SPD: Bürokratieabbau heißt nicht Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen
Berlin: (hib/VOM) Die SPD-Fraktion hat am Mittwochvormittag im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit davor gewarnt, unter dem Stichwort Bürokratieabbau ausschließlich das Thema Arbeitsrecht zu verstehen und damit den Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen zu meinen. Anlässlich einer Aussprache zu einem Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit über mögliche Experimentier- und Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen nahm die Fraktion damit Bezug auf Vorschläge des sächsischen Staatsministers Gillo, die an bereits bekannte Forderungen der Arbeitgeberseite und der Opposition anknüpften. Die Regierung hatte in dem Bericht die Vorschläge bereits abgelehnt, weil sie Arbeitnehmerrechte beschnitten, den Kündigungsschutz einschränkten, die zwingende Wirkung von Tarifverträgen aufhöben und die Tarifautonomie aushöhlten. Die Debatte um Experimentier- und Öffnungsklauseln geht auf Vorschläge von Altbundeskanzler Helmut Schmidt zurück, veröffentlicht in der Zeitung "Die Zeit", der gefordert hatte, den "Dschungel der Paragrafen" zu lichten. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hatte die Vorschläge aufgegriffen und dazu eine Verfassungsänderung angeregt, mit der einzelnen oder mehreren Ländern ermöglicht werden soll, mit Zustimmung des Bundesgesetzgebers für einen befristeten Zeitraum mit landesrechtlichen Regelungen vom Bundesrecht abzuweichen. Vor allem für die neuen Länder würde dadurch die Möglichkeit geschaffen, auf Landesebene gesetzliche Erleichterungen zu schaffen, um dem Aufbau Ost einen neuen Impuls zu geben.
Die Sozialdemokraten unterstützten das Anliegen des Ministers. Es könne aber nicht nur darum gehen, Vorschriften zu streichen, Innovationen müssten auch einen "inhaltlichen Schritt" nach vorne bedeuten. Falsch wäre es, "aus der Hüfte zu schießen". Vielmehr müsse geprüft werden, was rechtsstaatlich möglich ist. Die Kritik der Opposition hatte sich daran entzündet, dass im Regierungsbericht die Formulierung, es müsse noch geklärt und geprüft werden, zu oft auftauche. Die Union erklärte, sie wolle den Kündigungsschutz nicht abschaffen, sondern an die Praxis der Gerichte anpassen. Betriebliche Bündnisse müssten rechtlich auf einwandfreie Füße gestellt werden. Richtig wäre es nach Ansicht der Fraktion auch, zu einer Revitalisierung der Kommunalpolitik zu kommen. Die Kommunen sollten nicht bei jeder Entscheidung am Gängelband von Bezirksregierungen hängen. Eine große Hilfe wäre es bereits, wenn ein Vorgang künftig nur noch von einer Behörde geprüft würde, so die Abgeordneten. Wenn man in den 50er Jahren den heutigen Paragrafendschungel bereits gehabt hätte, befände man sich immer noch im Aufbau, lautete das Resümee der Union. Für Bündnis 90/Die Grünen muss klar sein, was man genau ausprobieren will, worin der Experimentiercharakter bestehen soll. Nach Auffassung der Liberalen hat der Minister mit seinem Vorschlag auch Begehrlichkeiten und Interessen der Wirtschaft geweckt. Wenn es darum gehe, Arbeitslosen wieder zu einer Perspektive zu verhelfen, müsse auch das Tarifrecht angesprochen werden. Die FDP rief die Regierung auf, den Ländern die Gelegenheit zum Experimentieren zu geben. Sie kündigte ihre Unterstützung für die Bildung von Modellregionen an.
Die Bundesregierung unterstrich, es könne nicht sein, dass Sachsen materiell-rechtliche Regelungen anders fassen wolle als andere Länder. Man komme bei einer Entbürokratisierung nicht weiter, wenn jede staatliche Ebene auf die andere zeige. Das Bürokratiedickicht befinde sich auf allen Ebenen, auch auf der kommunalen. Die Bundesregierung mache ihre Hausaufgaben mit ihrem angekündigten "Masterplan Bürokratieabbau", der auch "unbequeme Themen" wie den Kündigungsschutz beinhalte. Unterhalb einer Grundgesetzänderung müsse es möglich sein, Innovationsregionen zu bilden. Die Auswahl der Regionen könne die Bundesebene aber nicht vornehmen. Darüber wolle man die Kommission "Zukunft des Föderalismus" entscheiden lassen. Durch Öffnungsklauseln in Gesetzen hätten die Länder dann die Möglichkeit, davon Gebrauch zu machen.