Eine Ölpipeline soll für Aserbaidschan und Georgien den Wohlstand bringen
Dort in der Hauptstadt konzentrieren sich die Erwartungen der Menschen an die neue Regierung, die mit der Brechstange den Anschluss an die Moderne schaffen will. Der jugendliche Präsident, Michael Saakaschwili, hat dafür beste Voraussetzungen. Er ist 38 Jahre alt, liebt die USA, und die Amerikaner lieben ihn. Nur für Israel gibt es derzeit pro Kopf noch mehr Entwicklungshilfe aus Washington. Die junge Liebe hat indess nichts mit dem Einfluss der georgischen Einwanderer in den Vereinigten Staaten zu tun, nichts mit den gewaltigen Naturschönheiten der Kaukasusrepublik oder den ehernen Klöstern, die stolz von einer bald 1.700-jährigen christlichen Tradition zeugen, und auch nur wenig mit dem jugendlichen Charme Saakaschwilis, der im In- und Ausland als sprunghaft gilt. Die Liebe hat - wie im echten Leben - profanere Gründe: Es geht ums Öl, um die Sicherheit der Pipeline von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Seit Mai dieses Jahres strömt das schwarze Gold aus dem Kaspischen Meer in die westliche Welt. Besonders aus Sicht der USA ist dies ein wichtiger Schritt in Richtung Unabhängigkeit von Ölfeldern im politisch explosiven arabischen und iranischen Raum.
Entlang der Saburtalo Straße in Tiflis rotten Fabrikgebäude vor sich hin. Die dahinterliegenden Hochhäuser sind eine georgische Mischung aus gesplittertem Sichtbeton, unverputzten roten Backsteinen und Holzlatten. An rostigen Eisenstangen trocknet allenthalben zerschlissene Wäsche, die meisten Balkone werden das nächste Erdbeben in der Region nicht überleben und samt des auf ihnen lagernden Elektroschrotts zu Boden donnern.
Auch das Gebäude mit der Hausnummer 38 ist schlicht. Nur ein kleines, fast verschämtes Firmenschild verrät, dass hier der größte ausländische Arbeitgeber Georgiens sitzt: BP - British Petrolium. Wer hier einen Vertrag unterzeichnet, hat das große Los gezogen und die berechtigte Hoffnung, menschenwürdiger zu leben als der Großteil der circa vier Millionen Einwohner Georgiens. Rund 4.500 Einheimischen ist das zur Hochzeit der Bauphase gelungen: Die BTC genannte Öl-Pipeline (Baku-Tiflis-Ceyhan) ist mit 1.760 Kilometern die längste, die BP je gebaut hat. Und auch die South Caucasus Pipeline (SCP), die Aserbaidschan, Georgien und die Türkei mit Erdgas aus dem Kaspischen Meer versorgt, brachte massive Investitionen in die von Korruption, Sezessionskriegen und politischen Krisen gebeutelte Kaukasusrepublik. Für die lokalen Mitarbeiter bedeutet eine Anstellung bei BP ein Monatsgehalt, dass mit durchschnittlich 400 Lari zehnmal höher ist als das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung. Dieses liegt bei umgerechnet 20 Euro. "Manche verdienen mit 1.200 Lari (gleich 600 Euro) sogar 30-mal mehr als ihre oft arbeitslosen Nachbarn", sagt Rusudan Medsmariaschwili, eine lokale Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit zufrieden. "Hinzu kommen die vielen Angebote zur Weiterbildung." Ein Viertel seiner weltweiten Ölförderung will BP langfristig aus dem Kaspischen Meer gewinnen. Es war also wichtig, bei dem Bau durch drei Länder- und Armutszonen keine verbrannte Erde zu hinterlassen. David Glendinning ist der Mann, der hier einen Ausgleich hinbekommen muss zwischen den Interessen seines Konzerns und den berechtigten Anliegen sowie Begehrlichkeiten der regionalen "Player". Der freundliche Brite leitet die Öffentlichkeitsarbeit. Er ist stolz auf das Erreichte. Dabei war der Bau von BTC und SCP mit rund vier Milliarden Dollar Investitionsvolumen nicht nur eine große finanzielle Herausforderung. Es galt auch, der Globalisierung ein verträgliches Gesicht zu geben, das von der lokalen Bevölkerung angenommen wird. Danach sah es zunächst nicht aus. Der Baulärm, der Dreck, vor allem aber die Landenteignungen führten in Georgien zu unerwartet großen Protesten. Auch Umweltschützer traten auf den Plan. Nicht alle Protes-te seien unberechtigt gewesen, räumt der Mittvierziger ein. Die Rechnung für das strategische Einfühlungsvermögen kann sich sehen lassen: 20 Millionen Dollar Ausgleichszahlungen, zwölf Monate Bauverzögerung sowie 4.000 eingereichte Beschwerden. Weder in der Türkei, durch die der längste Bauabschnitt läuft, noch in Aserbaidschan gab es derartige Probleme. "Ein gewisses Maß an Opportunismus" seitens der Georgier sei dabei gewesen, sagt Glendinning mit vornehmer Zurückhaltung. Denn er weiß: Wer langfristig global agieren will, muss die Rechnung mit dem Wirt machen. Deswegen zahlt BP nicht nur Ausgleichsgelder, sondern investiert auch in zahlreiche Community-Projekte.
Westliche Geschäftsleute sind weniger zurückhaltend mit ihrem Urteil. Von mangelnder Eigenverantwortung und Rechtssicherheit für Investoren und immer noch allgegenwärtiger Korruption ist die Rede. Die lange Fremdherrschaft hat Spuren in den Menschen hinterlassen - wie sollte es anders sein. Ein Rätsel bleibt, wie man mit einem Durchschnittseinkommen von rund 20 Euro, steigenden Preisen und hoher Arbeitslosigkeit seine Familie ehrlich durchbringen soll.
Die Landstraße von Georgien ins benachbarte Armenien ist eine Ansammlung von Schlaglöchern - auf der georgischen Seite. Denn wer den Grenzübergang passiert hat, wähnt sich plötzlich in der Schweiz. Der armerikanisch-armenische Multimilliardär Kirk Kirkorian machte es möglich. Er sanierte mit eigenem Geld in den vergangenen Jahren einen Großteil des armenischen Straßennetzes. Besonders auf touristischen Routen wie dieser, die durch eine bewaldete Bergwelt am malerischen Sevan-See vorbei nach Jerewan führt, hat man sich Mühe gegeben.
"Willkommen im Westen" heißt die stille Botschaft an Georgien. Es ist wie bei der Geschichte vom Hasen und vom Igel: "Ihr versucht mit amerikanischer Hilfe Anschluss an den Westen zu finden, wir sind schon dort." Im Gegensatz zum ärmlichen Tiflis sieht es in Jerewan viel eher so aus, als würden westliche Industriestaaten investieren. Die Hauptstadt pulsiert wie die Hauptschlagader des kleinen Landes. Der Einzelhandel scheint zu blühen, die Cafés und Restaurants sind voll Menschen. Doch nicht der Westen investiert in das wirtschaftlich am Boden liegende Land, dessen Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan seit dem Krieg um Karabach geschlossen sind. Es ist die Dias-pora der Armenier, die jährlich 300 bis 400 Millionen Dollar ins Land pumpt. Ein Heimatland am Tropf, das viele der jungen Leute auf der Suche nach besseren Chancen verlassen. Wer bleibt, hat entweder noch kein Ausreisevisum oder einen Job - so wie die rund 200 Mitarbeiter der deutschen Bertelsmann-Tochter Lycos, einem global agierenden Internet-Anbieter.
Auch die 26-jährige Lia Avetisyan hat hier eine Stelle gefunden. Sie leitet ein Team von System-Administratoren, die von Jerewan aus rund um die Uhr die über 1.000 Rechner in Stockholm überwachen. Wenn dort ein Fehler auftaucht, kann sich Christoph Mohn in Gütersloh auf seine hochmotivierte Computerexperten im Kaukasus verlassen. Der dynamische Unternehmer hat sich aus Kostengründen für Jerewan entschieden und mit der Verlagerung technischer Unternehmensbereiche von Westeuropa nach Armenien 30 Millionen Euro eingespart. Dort liegt der Vollkostensatz pro Entwicklungsstunde bei zehn Euro, in Deutschland dagegen bei 40 Euro. "Die kulturellen Unterschiede sind nicht größer als zwischen Deutschland und Schweden", sagt Heiko Holzheuer, der deutsche Manager der armenischen Außenstelle, zufrieden. Aber die betriebswirtschaftliche Rechnung funktioniert nur, solange die Gehälter niedrig bleiben. "Ab 20 Euro gehe ich zurück nach Deutschland", sagt er trocken.
Huberta von Voss ist die Herausgeberin des Bandes "Porträt
einer Hoffnung: Die Armenier", Schiler Verlag, und lebt in
Berlin.