Der Rechtsextremismus ist auch eine Herausforderung für die Kirche
Wolfgang Huber, evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat es vor gut einem Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg auf den Punkt gebracht: "Die Wahl einer rechtsextremen Partei ist unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild", sagte er angesichts der Umfragen, die den Einzug der DVU in den Potsdamer und den der NPD in den Dresdner Landtag vorhersagten. Er dürfte damit die Einschätzung aller wichtigen evangelischen und katholischen Würdenträger in Deutschland wiedergegeben haben, sein Appell jedoch war erfolglos und erfolgreich zugleich: Erfolgreich, weil tatsächlich kaum ein Christ die Rechtsextremisten wählte, erfolglos, weil es in Sachsen und Brandenburg zu wenig Christen gab, als dass sie den Einzug von NPD und DVU in die Parlamente hätten verhindern können.
Obwohl sich die Botschaft Jesu unterschiedslos an alle Menschen wendet, haben die Kirchen letztlich erst durch die bittere Erfahrung des Nationalsozialismus gelernt, dass es eine Sünde ist, eine Rasse über die andere zu stellen, Fremde zu verachten, Menschen wegen ihrer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu diskriminieren. Die Lehre hat aber Früchte getragen: Alle Christenversammlungen, vom Ökumenischen Rat der Kirchen 1948 über das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) bis hin zu den Versammlungen des "Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" in den 80er- und 90er-Jahren haben eindeutig erklärt, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus so wenig Platz in den christlichen Gemeinschaften haben dürfen wie faschistische Staats- und Gesellschaftsmodelle.
Antidemokratische Ressentiments sowie ausländerfeindliche oder antisemitische Stereotype finden sich nur noch an den Rändern der Kirchen. Das rechtskonservative "Studienzentrum Weikersehim" zum Beispiel veranstaltet schon mal eine Tagung zum Irak-Krieg gemeinsam mit diversen rechtsextremen Gruppen; Konrad Löw, emeritierter Politikprofessor im Kuratorium des "Forums deutscher Katholiken", erklärt, dass die katholische Kirche eines Schuldgeständnisses gegenüber den Juden nicht bedürfe und argumentiert in der Grauzone zwischen Geschichtsklitterung und antisemitischem Stereotyp. Man kann beklagen und kritisieren, dass die Kirchen sich hier nicht schärfer distanzieren, doch solche Auffassungen lehnen auch die meisten konservativen Katholiken und Protestanten ab.
Und so sind die Kirchen häufig dabei, wenn es größere Demonstrationen gegen Aufmärsche oder Auftritte von Rechtsextremisten gibt, zum Beispiel in Passau, wo sich die DVU lange in der Nibelungenhalle traf, oder in Wunsiedel, wo sich jedes Jahr die Fans des dort begrabenen einstigen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß treffen. In München haben die evangelische und die katholische Kirche im Juli ein "Bayerisches Bündnis für Toleranz" zusammengetrommelt, das, - nach einem kleinen Drängeln der jüdischen Gemeinde der Stadt -, gegen die "zunehmende Tendenz zu Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus" aktiv werden will, mit Projekttagen in Schulen, Aktionen in Unternehmen oder zur Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr. Ähnliche Initiativen gibt es an vielen Orten, und die Kirchen haben hier eine wichtige Rolle: Zum einen vermitteln sie auch in eher konservativ-bürgerliche Kreise hinein, dass Rechtsextremismus nicht tolerabel ist, zum anderen verhindern sie, dass die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut von Neonazis und Ausländerfeinden eine Angelegenheit linker bis sehr linker Gruppen und Grüppchen bleibt und in deren letztlich wirkungsloser Formelsprache geführt wird.
Rechtsextreme Gruppen und Parteien haben in den vergangenen Jahren vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen erfolgreich geworben; in den Ost-Ländern ist mittlerweile eine rechte Jugendkultur entstanden, der sich auch die "Normalos" nur schwer entziehen können. Für die traditionelle kirchliche Jugendarbeit ist dies eine Herausforderung: Jugendliche, die in die rechte Szene abgleiten, sind in der Regel zuvor nicht in den kirchlichen Jugendgruppen aufgetaucht. In den 90er-Jahren hat es auch in der kirchlichen Jugendarbeit Versuche gegeben, über die so genannte "akzeptierende Jugendarbeit" Jugendliche aus der rechten Szene anzusprechen, ihnen einen Raum zu geben, wo sie respektiert werden, aber auch Regeln respektieren müssen, und sie so zurück in die Mitte der Gesellschaft zu holen.
Mittlerweile gilt dieser Versuch als weitgehend gescheitert, da die teuer eingerichteten Jugendzentren zu Treffpunkten der Neonazis wurden, ohne dass sich deren Haltungen und Einstellungen änderten - hatte doch die rechtsextreme Gesinnung ihnen zu einem Jugendclub verholfen. Mittlerweile hat sich bei Sozialarbeitern und Jugendpfarrern die Auffassung durchgesetzt, dass es sinnvoller ist, jene Jugendarbeit zu stärken, die sich bewusst für ein Miteinander von Deutschen und Ausländern einsetzt, die Toleranz, alltägliche Demokratie und Zivilcourage vermitteln will, wie Florian Dallmann von der Arbeitgemeinschaft evangelischer Jugendverbände erklärt. So bietet Diakon Ralf Eric Posselt vom Amt für Jugendarbeit der evangelischen Kirche in Westfalen ein Anti-Gewalt-Training an, dessen Ziel es ist, "Kinder, Jugendliche und Erwachsene so zu stärken, dass sie auf Gewalt nicht zurückgreifen brauchen und sogar die Gewalt anderer vermindern können". Die katholische Landjugendbewegung Bayern versucht, ihre Jugendgruppen für das Thema Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen auf dem Land zu sensibilisieren; zahlreiche christliche Gemeinschaften suchen bewusst den Kontakt zu Migranten und Flüchtlingen - wenn der Fremde ein Gesicht hat, ist meistens kein Platz mehr für Fremdenfeindlichkeit, egal, wie viele Probleme es im Einzelnen geben mag.
Inhaltlich ist diese Arbeit von den Kirchenleitungen weitgehend akzeptiert. Manchmal gibt es Probleme, zum Beispiel im Umgang mit der evangelischen Jungen Gemeinde Jena, die sich nach Ansicht mancher Kirchenmitglieder zu sehr für die meist linksautonom auftretenden Straßenkinder der Stadt engagiert. Doch auch dort steht die Landeskirchenleitung zu der Arbeit des Jugendpfarrers Lothar König.
Bedroht werden solche Projekte allerdings zunehmend durch die Finanznot der Kirchen und Kommunen - in Zeiten des Sparzwangs werden sie oft als zwar wünschenswert, aber letztlich nicht notwendig angesehen. Zumal schwer zu belegen ist, wie sehr sie tatsächlich antidemokratische Einstellungen verringern - Zivilcourage lässt sich nun einmal nicht abstrakt messen.
Der Autor arbeitet als Redakteur bei der "Süddeutschen
Zeitung" in München.