Streit um Einsatz von lettischen Bauarbeitern in Schweden
Die Stimmung im Straßburger Plenarsaal war am 25. Oktober äußerst gespannt. "Wenn einzelne Mitglieder dieses Hauses glauben, ich werde auf den Knien rutschen, um einzelne Mitgliedsstaaten oder einzelne Mitglieder dieses Hauses nicht zu verprellen, dann muss ich Sie enttäuschen", warf Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy trotzig in den Raum. Er habe nichts gegen den schwedischen Sozialstaat, so der Ire weiter, aber über die Regeln des Binnenmarktes dürften sich auch die schwedischen Gewerkschaften nicht hinwegsetzen. "Wir sind gegen das System McCreevy", blaffte Martin Schulz, der deutsche Fraktionschef der Sozialdemokraten, zurück.
Stein des Anstoßes ist eine kleine Schule in Vaxholm, einem Vorort von Stockholm. Die lettische Firma Laval hatte vergangenes Jahr den Auftrag erhalten, das Gebäude zu renovieren. Anders als Deutschland hat Schweden keine Beschränkung für den Einsatz von Arbeitskräften aus Osteuropa erlassen. Die Letten wollten sich also ans Werk machen. Da trat die Gewerkschaft der schwedischen Bauarbeiter auf den Plan und verlangte den Abschluss eines Tarifvertrages. Als Laval sich weigerte, blockierten die schwedischen Gewerkschafter die Baustelle solange, bis die Letten pleite waren. Der Fall wird demnächst vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt.
McCreevy ist also keine direkt handelnde Person im Vaxholm-Fall. Allerdings ließ er sich bei einem Besuch in Schweden zu der Bemerkung hinreißen, die Kommission werde die Letten vor Gericht unterstützen. Als Binnenmarktkommissar müsse er sich schließlich für den freien Dienstleistungsverkehr in der Union einsetzen. In Schweden brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los. Demnächst sind Wahlen. In einem Brief an die Kommission drohte der schwedische Minister für Handel und Industrie, Thomas Östros, die Regierung in Stockholm werde Schlüsselprojekte der Kommission wie die geplante Dienstleistungsrichtlinie nicht länger unterstützen. Im schwedischen Establishment fürchtet man, Brüssel wolle die Axt an das schwedische System der Tarifverträge legen - und damit an den schwedischen Sozialstaat schlechthin.
Aufgeschreckt sind freilich auch die Gewerkschafter in anderen EU-Ländern. Sollte Laval vor dem Europäischen Gerichtshof Recht bekommen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen. In letzter Konsequenz gehe es hier um das Streikrecht, sagt der Chef des Europäischen Gewerkschaftsbundes EGB, John Monks. "Mit seiner Parteinahme liefert McCreevy den Euroskeptikern doch nur Argumente frei Haus", sagte er.
McCreevy hat vor dem Parlament in Straßburg nicht den Versuch gemacht, diesem Eindruck entgegenzutreten. "Die lettischen Beschwerden sind nicht weniger wichtig als andere, weil Lettland ein neuer und kleiner Mitgliedsstaat ist. Die lettischen Gewerkschafter dürfen genauso erwarten, dass wir uns für ihre Rechte einsetzen wie die schwedischen." Die Kommission versuche mit dieser Politik die Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten gegeneinander auszuspielen, schimpfte Schulz.
Unterstützt wurde der Binnenmarktkommissar in der dreistündigen Debatte von den Liberalen und Konservativen. Es sei das gute Recht der Kommission, sich für die Dienstleistungsfreiheit stark zu machen, sagte Hans-Gerd Pöttering, der Vorsitzende der EVP-Fraktion. Die Schweden hätten es versäumt, von der Entsenderichtlinie Gebrauch zu machen, die Mindestlöhne im Baugewerbe auch in Schweden garantieren könne. Im Vaxholm-Fall gehe es weder um den schwedischen Sozialstaat noch um die Dienstleistungsrichtlinie, so Pöttiering.