Stichwort
Wie soll man aus einer Szene herauskommen, für die ein Ausstieg gleichbedeutend ist mit Verrat? In der Abweichler unter Druck gesetzt und manchmal sogar mit dem Leben bedroht werden? Wie soll es aussehen, das Leben jenseits der Wehrsportgruppen, Nazi-Aufmärsche und Skinhead-Konzerte, ohne die alten Kameraden und Feindbilder?
Fragen, mit denen rechtsextreme Aussteiger bis zum Sommer 2000 ziemlich allein waren. Dann erst starteten der Ex-Kriminaloberrat Bernd Wagner und der frühere Neonazi Ingo Hasselbarth in Berlin das erste Programm, das Aussteiger intensiv betreut, berät und, wenn nötig, auch vor Racheaktionen schützt: Die Initiative "EXIT-Deutschland".
Mittlerweile ist sie Bestandteil des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK) und wird von der stern-Kampagne "Mut gegen rechte Gewalt" unterstützt. Als Anlaufstelle für alle, die neue Perspektiven außerhalb der rechtsextremen Szene suchen, aber auch für Angehörige, die Hilfe brauchen, arbeitet EXIT seit nunmehr fünf Jahren erfolgreich. Bislang hat die Ini-tiative über 250 Aussteiger betreut.
Mittlerweile steht sie nicht mehr alleine da: Im April 2001 rief auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Aussteigerprogramm ins Leben, wo sich, ähnlich wie bei EXIT, Ausstiegswillige über eine Telefonhotline rund um die Uhr an geschulte Mitarbeiter wenden und konkrete Hilfsangebote in Anspruch nehmen können. Nach Angaben des Bundesamtes haben sich dort bis Juni 2005 schon über 930 Anrufer gemeldet, rund hundert von ihnen wurden oder werden noch immer intensiv betreut. Darüber hinaus haben mehrere Bundesländer inzwischen eigene Initiativen gegründet.
Ingesamt eine positive Entwicklung - und doch gibt es Anlass zur Sorge: "Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist ein bisschen von der Agenda verschwunden", bedauert EXIT-Mitarbeiter Matthias Adrian, der selbst mit Hilfe des Programmes 2001 aus der Szene herausgefunden hat. "In den letzten Jahren sind uns systematisch die Mittel gestrichen worden." Psychologen und Sozialarbeiter kann sich EXIT nun nicht mehr leisten, auch Matthias Adrian arbeitet lediglich auf einer Zwei-Drittel-Stelle. Hin und wieder hilft ihm und Bernd Wagner ein Praktikant. Für Adrian unverständlich: "Ich denke da immer, um Gotteswillen, mit dem Rechtsextremismus hört es doch nicht auf - es wird ja eigentlich immer schlimmer im Osten!"