Streitgespräch
DIALOG
FORSCHUNG MIT EMBRYONALEN STAMMZELLEN
Meilenstein oder Schritt ins Abseits?
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Peter Hintze
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Wolfgang Wodarg
Meilenstein für den medizinischen Fortschritt oder gefährliches Einfallstor zum menschlichen Ersatzteillager? Wie kaum an einem anderen Thema entzünden sich am Für und Wider der Forschung mit embryonalen Stammzellen die Gemüter. Ende Januar will der Bundestag über den Import von Stammzellen entscheiden. Dabei gehen die Standpunkte quer durch die Fraktionen. Über Chancen und Problematik der Stammzellenforschung führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem CDU/CSU-Abgeordneten und evangelischen Theologen Peter Hintze und dem Sprecher der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", Wolfgang Wodarg.
Blickpunkt Bundestag: Warum haben embryonale Stammzellen solche enorme Bedeutung?
Peter Hintze: Weil sich mit ihnen die Hoffnung verbindet, bei vielen Krankheiten, denen wir heute ohnmächtig gegenüberstehen, neue Heilungsmöglichkeiten zu finden. Für mich ist es ein Gebot der humanitären Vernunft, das, was in Tierversuchen gelungen ist, nun auch mit Blick auf den Menschen anzuwenden. Embryonale Stammzellen haben ja zwei wichtige Eigenschaften: Sie haben die Fähigkeit, sich in die über 200 Zelltypen des menschlichen Körpers zu differenzieren, und sie haben die Fähigkeit, sich nahezu ohne Begrenzung zu vermehren. Hierin liegt ein beachtliches Potenzial, das wir zur Bekämpfung so schwerwiegender Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose nutzen sollten.
Blickpunkt: Sieht dies der Arzt Wodarg ebenso?
Wolfgang Wodarg: Nein, ich muss meinem Kollegen widersprechen. Bei den Chancen und Hoffnungen, von denen er spricht, ist er den Forschern auf den Leim gegangen, die das gerne machen wollen. Man kann embryonale Stammzellen nicht als solche für therapeutische Zwecke verwenden, weil sie vom Patienten als Fremdgewebe abgestoßen würden. Es sei denn, man würde Embryonen mit dem eigenen Erbgut des jeweiligen Patienten herstellen und die Stammzellen aus dem so geklonten Embryo nutzen. Aber das will ja hoffentlich niemand. Mögliche Therapie-Fortschritte erhoffen sich einige aus der Grundlagenforschung, viel aussichtsreicher sind aber Forschung und Anwendung mit adulten Stammzellen.
Blickpunkt: Wie steht es mit den ethischen Problemen?
Hintze: Natürlich haben wir es mit einer Materie zu tun, bei der aus ethischen Gründen höchste Behutsamkeit angebracht ist. Wo das Wort Ehrfurcht eine Rolle spielt. Deshalb muss man gründlich abwägen: Ist es berechtigt, an embryonalen Stammzellen zu forschen, oder ist das in Frage zu stellen? Nach gründlicher Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt komme ich zu dem Schluss: Wir dürfen uns neuen Möglichkeiten der Hilfe nicht verschließen.
Wodarg: Mir fehlt vor allem die fachliche Notwendigkeit. Aber ganz klar: Es gibt auch ein riesiges ethisches Prob-lem, weil hier menschliche Embryonen getötet werden, um an Stammzellen heranzukommen. Insofern rührt das tief an unserem Bild vom Menschen und an dem Gebot des Grundgesetzes, Menschenwürde nicht anzutasten.
Blickpunkt: Wenn der Embryo in seiner frühesten Phase bereits menschliches Leben ist, steht er dann nicht unter dem Schutz des Grundgesetzes?
Hintze: Weil wir es mit der biologischen Grundlage der Menschwerdung zu tun haben, ist Behutsamkeit angebracht. Nur: In der Ethik stehen wir immer vor Abwägungsfragen. Und die Abwägung heißt hier: Darf ich eine befruchtete Eizelle, die biologisch abgeschaltet im Tiefkühlbehälter der Reproduktionsmedizin liegt, nutzen, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die möglicherweise später leidenden Menschen helfen können. Die embryonale Stammzellenforschung würde wichtige Erkenntnisse über den Mechanismus erbringen, wie jede der 100 Billionen Zellen, die unseren menschlichen Körper bilden, für bestimmte Funktionen freigeschaltet oder aber gesperrt sind. Das ist ganz entscheidend für die Bekämpfung wichtiger Krankheiten.
Blickpunkt: Muss, wer embryonale Stammzellenforschung ablehnt, auch prinzipiell gegen Abtreibungen sein?
Hintze: Wir haben rund 200.000 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr innerhalb der ersten drei Lebensmonate eines Kindes. Darüber wird recht wenig gesprochen. Wenn jetzt aber eine biologisch abgeschaltete, nur unter dem Mikroskop sichtbare, befruchtete Eizelle dazu gewonnen werden soll, neue Wege zur Heilung Schwerkranker zu finden, wird der Untergang des Abendlandes beschworen. Das finde ich einen dramatischen Widerspruch.
Wodarg: Das ist nicht vergleichbar. Bei dem einen handelt es sich um den Konflikt einer Schwangeren und darum, ob man gegen ihren Willen das Kind schützen kann. Bei den Stammzellen geht es um den industriellen Zugriff auf menschliches Leben. Da sage ich: Es ist weder gestattet noch erforderlich, den Embryo zum Subjekt der Forschung und der Verwertung zu machen.
Hintze: Ihre Argumentation gegen industrielle Herstellung von Medikamenten empfinde ich als unsachlich. Wenn wir in unserer Welt nicht die industrielle Herstellung von Penicillin oder anderer Stoffe gehabt hätten, wären viele Zigtausende von Menschen jämmerlich gestorben.
Wodarg: Ich spreche von der industriellen Verwertung menschlicher Organe, die wir etwa beim Transplantationsgesetz bewusst ausgeschlossen haben. Auch bei der industriellen Verwertung von Blutspenden gibt es große Probleme. Wenn es nun um ganze Embryonen geht, die geopfert und vernutzt werden sollen, muss, so finde ich, ein besonders hohes Schutzbedürfnis gelten.
Blickpunkt: Aber es geht doch nur um Grundlagenforschung. Warum da die hohen Emotionen?
Wodarg: Weil auch dafür Embryonen getötet werden müssen. Dabei gibt es keine wissenschaftlich plausiblen Gründe dafür, den Lebensschutz zu relativieren. Wir wissen noch nicht einmal, ob die Grundlagenforschung mit den über 60 verschiedenen vorhandenen Stammzellen-Linien wirklich sinnvoll ist. Es kann sein, dass die Stammzellen von anderen Säugetieren sich sehr viel besser eignen.
Blickpunkt: Wie stark ist der Druck von Forschung und Industrie?
Wodarg: Davon wird viel geredet. Und im Hintergrund spielen sicher auch Patente und Risikokapital eine Rolle. Aber aus meiner Sicht bestreite ich entschieden, dass hier große Möglichkeiten liegen. Es sind nur einzelne embryonale Forscher, die auf dieses Pferd setzen und dafür viel Wind machen.
Hintze: Einspruch. Ich halte die Forschung mit embryonalen Stammzellen für das entscheidende Forschungsobjekt unserer Zeit. Warum wohl hat die US-Zeitschrift "Science" schon 1999 die Stammzellenforschung in ihrer Liste der weltweit wichtigsten Forschungsprojekte auf den ersten Platz gesetzt? Ich bin sicher, dass auch eine ganz große Mehrheit der Menschen bei uns den Wunsch mitträgt, alle Möglichkeiten künftigen Heilens auszuloten. Natürlich kann heute niemand sagen, welche Erfolge wirklich kommen. Aber wer einen Weg nie beschreitet, verzichtet von vornherein auf Erkenntnisse und Erfolge.
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Im Gespräch: Peter Hintze und Wolfgang Wodarg
Blickpunkt: Was ist Ihr Weg, Herr Wodarg?
Wodarg: Die Hoffnungen auf eine wirklich erzielbare neue Therapie liegen in den Möglichkeiten der adulten Stammzellenforschung, also den Stammzellen, die vom Patienten selbst stammen. Neuerdings spielen z. B. die Blutstammzellen eine wichtige Rolle. Der Preis der embryonalen Grundlagenforschung ist viel zu hoch. Wenn wir für dieses offene Spiel den Tabubruch zulassen, also menschliche Embryonen ausschlachten lassen, ist das völlig unverhältnismäßig.
Blickpunkt: Kann sich Deutschland einen restriktiven Kurs in der embryonalen Stammzellenforschung leisten, wenn das Ausland längst intensiv forscht und handelt?
Wodarg: Die entscheidende Frage ist doch, ob wir forschungspolitisch in eine Sackgasse laufen und falsche Hoffnungen wecken wollen oder aber den Erfolg versprechenden Weg der adulten Stammzellenforschung konsequent weitergehen.
Hintze: Als eine der führenden Wissenschaftsnationen der Welt würden wir einen schweren Fehler machen, wenn wir den viel versprechenden Weg der embryonalen Stammzellenforschung nicht beschreiten, uns aus der ethisch verantwortlichen Gestaltung dieser Forschung verabschieden und unsere Forscher, die weltweit Spitze sind, ins Ausland treiben.
Blickpunkt: Ist das Votum des Ethikrates für einen eng begrenzten Import embryonaler Stammzellen eine Vorentscheidung für das Parlament?
Hintze: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich die Mehrheit auf diesen Kompromiss einigt, weil er humanitäre Vernunft und ethische Vorsicht in einer guten Weise verbindet.
Wodarg: Ich bin zuversichtlich, dass der Bundestag nicht noch einmal, wie beim Transplantationsgesetz, eine Entscheidung trifft, die die Menschen nachher nicht annehmen können.