Europäischer Zuckermarkt
Noch bevor die Handelsminister der Welthandelsorganisation WTO Mitte Dezember nach Hongkong aufbrechen, will die EU ihren Zu-ckermarkt reformieren. Das Schiedsgericht der WTO hatte Anfang des Jahres festgestellt, dass die Europäer 1,3 Millionen Tonnen subventionierten Zucker mehr auf dem Weltmarkt absetzen als ihnen nach den Regeln des Welthandels erlaubt ist. Eine Reform der Zuckermarktordnung würde die Verhandlungsposition verbessern. Denn die europäischen Unterhändler wollen den anderen WTO-Mitgliedern Zugeständnisse für eine umfassende Liberalisierung des Welthandels abringen.
Die EU-Agrarminister wollen deswegen in dieser Woche versuchen, sich über die Grundsätze einer Zuckermarktordnung zu verständigen, die den WTO-Regeln entspricht. Ein Vorschlag der Kommission liegt seit Mitte des Jahres auf dem Tisch des Ministerrates. Danach soll der Zuckerpreis vom nächsten Jahr an schrittweise um 39 Prozent gesenkt werden. In Brüssel geht man davon aus, dass die Produktion in den 25 EU-Mitgliedsstaaten dadurch in den nächsten Jahren um rund ein Drittel auf zwölf Millionen Tonnen zurückgeht. Um den Rübenbauern die Anpassung an das neue Zuckerregime zu erleichtern, sollen ihre Einkommensverluste zu 60 Prozent ausgeglichen werden. Wer freiwillig ganz aus der Zuckerproduktion aussteigt, erhält im ersten Jahr eine Prämie von 730 Euro je Tonne.
Die Kommission will mit diesem Vorschlag die Zuckerproduktion dort erhalten, wo sie am kostengünstigsten ist. Im Süden und Norden der EU setzt sie darauf, dass die Bauern die Ausstiegsprämie in Anspruch nehmen und in Zukunft etwas anderes anbauen. Im Zentrum der Union würden die Landwirte feste Einkommenszuschüsse erhalten, unabhängig davon, wie viel sie produzieren.
In den einzelnen Mitgliedsstaaten würde sich die Reform unterschiedlich auswirken. Griechen, Italiener, Iren und Portugiesen müssten den Anbau von Zu-ckerrüben weitgehend, Osteuropäer und Skandinavier teilweise einstellen. Im Zentrum der Union, in Deutschland, Frankreich, Polen, den Beneluxstaaten und England würden die Bauern zwar weiter Zucker-rüben anbauen, daran aber weniger verdienen. Im Gegensatz zu den Ländern im Süden und Osten der Union, wo der Produktionsrückgang auch die Arbeitsplätze in der Zuckerverarbeitung bedroht, ist die Verarbeitung in Deutschland oder Frankreich aber nicht gefährdet.
Entsprechend verlaufen die Fronten im Ministerrat. Den Ost- und Südeuropäern geht die Preissenkung um 39 Prozent zu weit, anderen nicht weit genug. Elf Länder sind bislang gegen den Vorschlag der Kommission. Sie verlangen, dass die Preise weniger gekürzt werden. Länder wie Polen, Spanien oder Italien bestehen darauf, dass die Reform "an dem Ziel festhalten muss, in allen Mitgliedsstaaten eine lebensfähige Zu-ckerproduktion zu erhalten".
Würde man das zu erreichen versuchen, könnte die EU ihre Verpflichtungen gegenüber den Entwicklungsländern nicht einhalten. Im Wort steht die Union gegenüber den AKP-Staaten (die armen Länder in Afrika, der Karibik und im Pazifik), Indien und rund 50 Ländern mit besonders niedrigem Einkommen (LDC). Die AKP-Staaten und Indien dürfen nach den bestehenden Vereinbarungen jedes Jahr 1,3 Millionen Tonnen Zucker zu den gleichen Preisen verkaufen wie die Erzeuger in der EU. Die LDC-Staaten sollen ihren Zucker ab 2009 zollfrei in die Union einführen dürfen. Blieben die Preise so hoch wie bisher, würde der europäische Markt mit Zucker überschwemmt.
Um ihre Verluste durch die Preissenkung in der EU auszugleichen, will die Kommission im nächsten Jahr 40 Millionen Euro für die AKP-Länder bereitstellen. Damit soll denen geholfen werden, für die sich der Zuckeranbau in Zukunft nicht mehr lohnt. Die AKP-Staaten und die Entwicklungshilfeorganisationen halten das für unzureichend. Allein Mauritius, das 40 Prozent des AKP-Zuckers in die EU liefert, rechnet mit Umstellungskosten von 400 Millionen Euro. Gegenüber den EU-Bauern, für die Ausgleichszahlungen von 6 Milliarden Euro bereitgestellt werden, fühlen sich die Entwicklungsländer benachteiligt.