Die "Dresdner Schule"als Gegenmodell zu Adorno und Marcuse
Es hört sich großartig an. Die "organisierte Intelligenz" einer "selbstbewussten deutschen Nation" werde der Bundesrepublik die Stirn bieten, heißt es im Gründungsmanifest der "Dresdner Schule". Diese organisierte Intelligenz werde es mit einer Bundesrepublik aufnehmen, die offenbar am intellekturellen Abgrund steht - zumindest nach Meinung des Autors. Ein "geistiges Deformationsprodukt" sei sie und erhebe "scheinhumanitäre Forderungen" nach Demokratisierung und Emanzipation. Die "organisierte Intelligenz", die da spricht, hat auch gleich die Quelle allen Übels ausgemacht: die legendäre Frankfurter Schule mit ihren Professoren Theodor Adorno und Herbert Marcuse. Diese Denkschule habe eine ganze Studentengeneration mit ihrem "Ideologiefraß" gefüttert und die Generation der 68er geschaffen - jene "charakterlich und geistig verlumpte Klasse, welche die Schaltstellen in Politik, Medien und Kulturbetrieb besetzt hat".
Das schreibt der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel in seiner Erklärung zum "Wesen und Wollen" der "Dresdner Schule" und seitdem erscheint manchem Rechtsextremen die geballte Intelligenz aus dem sächsischen Landtag als Pendant zu den ehrwürdigen Professoren aus Frankfurt. "Wer den politischen Kampf gegen die Volks- wie Staatszersetzende BRD-Nomenklatura aufnehmen will, muss die Frankfurter Schule als deren Ideengeberin erkennen und eine geistig-politische Gegenfront aufbauen", so Gansel. Schon sollen die morschen Knochen der Linken erzittern vor dem intellektuellen Feuer, das da in Dresden brennt. Allein - bisher glimmt es dort nur. Was unter dem schönen Namen "Dresdner Schule" läuft, ist bisher in erster Linie Wortgeklingel. Außer einem einwöchigen Europaseminar für gerade mal ein gutes Dutzend Abiturienten und Studenten im Mai 2005 ist kaum etwas passiert. "Eine Schaupackung ohne Inhalt" sei die "Dresdner Schule", befindet der Verfassungsschutz kühl. Es gebe bisher keine Seminare, keine Programme, keinen Dozentenstamm. Und Gründer Gansel selbst sagt, so richtig los gehe es erst im Frühjahr 2006. Dann wolle man an den Universitäten in Leipzig und Dresden Hochschulgruppen gründen, die der NPD nahe stehen und die der "Dresdner Schule" dann zugerechnet werden müssten. Noch sei es nicht so weit.
In Wirklichkeit, so scheint es, haben sich die Akademiker der NPD in Sachsen das Etikett "Dresdner Schule" aufgeklebt, um ihre bekannten Tiraden mit höherer Bedeutung zu verbrämen. Die NPD hat in Sachsen ihre Intelligenz zusammengezogen und das fällt allein schon deswegen auf, weil die kleine rechtsextremistische Partei nicht allzu viel davon hat. Der sächsische Landtag soll zum Gravitationszentrum der NPD werden, die Mitarbeiter sollen den Abgeordneten und der übrigen NPD das theoretische Rüstzeug liefern. "Wir sollen die Theoriefabrik der Fraktion sein", sagt Gansel. Mit dabei in der Fabrik: Historiker, Mathematiker, Politologen. Neben und mit Gansel arbeitet der aus München stammende Historiker Karl Richter, dessen Aufsehen erregendste Tat bisher war, als Komparse im Hitler-Film "Der Untergang" mitzuspielen - in der Uniform des Adjutanten von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel. Richter fungiert im wahren Leben als Angestellter der NPD-Fraktion und Chef von deren parlamentarischen Beratergremium. Ebenfalls in diesem Beratergremium arbeitet Arne Schimmer, Diplom-Ökonom und Peer Lennart Aae, ein in Schweden geborener Mathematiker. Am umtriebigsten ist der Parlamentarische Geschäftsführer der NPD im Landtag, Peter Marx, der bereits als Chef der Saar-NPD auftrat wie auch als Spitzenkandidat für die Leipziger Oberbürgermeister-Wahl. Als Bindeglied zur NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" gilt der Journalist Andreas Molau.
Diese Männer empfinden sich als "Nervenzentrum der Partei", schreibt die Politikwissenschaftlerin Franziska Brech in ihrer Studie "Ein halbes Jahr NPD im sächsischen Landtag", die die Konrad-Adenauer-Stiftung im Sommer 2005 herausgegeben hat. Brech hat die NPD täglich vor Augen - sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag. Liest man die Inhalte der "Dresdner Schule", dann erkennt man schnell, dass hinter dem hohen Anspruch die alte Haltung der NPD steckt. So betrachtet die Schule etwa die weltweit angenommenen grundsätzlichen Menschenrechte als Lüge. Es gebe keine objektiven Menschenrechte, sie seien nur ein ideologisches Konstrukt der Französischen Revolution. Ganz dem Weltbild der NPD folgend ist die "Dresdner Schule" auch gegen die "multikulturelle Gesellschaft". Diese sei gescheitert und historisch überholt. "Ethnisch homogene Gesellschaftskörper mit relativ geringem Ausländeranteil" würden sich als "krisenresistenter" erweisen, schreibt Richter.
An Sachsen, so hat Richter im Parteiorgan "Deutsche Stimme" geschrieben, werde man sich "einmal als der Keimzelle der nationalen Erneuerung erinnern". Hier würden die "Instrumente, Kader und Strukturen künftiger Siege geschmiedet". Den Herren der "Dresdner Schule" geht es nicht um Philosophenkönige wie Adorno und Marcuse. "Wir wollen anwendungsorientierte Wissenschaft", sagt Gansel. Nicht Vergangenheitsaufarbeitung von Rechts, sondern den "freien Blick" auf die Gegenwartsprobleme. Intellektuelle rechte Größen wie der frühere Rechtsanwalt Horst Mahler kommen dabei nicht mehr vor. Bei diesen Herren wehe "doch immer nur der Weltgeist von der einen Ecke des Raumes in die andere", belustigt sich Gansel.
Schon hat die NPD ein Bildungswerk für Heimat und nationale Identität gegründet, mit dem sie in erster Linie staatliche Mittel abschöpfen will, die die Parteien für ihre parteinahen Stiftungen bekommen. Hausaufgabenhilfe und Schülerzeitungsseminare soll das Bildungswerk anbieten, sagt Karl Richter. Hausaufgabenhilfe im Schatten der "Dresdner Schule" - selten wurde so deutlich, wie groß der Abstand zwischen Basis und Überbau ist.
Die Autorin ist Redakteurin in der Parlamentsredaktion der
"Süddeutschen Zeitung" in Berlin.