte für ihre Verabschiedung zu finden. Zehn Tage nach dem entsetzlichen Geschehen kommen sie zu einem langen Gespräch zusammen, zwei Menschen aus so verschiedenen Lebenskreisen, dass sie ohne die Katastrophe einander nie begegnet wären oder gar so viel Verständnis füreinander fänden.
Für das nächste Jahr, in dem sich das Ereignis zum fünften Male jähren wird, haben die (amerikanischen) Bildermaschinen eine neue 9/11-Produktion begonnen und manches davon scheint sich nicht mehr so recht an den Konsens halten zu wollen: Oliver Stone hat die Arbeit an einem Film aufgenommen, indem er mit den Familien der Opfer Gespräche führt. Der unermüdliche Filmer der amerikanischen Wunden trifft dabei auf unerwarteten Widerstand. Wie zu hören ist, sträubt sich die Verwaltung von New York, ihm Dreh-erlaubnisse und Dokumente zu überlassen, offensichtlich fürchtet man eine erneute kritische Attacke.
Paul Greengrass bereitet unterdessen den Film "Flight 93" für den National Geographic Chanel vor, der die Geschichte des Fluges in Echtzeit wiedergeben soll, der nach Washington entführt wurde. Ein Film, der zum Teil improvisiert in einer Situation mit Handkameras aufgenommen werden soll. Begleitet werden soll das filmische Experiment von einer vierstündigen Dokumentation über die Hintergründe der Angriffe.
2006 wird ABC überdies eine Mini-Serie zu den Ereignissen produzieren und Brian Grazer und Ron Howard erarbeiten für NBC ein achtstündiges Konkurrenzunternehmen, das sich ebenfalls auf die Kritik im 9/11-Commission-Report beziehen soll. Zwischen Trauerarbeit, Kritik und nationaler Versöhnung ist das Feld weit, aber ganz offensichtlich scheint in dieser neuen Welle der Katastrophenbilder auch der Wunsch zum Ausdruck zu kommen, durch das abschließende Statement zu einer Historisierung zu gelangen: Die Bilder des 9/11-Traumas sind Teil der kollektiven Bilderströme geworden und für die Bearbeitung offen.
Wesentlich schwieriger freilich ist, zu beschreiben, wie solche gewalttätigen historischen Ereignisse ihre Spuren in die Erzählweisen selbst setzen. In den 70erJahren hat die Kritikerin Pauline Kael von einer "Vietnamisierung" des amerikanischen Films gesprochen und sie meinte damit keineswegs, dass der Vietnamkrieg zu einem hervorstechenden Thema des Kinos geworden wäre - das geschah erst später.
Worauf Pauline Kael sich bezog, war viel eher eine "Infektion" der Erzählweisen. Jenseits einer Auseinandersetzung zwischen den Standpunkten für oder gegen diesen Krieg veränderte er die Einstellung des Kinos zu Gewalt, zur Gesellschaft, zu Vertrauen und Ohnmacht.
Die Frage also mag sich erheben, ob es so etwas wie eine "9/11-isierung" und dann so etwas wie eine "Irakisierung" im amerikanischen und im Weltkino gegeben hat. Natürlich gab und gibt es Filme, denen mit einem ideologiekritischen Instrumentarium beizukommen ist. Die "Triple X"-Filme mit dem Jugend-Star Vin Diesel übernehmen seit 2002 die "Rekrutierung" der spaß- und abenteuerlustigen Kids für den "Krieg gegen den Terror", so wie eine Generation vorher Filme wie "Top Gun", das Vergnügen an Mode, Technologie und Rock'n'Roll, für militärische Zwecke eingesetzt hatte.
Der globalisierte Kriegs- und Terrorfilm übernahm daher eher fantastische und historische Bilder. Zwei Bild-Kaskaden entstanden auf diese Weise. Auf der einen Seite das grauenhafte, aber in seiner Grauenhaftigkeit auch immer sinnstiftende Bild der großen Katastrophe - wie in "The Day after Tomorrow" als Bild der ökologischen Katastrophe. Der Sinn, der in diesen Katastrophen stecken mochte, war es, ein verlorenes Gemeinschaftsgefühl wieder zu entdecken. Die Familie fand wieder zusammen wie in "Krieg der Welten". Was die Menschen zu entdecken hatten, war das Verhältnis zur Gemeinschaft. Obi Wan in "Star Wars" oder die Rebellen in "Matrix" setzten sich nicht mehr wie "Rambo" oder "Dirty Harry" als einsame, gewalttätige Individualisten gegen "das System" zur Wehr, sondern kämpfen im Dienste der Gemeinschaft.
Die zweite Bild-Kaskade, die man einer "Irakisierung" zuordnen könnte, profitierte in gewisser Weise von der durch die Katastrophe geschaffenen neuen Einheit: Auch hier geht es, gleichgültig, ob im antiken Rom wie bei "Gladiator" oder in den Kreuzzügen bei "Kingdom of Heaven", um die Herstellung einer Schlachtordnung, in der der Einzelne aufgeht. Auffallend scheint auch, dass es nicht mehr so sehr wie bei den "vietnamisierten" Helden um einen unsichtbaren, verborgenen oder maskierten Feind geht, sondern dass das Böse ganz direkt in seiner bedingungslosen Aggression gezeigt wird. Mit diesem Feind kann man nicht reden. Es geht immer um "imperiale" Auseinandersetzungen.
Oliver Stones "Alexander" träumt zwar imperial, aber zugleich auch multikulturell und multisexuell: Ein unter einem übermächtigen Vater leidender Mann, der sich in seinen psychischen Deformationen in Drogen und sexuelle Ausschweifungen flüchtet, um sich schließlich in einem manisch geführten Feldzug im Gebiet des heutigen Irak neu zu erfinden und seine prekäre "Männlichkeit" dabei zu beweisen: Zumindest für das amerikanische Publikum war diese psychologische Allegorie zu George W. Bush Junior nur allzu offensichtlich - und möglicherweise Teil des kommerziellen Misserfolgs.
Die Rückprojektion auf den Mythos ist aber nicht nur ein Trick der Traummaschine. Sie ist auch Botschaft: Das Kriegerische wird nicht mehr technologisiert, sondern archaisiert bis zu den Akten der Grausamkeit in "King Arthur". Im Grunde ist es immer derselbe Krieg, der geführt wird, in grauer Vorzeit, gestern und heute, und in ferner Zukunft.
Was bleibt, das ist ein Empfinden der inneren Katastrophe und ein Verlust der direkten Wahrnehmung. In "L.A. Crash", einem Film, der sich wieder ganz auf die desolate Situation im Inneren des Landes konzentriert, erkennt der von Sandra Bullock gespielte Charakter: "Ich bin die ganze Zeit wütend, aber ich weiß nicht, warum." Es ist die Geschichte einer Gesellschaft, in der, wie der Autor und Regisseur, Paul Haggis erkennt, "Intoleranz zum alleinigen Maßstab zu werden droht". Und damit ist auch das Kino bei der Diagnose der letzten Auswirkung des Terrors und des "Krieges gegen den Terror" angelangt: Die wahre Katastrophe ist das, was aus der amerikanischen Gesellschaft geworden ist, der vielleicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Kräfte zur Selbstheilung und Erneuerung fehlen. Es ist eine Gesellschaft, in der man nur noch zwischen besinnungslosem Zorn, nihilistischem Gelächter und sentimentaler Bigotterie hin und herschwankt, ohne dass sich ein Wunsch nach Veränderung noch artikulieren kann.