Stichwort
Dass der Papa den Weg so mir nichts, dir nichts frei macht, steht nicht zu erwarten. Und selbst wenn - wie eine reife Frucht würde der rechtsextreme Front National (FN) Marine Le Pen nicht einfach in den Schoß fallen. Jean-Marie Le Pens jüngste Tochter, die der Herr Papa vor zwei Jahren ziemlich autoritär auf den Posten einer Vize-Parteichefin durchgeboxt hatte, hat im eigenen Laden reichlich Gegner. Vor allem die alten Kader um die offizielle Nummer Zwei im FN, Bruno Gollnisch, beobachten argwöhnisch jeden Schritt der heute 37-Jährigen. Beide bringen sich längst in Stellung für die Nachfolge des Parteiführers und belauern sich gegenseitig. "Er ist noch für viele Überraschungen gut", singt Marine, die Warten gelernt hat, derweil das hohe Lied auf den Vater. Was bleibt ihr auch anderes übrig? 2007 will Jean-Marie Le Pen den Präsidentschaftswahlkampf des Front National ein weiteres Mal als Spitzenkandidat mit dann fast 79 Jahren anführen. Niemand im eigenen Club, der es wagen würde, ihm das streitig zu machen.
Marine, die der Partei dank blonder Haarfarbe und rhetorischen Geschicks hohe mediale Aufmerksamkeit garantiert, weiß der Papa als treuen Alliierten dabei wieder hinter sich - aus Verärgerung über eine seiner üblichen Ausfälle während des letzten Europa-Wahlkampfs, aber auch aus wohlüberlegter Taktik hatte sie sich zuvor monatelang in den Schmollwinkel verzogen. Die ewigen Provokationen des Vaters, an die sich Frankreich zähneknirschend gewöhnt hat, konterkarieren ihre eigene Strategie, den FN zu zähmen, zu entdiabolisieren und damit auch für bürgerliche Kreise attraktiver erscheinen zu lassen. Der Papa freilich, Frankreichs Polterer vom Dienst seit einem halben Jahrhundert, verfügt über die Gabe, mit wenigen dumpfen Sätzen ein mühsam gezimmertes Image wieder zu zertrümmern. Marine, Überzeugungstäterin wie Le Pen, will die Partei dagegen auf modern schminken. "Ich verachte jene Leute in Militärklamotten und mit kleinem Gehirn", meinte sie mit Blick auf den "Fascho-Block" im FN.
Von ihrer Mutter sagte sich Marine 1986, gemeinsam mit den beiden älteren Schwestern, nach der Trennung der Eltern, offiziell los. Mutter Pierrette hatte gegen die ungeschriebenen Gesetze des Familienclans verstoßen, den niemand ungestraft verlässt. Marine, die später Jura studierte und zeitweilig zugelassene Rechtsanwältin in Paris wurde, war damals 17. Auch Marie-Caroline, die älteste Schwester, traf der Bannfluch, als sie mit ihrem Ehemann Philippe Olivier 1998 zu dem "Deserteur und Verräter" Bruno Mégret überlief, der den FN gespalten hatte. Le Pen schickte seiner bis dato Lieblingstochter daraufhin ätzende Kommentare nach. Daheim bei den Le Pens im 15. Pariser Arrondissement in einem eher kleinbürgerlichen Ambiente gingen rechtsextreme Anwälte und zu kurz Gekommene, aber auch der Ex-Offizier der Waffen-SS, Leon Gaultier, ein und aus. "Marine ist wie Obelix. Sie ist in die Politik gefallen, als sie ganz klein war", erzählt der Vater stolz. Heute ist die dreifache Mutter aus einer ersten Ehe mit dem hohen FN-Kader Eric Iorio verheiratet. Der katholische Fundi-Flügel im FN nimmt ihr ihre Scheidung, die erneute Heirat, aber auch ihre moderate Haltung in der Abtreibungsfrage übel. Bei den Wählern aber kommt ihre rhetorisch geschickte Art, xenophobe Ressentiments in wohlklingende Sätze zu verpacken, durchaus an. Sechs Jahre saß sie im Regionalrat eines wirtschaftlich gebeutelten nordfranzösischen Departements, ehe sie 2004 den Sprung in das Europäische Parlament schaffte. Als Präsidentin steht sie heute dem FN in der symbolisch wichtigen Hauptstadtregion Ile de France vor.
Ihren Ehrgeiz weiß sie nach außen gut zu kaschieren. Sie agiert als die gute Tochter, die sich treu in den Dienst des Vaters stellt, auch wenn sie ihre spitze Zunge mit Blick auf das väterliche Fossil manches Mal nur mühsam unterdrücken kann. Mit Gollnisch, vor allem für die alte Garde im FN der legitime Dauphin des Alten, vermeidet sie die offene Konfrontation. Im Streit ums Erbe spielen beide über Bande, beharken sich schon jetzt in Sachen Strategie für 2007, ringen um Einfluss.
Dass es allein nicht reicht, Vaters ehrgeizige Tochter zu sein, um an die Spitze zu kommen, zeigte sich vor gut zwei Jahren. Der Groll gegen "monegassische Verhältnisse" an der Spitze einer Partei der neidischen Gemüter veranlasste die Delegierten des FN-Parteitags im April 2003 in Nizza dazu, Marine einen Dämpfer zu verpassen: Bei der Wahl des 100-köpfigen Zentralkomitees, angeblich das Parlament der Partei, hatten die Delegierten Tochter Marine immer weiter nach hinten bis auf Platz 34 durchgereicht. Ein Warnschuss war das, bei dem Gollnisch-Getreue wohl Regie führten. Le Pen, ganz autoritärer Parteiführer, hatte für die Palastrevolution indes nur Hohn und Spott übrig. "Dass Marine so viele Feinde hat, gereicht ihr zur Ehre", höhnte der Vater. Marine sprach verächtlich von "Zuckungen einiger Apparatschiks".
Doch trotz aller Gegenwehr hat Marine Le Pen wohl die besseren Trümpfe in der Hand: Gerade erst hat Le Pen seinen langjährigen Generalsekretär der Partei gefeuert - Nachfolger ist ein enger Vertrauter Marines aus ihrem Club der Jungkader, der so genannten "Générations Le Pen".