Der Kampf gegen Steuerflucht ist eine Frage des politischen Willens
Für die öffentlichen Kassen (nicht nur in der Bundesrepublik) stellt die Globalisierung eine gewaltige Herausforderung dar. Denn die Liberalisierung der globalen Finanzmärkte und die Aktivitäten transnationaler Unternehmen untergraben zunehmend die nationalen Steuersysteme.
Die Mechanismen sind dabei vielfältig: So nutzen immer mehr Privatanleger Steueroasen, um ihr Kapital zu verwalten. Allein in der Schweiz, in Liechtenstein und in Luxemburg liegen nach Schätzungen des Bundesfinanzministeriums 450 bis 550 Milliarden Euro an deutschem Sparkapital; dadurch entgehen dem Fiskus rund 14 Milliarden Euro im Jahr. Transnationale Unternehmen verschieben ihre Gewinne durch interne Verrechnungen regelmäßig dahin, wo die geringsten Steuern anfallen.
Außerdem leisten sich die verschiedenen Staaten einen immer schärferen Wettbewerb im Bereich der Unternehmensbesteuerung: So sind die Körperschaftssteuersätze in der OECD zwischen 1997 und 2004 von durchschnittlich 37 Prozent auf unter 30 Prozent gefallen; die Bundesregierung wird diesen Wettlauf mit der geplanten Senkung der Körperschaftsteuer weiter anheizen. Und neben diesem "regulären" Steuerwettbewerb existiert auch ein scharfer "unfairer" Steuerwettbewerb, bei dem ausländisches Kapital besser gestellt wird als inländisches - allein die EU fand zwischen den Mitgliedsländern 66 derartige Regelungen.
Die Gegenmaßnahmen, die OECD und EU bisher beschlossen haben, geben wenig Anlass zur Hoffnung. Die Regeln gegen private Steuerflucht - etwa die EU-Zinsrichtlinie - sind löchrig wie ein Schweizer Käse; daher haben die Umsätze in den klassischen Steueroasen auch nicht nachgelassen, wie Experten des Tax Justice Network berichten. Beim unfairen Steuerwettbewerb wurden so lange Übergangsfristen für die wichtigsten Sünderländer eingeräumt, dass noch keine belastbaren Erfahrungen vorliegen.
Doch ein wirksamer Kampf gegen Steuerflucht und Steuerwettbewerb ist dringend notwendig, denn diese Praktiken haben tiefgreifende soziale und ökonomische Konsequenzen. Kleine und mittlere Unternehmen werden im Wettbewerb mit transnationalen Unternehmen benachteiligt. Den Industrie- und den Entwicklungsländern gehen öffentliche Einnahmen verloren, die entweder zu Ausgabenkürzungen führen oder durch andere Steuern kompensiert werden müssen, die zumeist eher kleine und mittlere Einkommen treffen. Mit transnationalen Unternehmen und Personen mit Einnahmen aus Kapitalvermögen entziehen sich gerade die wirtschaftlich Leistungsfähigsten der Besteuerung, und darunter leidet die Akzeptanz aller öffentlich finanzierten Aktivitäten. Ein gerechtes Steuersystem ist die Legitimationsbasis für den demokratischen Rechts- und Sozialstaat.
Wenn Steuerflucht wirksam unterbunden werden soll, kann nicht gewartet werden, bis die letzte Steueroase bereit ist, ihre ungerechten Privilegien aufzugeben. Stattdessen sollten die Länder, die dem internationalen Steuerdumping nicht länger tatenlos zusehen wollen, sich zusammentun und multiilaterale Maßnahmen ergreifen: Erfolg versprechende Ansätze gibt es genug: Von der Pflicht für Unternehmen, ihre Tochterfirmen und die in einzelnen Ländern gezahlten Steuern zu veröffentlichen, über die Aufhebung des steuerlichen Bankgeheimnisses und die Nutzung vorhandener Daten aus dem internationalen Zahlungsverkehr bis zur Festlegung gemeinsamer Berechnungsgrundlagen und Steuersätze im Rahmen einer internationalen Konvention. Der Kampf gegen Steuerflucht ist allein eine Frage des politischen Willens.
Parallel zu den neuen Möglichkeiten, Steuern zu hinterziehen und zu vermeiden, eröffnet die Globalisierung völlig neuartige Wege, Gewinne zu machen. Die liberalisierten und deregulierten Finanzmärkte bieten in Kombination mit schneller, digitaler Kommunikation die Voraussetzung dafür, dass pro Börsentag 1,9 Billionen US-Dollar von einem großen Finanzplatz zum nächsten jagen. Der größte Teil dieser Summe dient nicht realen Geschäften oder deren Absicherung, sondern ist spekulativ und kommt dadurch zustande, dass selbst geringste Schwankungen von Kurs- oder Zinsdifferenzen von einem hundertstel Prozent Profite in Millionenhöhe ermöglichen, wenn man große Finanzmassen einsetzt.
Wenn es aber möglich ist, auf diese neue Art international Gewinn zu machen, dann ist es nur logisch, auch Steuern international zu erheben. Die Einnahmen können an die Verlierer der Globalisierung umverteilt werden, etwa zur Armutsbekämpfung. In der UNO gibt es eine intensive Diskussion dazu, Belgien hat bereits ein Gesetz zur Besteuerung von Devisentransaktionen verabschiedet. Am Rande des jüngsten UN-Gipfels in New York haben unter anderem Frankreich, Brasilien und Deutschland eine Abgabe auf Flugtickets vereinbart; die Einnahmen sollen vor allem den Entwicklungsländern und der Bekämpfung von AIDS zugute kommen.
Steuern bringen aber nicht nur Geld, sondern haben einen weiteren Vorteil: ihre Lenkungswirkung. So wie die Alkohol- und Tabaksteuern eine gesundheitspolitische Wirkung erzielen sollen, könnten auch internationale Steuern prohibitiv wirken und helfen, Probleme zu vermeiden.
Bei den globalen Devisenströmen würde eine Umsatzsteuer (bekannt als Tobin-Steuer) von nur 0,01 Prozent bei den beschriebenen riesigen Umsätzen nicht nur viel Geld bringen; zudem würde ein Teil der spekulativen Geschäfte unrentabel werden und so von vornherein unterbleiben. Durch ein mehrstufiges Verfahren mit steigenden Steuersätzen bei steigender Volatilität, wie es der deutsche Ökonom Professor Bernd Paul Spahn entwickelt hat, würde die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte weiter reduziert, wovon vor allem die Entwicklungsländer profitieren würden. Diese Steuer könnte problemlos von Europa als Vorreiter eingeführt werden. Dazu müsste ein eindeutiger politische Wille vorhanden sein.
Auch Steuern mit ökologischer Lenkungswirkung sind im Gespräch, beispielsweise auf Emissionen von Flugzeugen oder auf CO2. Interessant sind auch die Besteuerung des Bankgeheimnisses, von Finanztransfers mit Steueroasen oder des Sekundärhandels mit Aktien.
Im Kern geht es darum, die zentrale Aufgabe von Steuern auf die internationale Ebene zu übertragen: nämlich das Gemeinwesen - in diesem Fall das global village - zu finanzieren und die Gesellschaft durch die Lenkungswirkung von Steuern zu gestalten. Internationale Steuern können so eine zentrale Rolle dabei spielen, die Globalisierung zu regulieren.
Das Konzept internationaler Steuern ist neu. Und da es mächtige Interessen tangiert, gibt es noch erheblichen Widerstand, etwa von Seiten der USA. Auch muss man sich von der in den letzten Jahren verbreiteten Ideologie verabschieden, Steuern seien per se ein Übel. Kein modernes Gemeinwesen ist ohne Steuern lebensfähig. Entscheidend ist, dass sie gerecht erhoben und für gesellschaftlich nützliche Zwecke verwendet werden.
Internationale Steuern sind ein Kind der Globalisierung. Früher oder später werden sie sich durchsetzen. Eine gute Idee, sagte Schopenhauer einmal, durchläuft immer drei Phasen: In der ersten wird sie für idiotisch erklärt, in der zweiten auf das Heftigste bekämpft, in der dritten schließlich realisiert. Das Thema internationale Steuern befindet sich derzeit zwischen Phase zwei und drei.
Sven Giegold ist Sprecher der Arbeitsgruppe Steuern des
globalisierungskritischen Netzwerks Attac und Vorsitzender des
Steering Committee des "Tax Justice Network". Peter Wahl ist
Finanzmarktexperte im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis und
Mitarbeiter der Berliner NGO Weed (World Economy, Ecology and
Development).