Menschen im Bundestag
Banküberfälle sind ihr Beruf
Barbara Langer arbeitet im Bundestag für die "Hotline W". Den heißen Draht gibt es, weil sonst zu viele Fragen offen blieben.
Barbara Langer liebt Banken. Sie ist begeistert, wenn sie von denen bekommt, was sie will. Bekommt sie es nicht, wechselt sie die Bank. Das macht sie so oft und so lange, bis sie zum Ziel gelangt ist. Barbara Langer ist eine hartnäckige Frau. Um Informationen zu bekommen, scheut sie keine Mühe. Banken, genauer gesagt, Datenbanken sind ihr nur Mittel zum Zweck.
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Die Zentrale Auftragsannahmestelle der Wissenschaftlichen Dienste hat einen Kurznamen, der wie ein Codewort klingt: "Hotline W" - der "heiße Draht" zur Fachinformation. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der "Hotline W" lieben Fragen und verbringen ihre Arbeitstage damit, sie zu beantworten. Klassisches Dienstleistungsgewerbe also. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zu all den "heißen Informationsdrähten", die man sonst so aus dem Leben kennt - "Können Sie mir sagen, wie ich bei meinem Telefon die Funktion Anklopfen aktiviere?" Hier wiederholt sich kaum eine Frage. Demzufolge gibt es auch kein Handbuch, in dem die Antworten stehen. Wer weiß heute schon, was in drei Wochen die Tagespolitik bestimmt?
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Die Fragen, denen sich Barbara Langer und ihre Kolleginnen und Kollegen widmen, sind fachlicher Natur und kommen von Abgeordneten, die für ihre parlamentarische Arbeit Informationen aus den verschiedensten Themengebieten benötigen. Da werden Gutachten zu juristischen Fragestellungen ebenso gewünscht wie Literaturzusammenstellungen und harte Fakten aus allen Gebieten, mit denen sich Abgeordnete beschäftigen müssen. Doch an wen wendet sich der Abgeordnete oder seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen? Welches ist die richtige und zuständige Stelle bei den vielen unterschiedlichen Informationsressourcen des Bundestages? Natürlich gibt es auch die Broschüre "Wegweiser für Abgeordnete", in der die fachliche Zuständigkeit für die Serviceleistungen der Bundestagsverwaltung festgelegt sind. Aber einfacher ist es allemal, eine bestimmte Telefonnummer anzurufen, unter der sich dann die "Hotline W" meldet. Sie kann dann der rettende Engel sein, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen sich aus, wissen, welche Frage .in welchen Zuständigkeitsbereich gehört. Dann ist die "Hotline W" zentrale Auftragsannahmestelle und leitet die Anfragen der Abgeordneten schnell und unbürokratisch weiter und koordiniert die Anfragen, wenn mehrere Quellen "angezapft" werden müssen.
Häufig aber haben die Parlamentarier, beziehungsweise deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch einen Auftrag für die Hotline selbst. Dann nämlich, wenn die Frage am besten mit einer Recherche in einer der vielen externen Datenbanken zu beantworten ist. Aus über 3.000 Datenbanken lassen sich neben Literaturhinweisen auch konkrete Fakten und internationale Presseartikel recherchieren. Da wundert es nicht, dass Frau Langer innerhalb kürzester Zeit Informationen zur weltpolitischen Lage nach dem .11. September liefern kann. Denn eines ist klar: Egal, wer die Aufträge für die Abgeordneten bearbeitet, beantwortet werden müssen sie so schnell wie möglich und nur so umfangreich wie nötig.
"Bevor die ‚Hotline W' 1996 eingerichtet wurde, gab es", sagt Frau Langer, "bereits sechs Datenbank-Abfragestellen. Jeder von uns saß sozusagen auf den Fluren der Abgeordneten. Datenbanken und Recherche übers Internet waren gerade erst im Kommen." Lange vorbei.
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Wenn man sich heute das Büro von Barbara Langer in der Berliner Schadowstraße anschaut, stellen sich die Dinge anders dar. Wichtigste Arbeitsmittel sind zwei Computerterminals. Um sie herum hat die Diplomdokumentarin Zeichen gesetzt, die signalisieren: Das hier ist ein Ort, an dem ich gern bin und wo ich mich wohl fühle. Plakate mit Fotografien Man Rays hängen an einer Wand. Nicht das berühmte "Violon d'Ingres", sondern "Noir et blanche", eine Frau mit einer schwarzen Maske, und das Foto einer Frau mit Akkordeon. Auf dem Schreibtisch liegt der Lesestoff für die Bahnfahrten - "Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek.
Neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen die zentrale Auftragsannahmestelle der Wissenschaftlichen Dienste. Sechs Datenbankrechercheurinnen, zwei teilen sich eine Stelle, arbeiten in der Schadowstraße, der einzige männliche Mitarbeiter der "Hotline W" arbeitet in Telearbeit, um den Anforderungen zwischen Familie und Beruf besser gerecht zu werden. Hinzu kommt jeweils ein Mitarbeiter aus den wissenschaftlichen Fachbereichen. Immer für einen Monat lang, dann ist ein anderer Fachbereich dran.
Teamarbeit ist das, was sie machen. Spezialisierung auf einen oder mehrere Themenbereiche wäre fehl am Platz, jede und jeder muss alle Fragen recherchieren, beantworten oder fachkundig weiterleiten können. Auch die Frage, was zum Beispiel ein "Paralleluniversum" ist. Da lautete übrigens die erste spontane Antwort: Man erreicht es durch ein Wurmloch. Das Paralleluniversum ist für Barbara Langer nur das Beispiel, um zu demonstrieren, dass es kaum eine Frage gibt, die nicht gestellt werden kann. Es gibt nur eine Bedingung: Sie muss mandatsbezogen sein.
An diesem Tag möchte jemand wissen, seit wann das Wort "Gesamtkonzept" im Duden steht. Das kann man sicher herausbekommen. Aber spannend wäre doch an dieser und an vielen anderen Stellen, warum das jemand wissen möchte. "Nicht nur spannend. Oft ist es einfach auch besser, wenn wir vorab erfahren, wofür jemand die Informationen braucht. Für eine Rede im Bundestag, für einen Vortrag, eine Diskussionsrunde mit Fachleuten, eine Zuarbeit für einen Gesetzentwurf, eine Vorbereitung einer Kleinen oder Großen Anfrage. Wir bemühen uns, die Unterlagen auch so aufzubereiten, dass sie dem jeweiligen Zweck dienlich sind. Es ist ja ein Unterschied, ob nun jemand wirklich einfach nur das Jahr wissen möchte, in dem das Wort Gesamtkonzept in den Duden aufgenommen wurde oder vielleicht noch etwas über die Ethymologie des Wortes erfahren will. Aber nun", sagt Barbara Langer, "zeige ich Ihnen mal, wie wir in den Datenbanken recherchieren."
Es ist nicht so, wie man sich die Sache denkt: Man geht ins Internet, ruft eine Suchmaschine auf, gibt ein Stichwort ein und los geht's. "Internet ist Chaos", sagt Barbara Langer. "Und ich liebe dieses Chaos. Für unsere Zwecke allerdings greifen wir sehr oft nicht nur auf die Suchmaschinen, sondern auf Hosts zurück. Das sind internationale Datenbankenanbieter, die viele tausend Datenbanken unter ihrem Namen vereinen." Um bei einem Host recherchieren zu können, muss man deren Sprache lernen. Fast jeder Anbieter hat seine eigene. So einfach wie bei "fireball" oder "yahoo" oder "google" ist es nicht. Kann man "JURIS" bedienen, heißt das noch lange nicht, dass man mit "genios" klarkommt.
Barbara Langer und ihre Kolleginnen und Kollegen haben gelernt und gelernt, schließlich sind sie ein Serviceunternehmen, das heißt, sie sollten besser sein und schneller als die Fragenden, zuverlässig sowieso. Sie sollten den Abgeordneten, ihren Mitarbeitern in den Büros, den Frak- tionsmitarbeitern und denen aus der Bundestagsverwaltung Zeit sparen helfen und fundierte Informationen bieten. Dies gilt insbesondere auch für die Internetrecherchen, die auch in der "Hotline W" immer wichtiger werden.
Man findet ja immer etwas in diesem Medium. "Aber wer einfach nur etwas findet, weiß nicht, was ihm nun noch alles fehlt. Und wer nicht weiß, was noch alles fehlt, ist oft auch zufrieden mit dem, was er gefunden hat. An dieser Stelle müssen wir Angebote machen und uns und unsere Arbeit qualifizieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Internet verführerisch ist. Weil es oft vorgibt, ausreichend Informationen ausgespuckt zu haben und nie preisgibt, wo denn nun noch bessere oder wichtigere Informationen zu finden sind."
In den vergangenen Wochen hat Barbara Langer gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen eine Website der "Hotline W" entwickelt und selbst programmiert. Für das Intranet. Auf die kann nun jeder im Bundestag zurückgreifen. Sie enthält nützliche Links und Linksammlungen und hilft den Leuten, selbst zu recherchieren. Zum Beispiel werden Dokumente eingestellt, die im Internet nur schwer zu finden sind, aktuelle Informationen zu Themen, die in der Presse nicht so ausführlich behandelt wurden.
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Natürlich gehören auch die althergebrachten und bewährten Recherchemöglichkeiten zu den Arbeitsmitteln der "Hotline W": telefonieren, mit Nachschlagewerken arbeiten, Zeitungsarchive nutzen.
Kathrin Gerlof