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Die Ärztin des Deutschen Bundestages:
"Hier geht's zu wie in jeder normalen Praxis"
Der erste Minister bereitete aber noch Herzklopfen
"Gehen Sie in der Mittagspause im Tiergarten spazieren." Mit diesem Rezept versucht Dr. Adelheid Wahlen ihre Patientinnen und Patienten zu bewegen. Sie ist die Ärztin des Deutschen Bundestages. Abgeordnete sitzen ebenso selbstverständlich in ihrer Sprechstunden wie Mitarbeiter der Abgeordneten und Besucher des Reichstagsgebäudes.
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Dr. Adelheid Wahlen |
"Hier geht's zu wie in jeder normalen Praxis", räumt Adelheid Wahlen gleich mit falschen Erwartungen auf. Wie beim Hausarzt stehen auch bei ihr die ersten Kranken schon morgens um acht vor der Praxistür. "Ich werde häufig nach den besonderen Krankheiten der Politiker gefragt", erzählt die Parlamentsärztin. "Aber Bundestagsabgeordnete leiden zurzeit vor allem an Erkältungen, an Kreislaufbeschwerden, Wirbelsäulen-erkrankungen und Diabetes – genauso wie der Rest der Bevölkerung." Oft zeigten sie typische Stresssymptome, aber auch die seien inzwischen weit verbreitet. Die besondere Belastung von Bundestagsabgeordneten sieht Wahlen in einem anderen Punkt: "Sie sind einfach nicht zu Hause." Stress werde bei anderen Berufstätigen meist durch die Familie aufgefangen, "aber die ist bei den Abgeordneten weit weg". Das war ursprünglich auch der Grund dafür, im Bundestag einen Arzt einzustellen: Die Hausärzte der Abgeordneten sind während der Sitzungszeiten nicht erreichbar.
Adelheid Wahlen hat aber noch eine weitere wichtige Aufgabe: Sie ist Betriebsärztin für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten und in Notfällen für die Besucher des Deutschen Bundestages zuständig.
In der gut ausgestatteten Praxis behandelt Adelheid Wahlen so gut wie alles – es sei denn, der Patient muss ins Krankenhaus. "Viele denken, dass wir hier nur Aspirin verteilen", sagt sie erstaunt. Aber sie ist genauso für den Abgeordneten zuständig, der in seinem Büro einen Herzinfarkt erleidet, wie für die Mitarbeiterin, die mit vorzeitigen Wehen ihre Praxis aufsucht, oder den Epileptiker, der auf der Besuchertribüne einen Anfall hat. "Ich behandle jeden, der akut Hilfe braucht", stellt sie fest. Das gilt oft auch für die Verwaltungsmitarbeiter des Bundestages, denn deren personalärztliche Vertretung befindet sich am Stadtrand in Marzahn.
"Ganz normal" empfindet Adelheid Wahlen den Umgang mit den Politikerinnen und Politikern. In den ersten beiden Wochen habe sie noch Herzklopfen gehabt, wenn ein Minister vor ihr stand und ihre Hilfe brauchte, erinnert sich die Ärztin. "Danach habe ich mich auf die Medizin konzentriert."
Wie beim Hausarzt brauchen auch ihre Patienten aus der Politik jemanden, bei dem sie sich aussprechen können. Adelheid Wahlen ist davon überzeugt, dass viele vor allem deshalb zu ihr kommen, weil sie den parlamentarischen Betrieb kennt. Sie weiß, dass sich Abgeordnete oft noch "durchschleppen", die "schon längst ins Bett gehören". Jemanden für seine politische Arbeit wieder fit zu machen, der eigentlich krank ist, lehnt sie allerdings strikt ab. "Oft brauchen meine Patienten einfach einen Menschen, der ihnen sagt, dass jetzt wirklich Schluss sein muss", ist die Ärztin überzeugt.
Dem Bewegungsmangel der Abgeordneten, die ihre Zeit im Parlament vor allem auf ihrem Bürostuhl und in Sitzungen verbringen, versucht sie abzuhelfen. Ihr Rat: im Tiergarten spazieren gehen und dafür das Mittagessen ausfallen lassen. "Das Leben in Berlin ist nicht gesund", fasst sie ihre ersten Erfahrungen in Berlin zusammen.
Während der Sitzungswochen sind nicht nur die Abgeordneten besonders gefordert, auch für die Ärztin gelten die Sitzungszeiten: "Dann kommen auch nach den Sitzungen noch Patienten." Von acht Uhr morgens bis vier Uhr früh am nächsten Tag dauerte ihre längste Schicht. Für die Arbeit, die dann bei ihr anfällt, hat sie in den vergangenen vier Jahren ein Muster ausgemacht: Im Laufe einer Sitzungswoche wird sie immer stärker in Anspruch genommen, bei mehreren Sitzungswochen nacheinander wird der Zulauf noch einmal größer. Bis zu 70 Patienten behandelt die Parlamentsärztin dann pro Tag.
Natürlich bringt der parlamentarische Betrieb weitere Besonderheiten mit sich. Da sind beispielsweise Jugendliche, die auf der Besuchertribüne in Ohnmacht fallen, weil sie ihren Hauptstadt-Besuch dazu nutzen, sich zu amüsieren, und dann morgens schlicht erschöpft sind. Oder die Senioren, für die der Versuch, einmal ihre Volksvertreter im Parlament live zu sehen, ein wenig zu anstrengend war.
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Das Rezept der Parlamentsärztin: ein Spaziergang im Tiergarten. |
Seit dem Umzug des Parlaments an die Spree hat die Zahl der Besucher, um die sich Adelheid Wahlen kümmern muss, noch einmal erheblich zugenommen. Der Aufstieg in der Kuppel auf dem Reichstagsgebäude ist gerade für ältere Besucher oft zu anstrengend – ihr Kreislauf bricht zusammen. Der Abstieg birgt für Kinder ein Verletzungsrisiko: Sie laufen den Kuppelgang zu schnell hinunter und ziehen sich bei Stürzen Schürfwunden zu. Wer es nicht mehr allein auf die Kuppel schafft, aber trotzdem gern einmal den Blick von oben genießen möchte, darf dennoch auf die Hilfe der Ärztin hoffen. "Einmal haben wir einer 99-jährigen Besucherin einen Rollstuhl zur Verfügung gestellt", erzählt sie.
Die unregelmäßigen Arbeitszeiten einer Parlamentsärztin haben die gebürtige Berlinerin nicht abgeschreckt, als sie sich vor vier Jahren zusammen mit 97 weiteren Ärzten um die Stelle im Bundestag bewarb. Gereizt hat sie vor allem, ausschließlich medizinisch zu arbeiten und sich nicht mehr um die wirtschaftlichen Aspekte einer Arztpraxis kümmern zu müssen.