Die deutschen Juden in Israel
Ihre Vorliebe für Disziplin, Pünktlichkeit, gute Manieren, für so genannte preußische Tugenden also, machte sie zu einem beliebten Objekt von Witzen und Spötteleien. Tatsächlich brachten sie in ihrem Gepäck kulturelle Kategorien und Denkmodelle mit, die sie im Laufe der Assimilation an die deutsche Kultur und Sprache erworben hatten und die sie, so schien es zumindest, oft deutscher als die Deutschen machten. Selbst die "asiatische" Hitze konnte ihren alten festen Gewohnheiten nichts anhaben. So erzählt man gerne, wie sich Ärzte im Jackett die Steine auf der Baustelle mit einem "Bitte schön, Herr Doktor" und einem "Danke schön, Herr Doktor" weitergereicht hätten.
Woher genau das Wort "Jecke" stammt, ist unklar. Eine populäre Erklärung beruft sich auf "Jacke", die auch bei größter Hitze anbehalten wurde. Einer anderen zufolge handelt es sich um die hebräische Übersetzung von "jehudi kasche havan - ein Jude, der schwer von Begriff ist".
Zwei empfehlenswerte Neuerscheinungen widmen sich ausgiebig dem Schicksal der Jeckes: Der diesjährige, gut bebilderte Jüdische Almanach anlässlich des 50. Geburtstags des Leo-Baeck-Instituts und der Sammelband "Zweimal Heimat". Er ist das Ergebnis einer internationalen Konferenz, die im Jahre 2004 im Jerusalemer Konrad Adenauer Konferenzzentrum stattgefunden hat.
Viele Jeckes - das geht aus beiden Büchern deutlich hervor - sehnten sich nach ihrem alten Zuhause und widersprachen damit dem zionistischen Mythos, nach dem die Einwanderung der Juden nach Palästina eine wahre Erlösung sein sollte. Schon die hebräische Sprache bildete für diese "Israelis aus Not" eine große Hürde, die manche zeitlebens nie überwunden haben.
Die meisten deutschen Juden in Palästina verließen das Land nicht mehr. Aus diesem Grund behaupteten einige Historiker, die Jeckes hätten in Israel eine neue Heimat gefunden. In vielen Fällen hatten sie wahrscheinlich einfach nicht mehr den Mut, nochmals auszuwandern und sich eine neue Bleibe zu suchen.
Einige entschieden sich allerdings später doch für eine Rückkehr nach Deutschland, der ein oder andere auch für eine Übersiedlung in die DDR, zum Beispiel der Vater von Anetta Kahane, der nach 1945 für sich und seine Familie bewusst ein Leben in Ost-Berlin wählte. Andere wiederum verschlug es für immer nach Amerika. Über 130.000 deutschsprachige Juden flüchteten nach 1933 in die USA.
In beiden Büchern lernen wir nicht nur heimwehkranke einsame Jeckes kennen, die sich seit ihrer Flucht aus Deutschland nirgendwo mehr richtig zu Hause fühlten, gleich, wohin es sie verschlug. Wir lesen vielmehr auch von überaus erfolgreichen Juden, wie etwa den berühmten Kaufhauskönig, Mäzen und Verleger Salman Schocken, den Amos Elon anschaulich porträtiert, ferner den aus Deutschland stammenden Direktor der Tel Aviver Stadtbibliothek, Heinrich Loewe, der sich um das geistige Wohl der Jecken kümmerte, sowie Siegfried Moses - Rachel Heuberger nennt ihn "den Jecken vom Dienst" -, der 1949 erster Staatskontrolleur von Israel wurde.
Einige wenige Jeckes waren aus Überzeugung ins Gelobte Land gekommen, wie etwa Hermann Mayer, Sohn einer zionistischen Buchhändlerfamilie, und die aus Berlin stammende Lotte Cohn, die erste Architektin im Lande Israel. Reb Schlomo Wechsler gehörte ebenfalls zu ihnen. Er war bereits Ende des 19. Jahrhunderts nach Jerusalem übergesiedelt und dort in der Talmud-Hochschule zu einer Leuchte geworden.
Trotz aller Vorbehalte, die den deutschsprachigen Einwanderern lange Zeit entgegengebracht wurden, schaffte es diese kleine, aber hoch qualifizierte Minderheit, dem späteren Staat Israel ihren Stempel aufzudrücken. Sie leistete zu Israels Aufbau einen beachtlichen Beitrag in der Wirtschaft, in der Politik, in den Medien, im Erziehungswesen, in der Wissenschaft, in der Literatur, im Theater, in der Musik und im Tanz. Die Gegenwart der deutschen Kultur war und ist noch heute in Israel, insbesondere in Tel Aviv, in vielen Bereichen zu spüren. Eine Gruppe von Juristen jeckischer Herkunft zählte sogar zu den Gründungsvätern des israelischen Obersten Gerichtshofes. All das wird in beiden Büchern in vielen Beiträgen ausführlich und detailliert dargestellt.
Laut Yotam Hotam steht gegenwärtig im Zentrum der Diskussion um die Zukunft der Gesellschaft und der Kultur in Israel die Frage, ob die deutsch-jüdische Erinnerungskultur ins Wachsmuseum der Geschichte und nicht in die Zukunft des gemeinsamen Lebens gehört. Das kommt nicht von ungefähr, da Israel oft als eine Außenstelle der westlichen mitteleuropäischen Denkmuster betrachtet wird.
Lange Zeit galt es in den Augen vieler Israelis als Makel, dass die Jeckes im Grunde ihres Wesens doch sehr deutsch geblieben sind. Heute indes, da es, nach David Witzthum, den Anschein hat, als ob Israel "entjeckt" sei, erfahren die noch lebenden Jeckes eine späte Anerkennung. Hatte man sich anfangs über die preußischen Tugenden der deutschen Einwanderer noch lustig gemacht, so betonen jetzt Israelis jeglicher Herkunft stolz, dass sie Jeckes seien, wenn sie darauf hinweisen wollen, wie verlässlich und pünktlich sie seien. Auch wenn in der Ben-Jehuda-Straße keine Jeckes mehr zu finden sind, so wird in unseren Tagen die deutsche Einwanderung doch geradezu als Erfolgsgeschichte verbucht.
Neben vielen informativen und in einer für alle verständlichen Sprache abgefassten Aufsätzen fehlt es in beiden Bänden nicht an lebendigen Porträts, spannenden Lebensgeschichten und persönlichen, oft bewegenden und zu Herzen gehenden Erinnerungen. Fürwahr, der diesjährige Herbst hat uns zwei aufregende Bücher beschert, die sich vortrefflich ergänzen. Man wünscht ihnen viele Leser, nicht zuletzt deshalb, weil sie uns mit einem, bei aller Trauer und Tragik, letztlich doch faszinierenden Kapitel in der deutsch-jüdisch-israelischen Geschichte vertraut machen.
Gisela Dachs (Hrsg.)
Jüdischer Almanach. Die Jeckes.
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag,
Frankfurt /M. 2005; 187 S., 14,80 Euro
Moshe Zimmermann/Yotam Hotam (Hrsg.)
Zweimal Heimat.
Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost.
Beerenverlag, Frankfurt/M. 2005; 381 S., 25,- Euro