Konferenz der Europaausschüsse - C O S A C
Zum "Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte", der am 17. Juni 1997 vom Europäischen Rat beschlossen und am 2. Oktober 1997 von den Außenministern der EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet worden ist, gehört das "Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union" (weiterhin: das Protokoll). Damit sind die Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union erstmals seit 1979 wieder auf die Vertragsebene gehoben. Damals war mit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments die förmliche und ausschließliche Entsendung eigener Mitglieder der nationalen Parlamente in das EP beendet worden. Im europäischen Beziehungsgeflecht hatten sie seither keinen vertraglich gesicherten Stellenwert mehr. Ihre Beteiligung an der EG-Politik war allenfalls noch eine nationale Aufgabe.
In den Erwägungsgründen des Protokolls wird nun zwar einerseits hervorgehoben, daß die Kontrolle der jeweiligen Regierung durch die einzelstaatlichen Parlamente hinsichtlich der Tätigkeiten der Union Sache der besonderen verfassungsrechtlichen Gestaltung und Praxis jedes Mitgliedstaates sei. Andererseits wird aber doch der Wunsch zum Ausdruck gebracht, eine stärkere Beteiligung der einzelstaatlichen Parlamente an den Tätigkeiten der EU zu fördern, wodurch ihnen bessere Möglichkeiten gegeben werden sollen, sich zu Fragen zu äußern, die für sie von besonderem Interesse sein können. Hieraus darf geschlossen werden, daß den nationalen Parlamente nun grundsätzlich auch nach dem EU-Vertrag ein Äußerungsrecht in Angelegenheiten der Union eingeräumt wird.
Das Protokoll bestimmt die Vorgehensweise in zwei Abschnitten. Sie bezieht sich, erstens, auf die "Unterrichtung der Parlamente der Mitgliedstaaten" (Ziffern 1. bis 3.). Die Europäische Kommission ist künftig verpflichtet, alle von ihr erarbeiteten Dokumente rechtzeitig vor einer Beschlußfassung im Rat zur Verfügung zu stellen - und das heißt, auch in allen Amtssprachen der EU. Damit sollen gegebenenfalls innerstaatlich bestehende Unterrichtungspflichten der Regierungen gegenüber den eigenen Parlamenten unterstützt werden. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland ist diese Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag im übrigen mit der deutschen Begleitgesetzgebung seit der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht festgeschrieben. Die Vorgehensweise bezieht sich, zweitens, auf eine Zusammenarbeit der Parlamente im Rahmen der "Konferenz der Europa-Ausschüsse" (Ziffern 4. bis 7. des Protokolls). Ziffer 4. stellt überdies klar: Es geht dabei um die "COSAC", die am 16./17. November 1989 in Paris gegründet worden ist. Das wirft Fragen auf: Welchen Status, welche Zusammensetzung und welche Befugnisse hatte diese Konferenz bisher?
Die Gründung der COSAC war im Mai 1989 von der "Konferenz der Parlamentspräsidenten der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Präsidenten des Europäischen Parlaments" in Madrid auf der Grundlage eines Berichts des Präsidenten der Französischen Nationalversammlung Laurent Fabius beschlossen worden. Ihr Name ist ein Akronym der französischen Konferenzbezeichnung: "Conférence des Organes spécialisés en Affaires communautaires". Die zutreffende deutsche Bezeichnung ist "Konferenz der Europaausschüsse der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments." Die vom Europäischen Parlament verwendete Bezeichnung "Konferenz der Sonderorgane für EG-Angelegenheiten (der Parlamente der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments)" ist direkt vom Französischen übernommen und eher aus dem "historischen Kontext" zu verstehen. 1989 gab es noch nicht in allen nationalen Parlamenten ständige Europaausschüsse. Das hat sich inzwischen ebenso geändert wie die Aktivitäten der COSAC selbst. Sie sind seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht nicht mehr auf EG-Angelegenheiten beschränkt, sondern behandeln auch andere Aufgaben der EU.
Die COSAC hat sich 1991 eine eigene Geschäftsordnung gegeben und damit den Ablauf ihrer Arbeiten geregelt. Sie tritt einmal pro Halbjahr für jeweils anderthalb Tage zusammen. Sie wird immer vom nationalen Parlament des Mitgliedstaates ausgerichtet, der die Ratspräsidentschaft innehat. Das ausrichtende Parlament führt auch den Vorsitz in der Konferenz. Nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit trägt es ebenfalls die Organisationskosten der Veranstaltung. Die Terminierung der Konferenzen wird nach Möglichkeit in der zweiten Hälfte einer Ratspräsidentschaft angestrebt. Konferenzsprachen sind alle Amtssprachen der Europäischen Union; das gastgebende Parlament sorgt für eine entsprechend aufwendige simultane Sprachmittlung durch Dolmetscher. Konferenzdokumente werden von den Autoren in ihrer eigenen und in englischer oder französischer Sprache über den Vorsitz vorgelegt. Für weitere erforderliche Übersetzungen sorgen die Teilnehmer selbst. Die Aussprachen werden vom Gastgeber protokolliert (Verlaufsprotokoll). Anstelle eines Abschlußkommuniques, das konsensfähig sein müßte, sind seit längerer Zeit Schlußfolgerungen des Vorsitzes getreten, die u.a. an die Presse gegeben werden.
Nach der Geschäftsordnung der COSAC können an den Tagungen höchstens sechs Parlamentarier aus jedem EU-Mitgliedstaat und sechs Mitglieder des Europäischen Parlaments teilnehmen. Damit sollten von vornherein die Kosten für den Veranstalter, aber auch für die entsendenden Parlamente begrenzt werden. In den Fällen, in denen die nationalen Parlamente aus zwei Kammern bestehen (Belgien, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande, Österreich, Spanien, Vereinigtes Königreich), werden die Teilnehmer in aller Regel im Verhältnis von drei zu drei von den Europaausschüssen beider Häuser benannt. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland haben sich der Bundestag und der Bundesrat darauf verständigt, daß die deutschen Teilnehmer von den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes im Verhältnis von vier zu zwei benannt werden. Das Europäische Parlament behält sich grundsätzlich vor, seine Teilnehmer aus Ausschüssen zu benennen, die für Sachfragen der jeweiligen Tagesordnung der COSAC zuständig sind. Überwiegend handelt es sich jedoch um Mitglieder des Institutionellen Ausschusses des EP.
Die Tagesordnung der COSAC wird von der "Troika" im Einvernehmen mit dem Europäischen Parlament vorbereitet. Zur Troika gehören die Europaausschußvorsitzenden der Parlamente der Mitgliedstaaten der laufenden, der vorangegangenen und der nächstfolgenden Ratspräsidentschaft. Die Schwerpunkte ihrer Arbeiten orientieren sich generell an den Schwerpunkten der laufenden Ratspräsidentschaft. Sie greifen aber auch Themen auf, die aus dem eigenen Kreis vorgeschlagen werden. Bei der XI. COSAC, am 24./25. Oktober 1994 in Bonn, im Ersatzplenarsaal der Bundestages, ging es beispielsweise um die Themen: Innere Sicherheit/Europol, Europäischer Umweltschutz, Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und Ratifizierung der Beitrittsverträge mit Österreich, Finnland und Schweden. Die Bundesregierung hat die Konferenz hochrangig wahrgenommen. Zu den Konferenzteilnehmer sprachen damals: Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt sowie die Staatssekretäre Dr. Hans-Friedrich von Ploetz (Auswärtiges Amt) und Prof. Dr. Kurt Schelter (BMI).
Bisher war die COSAC ausweislich ihrer Geschäftsordnung eine informelle Gesprächsebene der Parlamente und kein Beschlußorgan. Ihr Wert beruhte auf der Regelmäßigkeit des Gedanken- und Meinungsaustauschs über die Europapolitik, und zwar auf der Ebene von Ausschüssen, die ausschließlich mit Europafragen befaßt sind. Er beruhte aber insbesondere auch darauf, daß die teilnehmenden Parlamentarier aus allen Mitgliedsländern von der Ratspräsidentschaft unmittelbar über ihre Tätigkeit, über aktuelle Entwicklungen, über Vorhaben der EU und nicht zuletzt über die Tagesordnung des bevorstehenden Europäischen Rates unterrichtet wurden.
Nach dem Vertrag von Amsterdam erfährt die COSAC nun eine Veränderung und Aufwertung - auch wenn der Vertrag unter dem Vorbehalt steht, daß er noch nicht ratifiziert und in Kraft getreten ist (vgl. hierzu Entschließung des Bundestages und Bericht des EU-Ausschusses Drs. 13/6891. So soll die COSAC künftig das Recht haben, ihre Ansicht zu bestimmten Themen auf Unionsebene zu äußern. Sie wird jeden ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag für die Organe der Union leisten können, z. B. auf der Grundlage von Entwürfen für europäische Rechtsetzungsakte, die ihr vom Rat übermittelt werden, oder zu Gegenständen, die sie selbst aufgreift, gerade auch hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips oder der Grundrechte (Ziffer 4. in Verbindung mit Ziffer 6. des Protokolls). Sie kann ebenso (Ziffern 5. und 6.) Vorschläge oder Initiativen im Zusammenhang mit der "Errichtung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" prüfen. Das bezieht sich auf Titel IV des Vertrags von Amsterdam, der wiederum die Änderungen zur sogenannten dritten Säule des Maastricht-Vertrags (Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres) enthält.
Diese Aufwertung der COSAC ist als ein Ergebnis langjähriger französischer Bemühungen um die Institutionalisierung einer kollektiven Mitwirkung der nationalen Parlamente an Rechtsetzungsakten der EU zu betrachten. Sie hatten sich schon im Maastricht-Vertrag in den Erklärungen Nr. 13 und Nr. 14 "Zur Rolle der einzelstaatlichen Parlamente" sowie "Zur Konferenz der Parlamente" niedergeschlagen. Im Vorfeld der Regierungskonferenz 1996 hatten beide Kammern des französischen Parlaments neue Szenarien entwickelt, die in dieselbe Richtung wiesen. Die französische Regierung hatte diese Überlegungen aufgenommen und in die Regierungskonferenz eingebracht. In Amsterdam ist dann die förmliche Einbeziehung der COSAC in den EU-Vertrag beschlossen worden.
Verglichen mit weitergehenden Überlegungen in der französischen Nationalversammlung und im Senat ist dies zwar nur der kleinste gemeinsame Nenner, noch weit entfernt von einer Erneuerung der Europakonferenz der Parlamente, wie sie bisher ein einziges Mal, 1990 in Rom, unter der Bezeichnung "Assises" stattgefunden hatte. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß sich der Europaausschuß des Deutschen Bundestages Ende vergangenen Jahres, noch im Vorfeld dieser Entscheidung, in einer Stellungnahme gemäß Art. 45 GG gegenüber der Bundesregierung ausdrücklich auch gegen eine Änderung der bestehenden From der Zusammenarbeit ausgesprochen hatte, indem er "... die Umgestaltung der COSAC zu einem Organ, das die nationalen Parlamente formal vertritt und für bestimmte Bereiche als Beschlußorgan gleichsam auf die Gemeinschaftsebene gehoben wird ..." ablehnte.
Das neu geschaffene Anhörungsrecht der COSAC weist gerade hierzu deutliche Ungereimtheiten auf. Ziffer 7. des Protokolls bestimmt, daß die Beiträge der COSAC die einzelstaatlichen Parlamente in keiner Weise binden und deren Standpunkt in keiner Weise präjudizieren. Demnach erhält sie keine Vertretungsfunktion. Dann ist aber nicht zu verstehen, daß sie künftig "... jeden ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag für die Organe der Europäischen Union leisten ...", d. h. doch, ihre Ansicht zu bestimmten Themen äußern und vor allem unmittelbar an die EU-Organe herantragen kann. Kein einzelnes nationales Parlament hat dieses Recht; günstigstenfalls kann es eine Stellungnahme gegenüber der eigenen Regierung abgeben. Es ist ferner nicht zu verstehen, daß zu den Adressaten der COSAC nicht nur der Rat und die Kommission gehören sollen, sondern auch das Europäische Parlament, das doch selbst in der COSAC vertreten ist. Im letzten Fall wäre die COSAC nach wie vor "Ausschußebene", in den beiden ersten Fällen jedoch schon mehr.
Aber abgesehen davon, braucht die COSAC für dieses Vorgehen ein eigenes Beschlußverfahren. An seine Ausgestaltung knüpfen sich eine Reihe von Fragen, die sowohl COSAC-intern, als auch - und sicher nicht zuletzt - in jedem nationalen Parlament innerparlamentarisch zu beantworten sind. Werden z. B. für die "Beiträge der COSAC" Konsensentscheidungen erforderlich sein, die ihr Zustandekommen vermutlich sehr erschweren würden, oder sind auch Mehrheitsentscheidungen denkbar? Gibt es bei Mehrheitsentscheidungen eine Gewichtung der Stimmen? Mit welchem parlamentarischen Mandat werden die teilnehmenden Abgeordneten ausgestattet? Wie steht es mit der Repräsentativität? Nach wie vor werden die nationalen Vertreter von der parlamentarischen Arbeitsebene der Europaausschüsse entsandt. Mit Beschlüssen der COSAC, die sich an die EU-Organe richten, würde jedoch die nationale parlamentarische Beschlußebene, das jeweils nationale Plenum, übersprungen. Dazu reicht auch die Befugnis des Europaausschusses des Bundestages nach Art. 45 S. 2 GG nicht aus. Sie läßt nur eine Ermächtigung zu einer förmlichen Stellungnahme gegenüber dem "Ratsmitglied" Bundesregierung, nicht aber gegenüber dem EU-Rat oder gegenüber anderen europäischen oder nationalen Organen zu.
Die Fragen setzen sich fort und sind weder im organisatorischen noch im inhaltlichen Bereich erschöpfend. Reicht z. B. die bisherige Sitzungsfrequenz der COSAC und die Dauer ihrer Sitzungen für die Vorbereitung derartiger Beschlüsse noch aus? Benötigt die COSAC nicht früher oder später zur effizienten Vorbereitung ihrer Arbeiten und Stellungnahmen angesichts der immensen Tätigkeitsfelder der EU ein ständiges internationales Sekretariat - mit einem entsprechenden Übersetzungsdienst? Welche Haushaltsmittel sind dafür erforderlich und wo werden sie bereitgestellt? Können die unter diesen Umständen steigenden Organisationskosten, die vom ausrichtenden Parlament zu tragen sind, noch einem einzelnen nationalen Haushalt angelastet werden? Welchen Nutzen hat ein weiteres Beratungsgremium der EU, dessen Beiträge zur Europapolitik keine formale, aber möglicherweise faktische Bindungswirkung entfalten? Wird den einzelstaatlichen Parlamenten mit einer kollektiven Äußerungsform - Stichworte liefert das Protokoll mit Subsidiarität und Konventionen der ZBJI - überhaupt, wie es in den Erwägungsgründen des Protokolls heißt, eine bessere Möglichkeit gegeben, sich zu Fragen zu äußern, die für sie von besonderem Interesse sind?
Das Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union des Vertrags von Amsterdam bewirkt Handlungsbedarf. Es stellt zwar nur einen marginalen Punkt des Gesamtvorhabens der Ratifizierung des Vertrags dar, die bei den Parlamenten liegt. Er betrifft sie aber ganz unmittelbar.
Quellen:
- Vertrag von Amsterdam, Stand: 8. Oktober 1997, Europaausschuß-Drs. 13/1650, S. 52
- Assemblée Nationale, "Les Parlements Européens dans la Persepective de l'Europe de 1993, le Traitement des Affaires communautaires et la Collaboration entre les Chambres", Rapport présenté par Monsieur Laurent Fabius, Président de l'Assemblée Nationale (Madrid, Mai 1989)
- Geschäftsordnung der Sonderorgane für EG-Angelegenheiten der Parlamente in der Europäischen Gemeinschaft, DOC-DE\DV\226132
- Deutscher Bundestag, EG-Ausschuß - Vorsitzende -, Bundesrat, EU-Ausschuß - Vorsitzender -, Schlußfolgerungen des deutschen Vorsitzes bei der XI. Konferenz der Europaausschüsse (COSAC) am 24. und 25. Oktober 1994 in Bonn
- Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (22. Ausschuß) zu den Schlußfolgerungen der XV. COSAC (Konferenz der Sonderorgane für EU-Angelegenheiten) am 16. Oktober 1996 in Dublin - CONF/3973/96 - und zu dem Beratungsdokument der Regierungskonferenz zur Revision des Maastrichter Vertrages - Aufzeichnung des irischen Vorsitzes vom 19. November 1996 - CONF/39785/96 - Drs. 13/6357 Nr. 3.1 und 3.2 -. In: BT-Drs. 13/6891, 03.02.97
Bearbeiter: MR Dr. Eberhard Schoof, Fachbereich XII