Erstmals seit Jahren hat die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose nach oben korrigiert. In dem von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) vorgelegten und vom Kabinett am 25. Januar verabschiedeten Jahreswirtschaftsbericht geht die Große Koalition aus CDU, SPD und CSU für dieses Jahr von einer Wachstumsrate von 1,4 Prozent aus, 0,2 Prozent mehr als bisher. Das wäre gegenüber 2005 ein Plus von 0,9 Prozent. Bei einer günstigen Entwicklung könne nach den Aussagen von Glos auch mit einer Wachstumsrate von zwei Prozent gerechnet werden.
Die Prognose für das laufende Jahr liegt über der des Herbstgutachtens der führenden Wirtschaftsinstitute, die im Oktober ein Wachstum von 1,2 Prozent vorausgesagt hatten. Sie bleibt aber teilweise deutlich unter einer Reihe seither veröffentlichter optimistischerer Vorhersagen. Auch der Bundeswirtschaftsminister hatte schon von einer Perspektive von 1,5 und 1,8 Prozent gesprochen.
Ein abgeschwächtes Wirtschaftswachstum sieht Glos hingegen für das Jahr 2007. Er rechnet mit einem Prozent, was somit auf dem Niveau des Jahres 2005 liegen dürfte. Der Minister begründet dies mit der für Anfang 2007 anstehenden Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. An diesem Vorhaben werde die Bundesregierung wegen der erforderlichen Sanierung der öffentlichen Haushalte jedoch festhalten, sagte der Politiker.
Die geplante Mehrwertsteuererhöhung stößt jedoch bei Wirtschaftsforschern erneut auf Kritik. "Angesichts verbesserter Defizitzahlen" sollte man in diesem Umfang darauf verzichten, erklärte Gustav A. Horn, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Die Zusatzeinnahmen zur Haushaltssanierung seien nun verzichtbar, betonte der Wissenschaftler.
Auch bei der Entwicklung des Arbeitsmarktes sieht die Bundesregierung für 2006 einen Silberstreif am Horizont. Im Jahresdurchschnitt wird für 2006 gegenüber 2005 ein Rückgang der Arbeitslosenzahl um 350.000 auf 4,51 Millionen prognostiziert. Die Arbeitslosenquote würde so von 11,7 Prozent 2005 auf 10,9 Prozent 2006 sinken. Der Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung werde gestoppt. Wegen der schlechten Ausgangslage 2005 ist bei der Zahl der Erwerbstätigen im Jahresdurchschnitt allerdings für das laufende Jahr nur mit einer Stagnation zu rechnen.
Heftige Kritik am Jahreswirtschaftsbericht übte die Opposition. In der Bundestagsdebatte am 26. Januar betonte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle, die hier aufgezeigte Strategie und die geplanten Steuererhöhungen stellten kein schlüssiges Konzept für einen dauerhaften Aufschwung und eine echte Wende auf dem Arbeitsmarkt dar. Für die Linkspartei bezeichnete es deren Fraktionschef Oskar Lafontaine als eine katastrophale Entwicklung, dass in diesem Jahr die Bruttolöhne erstmals seit Kriegsende gefallen seien. Verbrauchern seien damit sechs Milliarden Euro "weggenommen" worden. Matthias Berninger von den Grünen rechnete vor, dass den Verbrauchern mit der höheren Mehrwertsteuer in vier Jahren 75 Milliarden Euro "aus der Tasche" gezogen würden.
Glos räumte vor dem Bundestag ein, dass die Mehrwertsteuererhöhung problematisch sei. Es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass ein Prozentpunkt davon für die Senkung der Lohnnebenkosten aufgebracht werde. Auch sei 2006 mit zusätzlichen Käufen zu rechnen, was ein "gewollter Vorzieheffekt" sei. Es sei notwendig, mit einem Wirtschaftsaufschwung 2006 die notwendige Breite zu schaffen, damit, wenn im kommenden Jahr die Mehrwertsteuer greift, "der Zug des Aufschwungs" nicht ohne weiteres gestoppt werden könne. An die Tarifpartner appellierte Glos, die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden.