Holocaust und Shoa als Themen der Lehrerbildung
Nationalsozialismus und Holocaust sind seit den frühen 60er-Jahren Dauerthemen in der historisch-politischen Bildung der Bundesrepublik. Die beiden Herausgeber sind seit vielen Jahren im Diskurs über den "Nationalsozialismus in der schulischen Bildungsarbeit" präsent. Ihr neuer Sammelband soll unterschiedliche methodische Ansätze und differenzierte Zugänge in der Lehrerbildung zur Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust dokumentieren.
Dabei sind sie bemüht gewesen, ein möglichst breites Spektrum ihrer Thematik abzudecken, konkret: Sie begrenzen sich nicht nur auf die deutschen Debatten, sondern präsentieren im vierten Teil des Buches auch sehr instruktive internationale Ansätze zur Holocaust Education. Vertreten sind Beiträge aus Polen, Tschechien, England, den USA und Israel. Während der israelische Schulrat Michael Yaron die Bedeutung der Shoa im Geschichtsunterricht Israels diskutiert, informiert der in Israel lebende deutsche Historiker Michael Schwemmen über die Holocaust-Erziehung an israelischen Schulen.
Eher im Kontrast dazu steht der Aufsatz des palästinensischen Erziehungswissenschaftlers Sami Adwan, der unter anderem auf der Basis von Interviews mit palästinensischen Hochschullehrern und Lehrern der randständigen Bedeutung des Themas Holocaust im Erziehungssystem seines Landes nachspürt und vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konflikts diskutiert.
Eröffnet wird der Band jedoch durch einen einführenden Beitrag der beiden Herausgeber, der dem Leser einen freilich nicht immer geglückten stichpunktartigen Rückblick auf die Etappen der pädagogischen Verarbeitung von Nationalsozialismus und Holocaust bietet. Deren Bedeutung in der Lehrerbildung von 1945 bis 1965 untersucht Wolfgang Stammwitz; er bestätigt nochmals die Defizitdiagnosen der bisherigen Forschungen, kann aber mit einigen interessanten Details aufwarten, die Anregungen für künftige Forschungsarbeiten enthalten.
Der zweite Teil des Bandes versammelt Beiträge aus der Ersten und Zweiten Phase der Lehrerausbildung. Entsprechend rekrutieren sich die Autoren aus Hochschuldozenten und Lehrern, die in ihrer Berufspraxis einschlägige Erfahrungen mit dem Thema gesammelt haben und diese hier entweder kritisch reflektieren oder einzelne Projekte vorstellen. So geht es einmal um die einschlägige Kinder- und Jugendliteratur und ihre Rezeption, um die Bedeutung von Nationalsozialismus und Holocaust im Studium zukünftiger Geschichtslehrer und im fachdidaktischen Seminar.
Die vier Beiträge des dritten Teils sind Trägern der Lehrerweiterbildung gewidmet, welche die durch die Länderministerien geregelten Fortbildungsangebote inhaltlich ergänzen. Heinrich Bartel reflektiert die Bedeutung der Israel-Spezialreisen der Bundeszentrale für politische Bildung für Gedenkstättenmitarbeiter und Pädagogen, Norbert H. Weber stellt Konzepte für Studienfahrten nach Polen vor. Während sich Annegret Ehmann kritisch mit der Lehrerfortbildung und den Rahmenplänen in den neuen Bundesländern auseinandersetzt, befasst sich Elke Gryglewski aus gedenkstättenpädagogischer Sicht mit der Frage, wie das Thema "Holocaust im 21. Jahrhundert" mit jungen Schülern zu bearbeiten wäre.
Sammelbände mit einer Vielzahl an Autoren tragen immer ihre eigenen Risiken. Das ist auch gelegentlich hier der Fall. Dennoch ist es den Herausgebern gelungen, eine stattliche Anzahl von Texten einzuwerben, die sich ihrer Fragestellung auf unterschiedlichen Wegen und aus verschiedenen Perspektiven nähern. Letztlich vermitteln sie den Eindruck, dass die Geschichte der pädagogischen Verarbeitung des Nationalsozialismus und Holocausts nicht nur als Defiziterzählung geschrieben werden muss.
Hanns-Fred Rathenow, Norbert H. Weber (Hrsg.)
Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in der Lehrerbildung.
Krämer Verlag, Hamburg 2005; 321 S., 34,80 Euro